Donnerstag, 12. November 2015

Alex Capus / Fast ein bißchen Frühling

Klappentext
Zwei arbeitslose junge Burschen wollen 1933 aus Nazideutschland fliehen. Um sich das Reisegeld zu beschaffen, überfallen sie eine Bank, wobei sie versehentlich den Filialleiter erschießen. Auf der Flucht in den Süden kommen sie nicht weit: In Basel verliebt sich der eine in eine Schallplattenverkäuferin. Tag für Tag kauft er eine Tango-Platte, bis das Geld aufgebraucht ist und der nächste Banküberfall nötig wird. Abend für Abend gehen die drei am Rhein spazieren. Mit von der Partie ist eine junge Sportartikelverkäuferin, die dreißig Jahre später die Großmutter des Erzählers sein wird und die sich entscheiden muß zwischen einem Bankräuber und ihrem Verlobten. Alex Capus hat diese authentische Geschichte um Freundschaft und Treue, Liebe und Verrat akribisch recherchiert ? in Polizei- und Zeitungsarchiven, in Gesprächen mit Überlebenden, auf langen Wanderungen an den Orten des Geschehens. Entstanden ist ein Roman wie ein Tango: leicht und schwermütig, frisch und elegant und voller Trauer um verpaßte Möglichkeiten und zerronnenes Glück.


Autorenporträt
Alex Capus, geboren 1961 in Frankreich, studierte Geschichte, Philosophie und Ethnologie in Basel und arbeitete während und nach seinem Studium als Journalist und Redakteur bei verschiedenen Tageszeitungen und bei der Schweizer Depeschenagentur. 1994 veröffentlichte Alex Capus seinen ersten Erzählband, dem seitdem neun weitere Bücher mit Kurzgeschichten, historischen Reportagen und Romanen folgten. Capus verbindet sorgfältig recherchierte Fakten mit fiktiven Erzählebenen, in denen er die persönlichen Schicksale seiner Protagonisten einfühlsam beschreibt. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt; für seine schriftstellerische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise. Daneben hat Capus auch als kongenialer Übersetzer von Romanen des US-amerikanischen Autors John Fante gewirkt. Alex Capus lebt als freier Schriftsteller mit seiner Familie in Olten/Schweiz.
Das erste Buch, das ich von dem Autor lese.




Mittwoch, 11. November 2015

Tessa de Loo / Die Zwillinge (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

In dem Buch liegen wieder jede Menge Zettelchen, obwohl ich mir vorgenommen habe, meine Buchbesprechungen wegen des großen Zeitaufwandes nicht mehr mit so vielen Zitaten zu bestücken. Wenn es passt, wollte ich mich nur noch auf ein paar wenige Szenen aus den jeweiligen Büchern beschränken, und über diese schreiben. Mit dem vorliegenden Buch geht das allerdings nicht, weil die Thematik viel zu komplex ist. Habe mir trotzdem eine Szene gemerkt, die ich hier vielleicht festhalten werde.

Die ersten hundert Seiten waren mir sehr befremdlich, bis ich mich an den Stil gewöhnen konnte, doch bevor ich anfange darüber zu schreiben, möchte ich zur Erinnerung erneut den Klappentext reingeben:
Nach über vierzig Jahren treffen sich die Zwillingsschwestern Anna und Lotte im belgischen Kurort Spa. Nach dem Tod der Eltern und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren sie auseinandergerissen worden. Und während die eine zu Verwandten nach Deutschland kommt, wächst die andere in den Niederlanden auf. Jetzt erst gelingt ihnen eine Annäherung.
Die beiden zweieiigen Zwillingsschwestern Lotte und Anna begegnen sich durch Zufall nach so vielen Jahrzehnten wieder in der Kur. Lotte wirkte unnatürlich kühl Anna gegenüber. Anna dagegen war gleich Feuer und Flamme, als sie Lotte wieder sah. Lotte konnte mit so viel Temperament und Nähe ihrer Schwester allerdings schlecht umgehen ... Lotte war mir unsympathisch und zum Ende hin war mir auch Anna unsympathisch.

Kurz gesagt, mich hat das ganze Buch nicht wirklich überzeugt. Lotte stellt Anna als die Stellvertreterin der deutschen Nation des Nationalsozialismus hin. Und Anna bezeichnet in der Vergangenheitsbewältigung die Russen als grausam und gibt sich blauäugig den Nazis gegenüber und Lotte ist ganz aus dem Schneider, indem sie sich als Niederländerin sieht, die nichts mit den Nazis zu tun haben wollte. Sie weist alles Deutsche von sich. Von der Annäherung der beiden Zwillingsschwestern, wie sie im Klappentext beschrieben steht, konnte ich bis zum Schluss nichts spüren. Der Schluss erwies sich mir auch merkwürdig künstlich.

Mich hat genervt, dass Lotte in der Konversation mit Anne immer als ihr habt … vorgeworfen hat. Als hätte Anna so viel Macht gehabt, den Nationalsozialismus zu verhindern ...  Lotte schmeißt alle Deutschen zusammen mit Hitler in einen Topf. Als würde Anna zusammen mit den Nazis die ganzen Juden umgebracht haben.  Anna hatte diese Macht nicht und sie war wie jeder andere auch Opfer dieser Zeit. In einem Krieg, so meine Sicht, gibt es keine Gewinner … Anna stand unter einem permanenten Rechtfertigungsdruck, obwohl Lotte keine Rechtfertigungen hören wollte. Anna war so mit dem Überleben beschäftigt, dass sie nicht einmal gemerkt hat, dass die Juden aus ihrem Land verschwunden sind. Diese nicht wissenden, ahnungslosen Deutschen gab es wirklich, aber es gab auch andere aus der Bevölkerung, die jeden Juden, der noch nicht gefasst wurde, der SS denunziert hatte. Davon spricht Anna aber nicht.

Es ist schwierig, in einem totalitären Staat, ohne sich Schuld aufzuladen, zu leben.

Anna hatte kein einfaches Schicksal. Nach dem Tod der Eltern kam sie zu deutschen Verwandten, die sie als deren Arbeitskraft in der Landwirtschaft missbrauchten. Den Kinderschuhen entwachsen, hatte Anna es allerdings geschafft, sich von den Angehörigen zu lösen und strebte auf ein eigenes Leben zu, das sich allerdings auch nicht als einfach erwies, da sie über viele Jahre in einem fremden Haus als Dienstmädchen fungierte. Nach dem "Heldentod" ihres Mannes ging sie ins Lazarett, um verwundeten Soldaten zu helfen. So viel Leid auf ein paar Quadratmetern hatte sie zuvor nicht gesehen und sie betrachtete die deutschen Soldaten, darunter auch SS-Männer, als die großen Opfer.

Dass Anna die Russen allerdings als grausam bezeichnet hat, konnte ich nicht verstehen. Die Russen waren grausam, das ist wohl wahr, allerdings waren sie grausam, weil Hitler grausam zu ihnen war und viele Russen von den SS-Männern kaltblütig niedergemacht wurden. Ganze Familien, Frauen und Kinder. Die Russen haben sich später gerächt, leider an den Falschen.

Auch für die Amerikaner zeigte Anna keinerlei Sympathie …

Lotte hatte es einfacher. Mit den Verwandten in den Niederlanden fand sie neue Eltern, von denen sie geliebt wurde und sie sich im Laufe ihres Lebens eine neue Identität hat aufbauen können ...

Und nun zu meiner Szene, die mich beschäftigt hat:

Anna ist zu Fuß unterwegs und hat einen  kleinen Koffer bei sich, der mit Getreide gefüllt ist. Eine wohl seltene Ware. Wie Anna an das Getreide gekommen ist, das habe ich wieder vergessen. Anna malte sich schon im Kopf das leckere Brot aus, das sie zu backen beabsichtigte. Ein Fahrradfahrer mit Anhänger fuhr ihr entgegen und bot Anna seine Hilfe an, den Koffer, der sich wohl recht schwer angefühlt haben muss, in seinen Anhänger zu legen, damit sie nicht so schwer zu tragen habe. Anna nahm die Hilfe an. Sie lief neben dem Radfahrer, der sich Annas Fußmarsch angepasst hatte. Doch ein paar Minuten später beschleunigte er sein Tempo allmählich immer mehr, bis er mit dem Koffer davonradelte.

Eine Vermischung von Gut und Böse. Eine Vermischung von Opfer und Täter.

Ansonsten  hat mich dieses Buch nicht wirklich gefesselt und mich auch nicht überzeugt und ich vergebe sechs von zehn Punkten.


_____
Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 63
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Mittwoch, 4. November 2015

Tessa de Loo / Die Zwillinge


Klappentext
Nach über vierzig Jahren treffen sich die Zwillingsschwestern Anna und Lotte im belgischen Kurort Spa. Nach dem Tod der Eltern und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs waren sie auseinandergerissen worden. Und während die eine zu Verwandten nach Deutschland kommt, wächst die andere in den Niederlanden auf. Jetzt erst gelingt Ihnen eine Annäherung.



Autorenporträt
Tessa de Loo, eigentlich Johanna Tineke Duyvené de Wit, (* 15. Oktober 1946 in Bussum, Niederlande), ist eine niederländische Schriftstellerin.
Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Lehrerin veröffentlichte Tessa de Loo 1983 ihren ersten Band mit Erzählungen, Die Mädchen von der Süßwarenfabrik. Ihr Roman Die Zwillinge wurde 1994 mit dem Von-der-Gablentz-Preis und dem Publieksprijs ausgezeichnet und 2002 verfilmt unter der Regie von Ben Sombogaart mit Thekla Reuten, Ellen Vogel, Nadja Uhl und Gudrun Okras in den Hauptrollen.
Tessa de Loo lebt in Portugal.(Quellennachweis Wikipedia)
Das Buch ist schon sehr, sehr alt. Über zwanzig Jahre und man kann es nur noch antiquarisch erwerben. Es ist 1993 beim Bertelsmann Verlag in der 3. Auflage erschienen. Den obigen Band habe ich kürzlich beim Bücher-Oxfam erworben.

Ein paar Seiten habe ich schon gelesen und es klingt recht interessant.




Dienstag, 3. November 2015

Daniel Pennac / Wie ein Roman (1)

Lesen mit Anne


Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Wie schon gesagt, das Buch hat mich nicht besonders angesprochen  und werde auch nicht viel dazu schreiben. Und Anne hat es auch nicht gefallen. Sie hat das Buch nach siebzig Seiten abgebrochen.

Das Buch war mir ein wenig zu belehrend, zu wegweisend, vielleicht, weil ich selber aus der Pädagogik komme, und mir die Theorien nicht unbekannt sind. Mir war das Buch definitiv zu trocken. Habe nicht viel Neues erfahren …

Ich wusste nicht, zu welchem Genre das Buch einzustufen ist. Durch die hohen pädagogischen Anforderungen war es für mich erst als ein Erziehungsratgeber auf dem Gebiet der Literatur zu verstehen, und am Ende war es für mich auch ein Plädoyer vor allem für alle Deutschlehrer, Eltern, für Literaturwissenschaftler, aber auch für die Leser selbst.

Denn, das Recht Nummer drei, ein Buch nicht zu Ende zu lesen, hat mich als Leserin arg angesprochen, da ich mir bei einem Fehlgriff immer mit dem Abbrechen sehr schwertue und quäle mich oftmals bis zur letzten Seite. Anne hat von ihrem Recht Gebrauch gemacht. Hätte ich auch, wäre das Buch sehr viel umfangreicher an Seiten ausgefallen.

Wie ist es für (junge) Menschen, die gar keine Bücher lesen? Wie verhält man sich dabei als Deutschlehrer? Als Eltern? …
Schon das Bildmotiv auf dem Cover hilft, diese Frage zu beantworten. Man sollte z.B.  einem (jungen) Menschen, der es nicht gewohnt ist, Bücher zu lesen, die Literatur nicht mit moralischen Maßstäben herantragen. Kein Buch aufstülpen, nichts aufzwingen. Am besten auch den gehobenen Zeigefinger schön unten lassen, :-) . Besser sei es, in ihm die Neugier zu wecken, sodass der ungeübte (junge) Leser selbst Lust auf´s Lesen bekommt … Daniel Pennac weiß, wovon er schreibt, er selbst ist Französischlehrer und er schlägt mehrere Methoden vor, sodass ich dazu auf das Buch verweisen möchte.

Mir hat außerdem folgendes Zitat gut gefallen:

Man bemüht sich gerade (an Grundschulen) eifrig um bessere Lesemethoden. Man erfindet Lesekästen und Karten. Man macht aus der Kinderstube eine Druckerei. (…) Es ist ein Jammer! Das sicherste Mittel, das man aber immer wieder vergisst, ist natürlich der Wunsch, lesen zu lernen. Erweckt diesen Wunsch im Kinde; lasst eure Kästen und Würfel sein, und jede Methode ist ihm Recht. Das unmittelbare Interesse ist die einzige Triebfeder, die sicher und weit führt. (…).
Noch ein grundsätzliches Wort möchte ich anfügen: gewöhnlich erreicht man sicher und rasch, was man nicht übereilt.

Pennac zitiert aus dem Buch Emil oder über die Erziehung, von Jacques Rousseau.

Jacques Rousseau habe ich selbst auch in meinem Studium gelesen. Wie schön, daran wieder erinnert zu werden.

Wie kommt es, dass manche Bücher uns mehr liegen als andere? Dazu gibt es ein schönes Zitat:

Der große Roman, der sich uns widersetzt, ist nicht unbedingt schwieriger als irgend ein anderer. Zwischen ihm, so groß er auch sein mag, und uns, durchaus fähig, ihn zu >>verstehen<<, wie wir meinen, findet eine bestimmte chemische Reaktion nicht statt.

Wie im richtigen Leben mit unseren Mitmenschen. Stimmt die Chemie, umso leichter lässt sich der Umgang miteinander gestalten. Aber manchmal, so meine Sicht, versteht man ein Buch tatsächlich nicht ...

Zu Annes Buchbesprechung


_____
Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 63
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86







Montag, 2. November 2015

Daniel Pennac / Wie ein Roman

Lesen mit Anne ...


Und wieder ist ein Monat verstrichen, Anne und ich lesen seit gestern gemeinsam ein Buch. Diesmal war Anne mit dem Aussuchen des Buches aus unserer gemeinsamen SuB-Liste, dran, s. o.

Wir sind beide nicht so wirklich erfreut über den Inhalt.

Doch dazu später mehr in einem gesonderten Posting.


Klappentext

Eine Liebeserklärung an das Lesen – der Longseller jetzt exklusiv als KiWi

Voller Witz, Charme und Intelligenz schreibt Daniel Pennac gegen Leseverdrossenheit und Bildungsdruck, gelingt es ihm überzeugend, Forderungen der Pisa-Studie einzulösen. Er plädiert für die unantastbaren Rechte des Lesers: Die 10 Rechte des Lesers:

1. Das Recht, nicht zu lesen 
2.Das Recht, Seiten zu überspringen
3. Das Recht, ein Buch nicht zu Ende zu lesen
4. Das Recht, noch einmal zu lesen
5. Das Recht, irgendwas zu lesen 
6. Das Recht auf Bovarysmus, d. h. den Roman als Leben zu sehen
7. Das Recht, überall zu lesen
8. Das Recht, herumzuschmökern
9. Das Recht, laut zu lesen 
10. Das Recht, zu schweigen

Autorenporträt
Daniel Pennac wurde als Daniel Pennacchioni am 1. Dezember 1944 in Casablanca, Marokko, geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Afrika und Asien. Eigenen Angaben zufolge war Pennac ein schlechter Schüler, aber ein eifriger Leser. Er vertiefte sich in Dickens, Stevenson, Dumas und begann schon in der Schulzeit zu schreiben. Nach dem literaturwissenschaftlichen Studium in Nizza wurde er schließlich Lehrer und arbeitete über zwei Jahrzehnte an der Schule, bevor er sich 1995 endgültig dem Schreiben widmete. Er lebt in Paris, im Stadtteil Belleville. 
Spätestens wenn man das Büchelchen durch hat, kennt man die Bedeutung des Bildes auf dem Cover. Ich werde aber später erst darauf eingehen.
Das Buch habe ich heute Morgen ausgelesen und so richtig umgehauen hat mich diese Lektüre wirklich nicht. Anne ging es ähnlich.

Dazu im späteren Posting mehr.


Zu Annes und Miras SuB


Samstag, 31. Oktober 2015

Magali Robathan / Die Frau von Shearwater Island (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch habe ich mit großem Interesse gelesen. Den Background, auf dem sich die Story abspielt, fand ich sehr schön. Ich konnte mich leicht in die Umgebung hineinversetzen. Das Meer, die Wellen, die Klippen, etc. Das hat mir geistig sehr gutgetan.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Alice lebt auf Shearwater Island, einer kleinen Insel vor der Küste Englands. Sie liebt die raue, wilde Schönheit der Landschaft, und sie schätzt die Abgeschiedenheit, in der sie sich in Sicherheit glaubt. Seit sie Zeugin eines brutalen Verbrechens war, vertraut sie niemandem mehr. Doch der Inselrat entscheidet, dass ein gefeierter Schriftsteller bei ihr einzieht: Patrick, der seinen nächsten Roman auf der Insel schreiben möchte. Der attraktive Londoner bringt Alice dazu, ihm die Geschichten der Insel zu erzählen. Von Rivalität und Neid, von Liebe und Eifersucht, von der Untreue ihrer Mutter – und von sich selbst. Alice

verliebt sich rückhaltlos in ihn. Doch das enge Zusammensein auf kleinem Raum und Alices Unsicherheit ihren eigenen Gefühlen gegenüber bringen ihre Welt zum Einstürzen.
Mich interessierten die Lebensweisen der InselbebewohnerInnen, ihre Komplexität an menschlicher Psyche in deren Denk- und Lebensweise, doch die Protagonistin Alice Fisher schien mir mit ihren sechsunddreißig Jahren merkwürdig naiv zu sein, auch wenn sie zum Schluss hin aus ihren Fehlern und aus den Fehlern ihrer Nachbarn lernt, und sie dabei ihr Leben kritisch hinterfragt und Pläne schmiedet, ihr Leben in eine andere Richtung zu lenken. Trotzdem nervte sie mich doch irgendwie. Der Schluss hatte mich mit ihr nicht aussöhnen lassen. Ihre Naivität ist mit der einer fünfzehnjährigen Pubertierenden zu vergleichen. Nicht nur für den Schriftsteller Patrick Fox war sie recht schnell zu durchschauen, nein, auch für mich als Leserin. Wie das Dornröschen wartete sie auf den Mann ihres Lebens, der sie von der langweiligen und öden Insel holen und wegbringen sollte. Es entstand nämlich in mir der Eindruck, Alice liege in einem langwierigen Schlummerschlaf und nur ein Mann könne es schaffen, sie davon zu erlösen. Gibt es heutzutage tatsächlich noch Frauen, die so naiv sein können? Nicht nur, dass sie Patrick innerhalb kürzester Zeit ihr ganzes Leben und das Leben ihrer Nachbarn offenlegt, nein, sie schläft auch mit ihm, so ganz ohne Prävention, und wird auch recht schnell schwanger. Und das alles innerhalb weniger Monate. Eine recht absurde Persönlichkeit. Mit sechsunddreißig Jahren sollte man sich auch mit Verhütungsmitteln auskennen ...  Eigentlich so rund um Alice als Hauptfigur eine recht primitive Geschichte, die wenig Tiefgang hat. Nun ja, die partnerschaftliche Liebe verhält sich oftmals in ihren emotionalen Facetten noch recht primitiv. Dieses Auf und Ab an Gefühlen ... Deshalb mag ich auch keine klassischen Liebesromane lesen.  Der emotional wenig entwickelte Mensch scheint sich noch immer auf der Stufe der Primaten zu befinden.

Richtige Tiefe hat, wie schon gesagt, diese Frau nicht. Am Schluss ist es indirekt doch wieder der Mann, der sie aus ihrer Not rettet, auch wenn es nicht Patrick selber ist. Friede, Freude Eierkuchen. So habe ich den Schluss erlebt. Ein wenig kitschig und rührselig. Deshalb fand ich den Schluss wenig realistisch und arg sentimental.

Interessant fand ich dagegen die beiden Figuren Cathy und Laurence.

Cathy und Laurence sind vom Verwandtschaftsgrad her Cousine und Cousin. Cathys Mutter Isabella litt an einer starken Depression und nahm sich das Leben, als Cathy acht Jahre alt war. Sie wurde von ihrer Tante, Laurences Mutter namens Elsie, aufgezogen. Einen Vater gab es nicht. Elsie war die Schwester von Isabella. Dadurch, dass Cathy, verglichen mit Laurence, kaum Ansprüche an Elsie stellte, nahm sie, was sie bekam, da sie schon recht früh die Härte des Lebens erfahren durfte. Dadurch wurde sie von der Tante bevorzugt und Laurence vernachlässigt. Elsie wollte eigentlich kein Kind. Sie konnte keinerlei Muttergefühle in sich spüren und neidete Alices kinderloses Singleleben. Laurence, zwei Jahre jünger als Cathy, suchte permanent die Zuwendung seiner Mutter. Elsie fühlte sich durch ihn eingeengt. Dadurch, dass sie Cathy mehr Nähe zukommen ließ als ihrem Sohn, entwickelte sich zwischen den beiden Kindern eine tiefe Feindschaft, eine Rivalität, die noch Jahrzehnte später zu spüren war. Je mehr Laurence sich um die Liebe und die Aufmerksamkeit seiner Mutter bemühte, desto mehr wurde er benachteiligt und zurückgewiesen. Und Cathy nutzte das später, mit zunehmendem Alter, schamlos aus ... Cathy wird erwachsen und wandert nach Amerika aus. In Amerika erlangt sie allerdings nicht den Erfolg, den sie sich erwünscht hatte, und kommt Jahre später wieder nach England auf die Insel zurück. Ganz zum Leidtragen ihres Cousins.

Und im Folgenden dazu noch ein Ereignis, das mich mehr als betroffen gestimmt hat:
Cathy und Elsie zogen ihren Sonntagsstaat an und machten sich auf den Weg zur Kirche. Cathy sah aus, als wäre sie am liebsten unsichtbar; sie hatte die Schultern hochgezogen und hielt die Arme eng an den Körper gepresst. Als sie in der Frühlingssonne nebeneinander hergingen, legte Elsie den Arm um Cathy. Für einen Moment erstarrte die Kleine, dann lehnte sie sich an Elsie und Tränen rollten über ihre Wangen. Als sich Elsie noch einmal zum Haus hindrehte, sah sie Laurence oben am Fenster stehen, mit einem finsteren Ausdruck im Gesicht. Sie kamen erst in der Abenddämmerung nach Hause zurück. Laurence war verschwunden. Cathy ging nach oben in das Zimmer, das sie mit ihrem Cousin teilte. Elsie hörte einen schrecklichen Aufschrei und eilte zu ihr. Cathys sämtliche Kleidungsstücke waren auf ihrem Bett verstreut, alle zerrissen, und auf dem Boden lag ein zerbrochener Bilderrahmen. Cathy kniete zwischen den Scherben, in der Hand das Schwarzweißfoto, auf dem Isabella sie als Baby im Arm hielt.Elsie presste die Lippen zusammen und verließ wortlos das Haus. Drei Stunden lang suchte sie die gesamte Insel ab, bis sie Laurence in einer Scheune fand. Er fing an zu weinen, sobald er sie sah. >>Es tut mir leid<<, schluchzte er, die braunen Augen flehentlich aufgerissen. >>Mama, es tut mir so leid.<<
Elsie packte ihn am Arm und zerrte ihn nach Hause. Sie sagte kein Wort, außer >>sei still und hör auf zu flennen<<. Laurence wurde in dieser Nacht nicht bestraft (…).Als er (allerdings) am nächsten Tag herunterkam, war der Küchentisch leer, nur ein hölzernes Schmuckkästchen stand darauf. Laurence hatte es mithilfe seines Großvaters für seine Mutter zum Geburtstag gebastelt. Einen Monat lang hatte er jeden Abend hingebungsvoll daran gearbeitet. Die ersten beiden Versuche waren ihm nicht gut genug erschienen, und so hatte er Stunde um Stunde weiter gefeilt und geschliffen, poliert und lackiert. Er hatte die Scharniere sorgfältig geölt, damit sich der Deckel leicht öffnen und zuklappen ließ, und hatte seinen Großvater gebeten, Elsies Namen einzugravieren. Es war das Schönste, was er in seinem jungen Leben zustande gebracht hatte. >>Gestern hast du etwas Kostbares zerstört, was Cathy gehört hat<<, sagte sie zu ihm. >>Heute wirst du erleben, wie es sich anfühlt, wenn etwas zerstört wird, das dir viel bedeutet.<<Sie griff nach einem Hammer. Laurence wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er das Gesicht seiner Mutter sah. Dann saß er schluchzend daneben, während sie auf das Kästchen einschlug, bis nur noch winzige Holzsplitter übrig waren.>>Jetzt entschuldige dich bei deiner Cousine und geh mir aus den Augen<<, befahl Elsie.

Das Buch erhält von mir acht von zehn Punkten.

_____
Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 62
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Montag, 26. Oktober 2015

Magali Robathan / Die Frau von Shearwater Island

Klappentext
Alice lebt auf Shearwater Island, einer kleinen Insel vor der Küste Englands. Sie liebt die raue, wilde Schönheit der Landschaft, und sie schätzt die Abgeschiedenheit, in der sie sich in Sicherheit glaubt. Seit sie Zeugin eines brutalen Verbrechens war, vertraut sie niemandem mehr. Doch der Inselrat entscheidet, dass ein gefeierter Schriftsteller bei ihr einzieht: Patrick, der seinen nächsten Roman auf der Insel schreiben möchte. Der attraktive Londoner bringt Alice dazu, ihm die Geschichten der Insel zu erzählen. Von Rivalität und Neid, von Liebe und Eifersucht, von der Untreue ihrer Mutter – und von sich selbst. Alice verliebt sich rückhaltlos in ihn. Doch das enge Zusammensein auf kleinem Raum und Alices Unsicherheit ihren eigenen Gefühlen gegenüber bringen ihre Welt zum Einstürzen.


Autorenporträt
Magali Robathan, geboren in London, hat Psychologie und Journalismus studiert. Seit über zehn Jahren arbeitet sie als Journalistin, zuletzt als leitende Redakteurin für Leisure Management. Sie lebt mit ihrem Mann und den zwei Kindern in Bristol.

Nun habe ich mich schon ein paar Seiten reingelesen und es gefällt mir recht gut. Mal schauen, wie sich der Inhalt noch weiter entwickeln wird.

Die Autorin ist mir unbekannt.





Sonntag, 25. Oktober 2015

Don Miguel Ruiz / Die vier Versprechen


Buchvorstellung und Buchbesprechung finden aus bestimmten Gründen hier auf dieser Seite statt.

Klappentext
Don Miguel Ruiz enthüllt in seinem Bestseller einen praktischen und leicht nachvollziehbaren Weg, um uns aus dem kollektiven Alptraum von Angst, Missbrauch und Gewalt zu befreien. Den Traum von Freiheit, Freude und Liebe kann jeder verwirklichen. Vier einfache, aber kraftvolle Versprechen sind der Schlüssel zur innerenTransformation.


Autorenporträt
Don Miguel Ruiz wurde in eine Familie mexikanischer Curanderos (Heiler) und Naguals (Schamanen) geboren. Er folgte dem ihm vorgezeichneten Weg jedoch zunächst nicht, sondern studierte Medizin und wurde Chirurg. Eine Nahtod Erfahrung nach einem Autounfall änderte sein Leben. Er widmete sich fortan dem Studium der Lehre seiner Vorfahren. Sein Lehrer wurde sein verstorbener Großvater, der ihn in Träumen unterwies. Ruiz´Bücher sind in Mexiko und den USA bereits zu Bestsellern geworden. 

Ich weiß selber noch nicht, was ich von diesem Buch halten soll, aber es wurde mir von einem Greenpeace-Mitarbeiter empfohlen, den ich  im Ökoladen Alnatura kennengelernt habe. Unser Thema war die Ausbeutung unseres Planeten, besonders auf Tiere und die Natur bezogen, was schlussendlich sich auch an den Menschen rächt, der diese Ausbeutung verursacht und zu verantworten hat.

Ein paar Seiten habe ich schon gelesen, und es stimmt mich recht nachdenklich, wobei mir die Theorien darin nicht sooo neu sind aber immer mal wieder gut, daran erinnert zu werden.


Buchbesprechung (1)

Das Buch ist in einer einfachen psychologischen Sprache geschrieben. Für Menschen, die bisher noch nicht viel mit Psychologie zu tun hatten, mag es hilfreich sein.

Auch ist es esoterisch angehaucht, was typisch ist, wenn gewisse spirituelle Theorien das menschliche Denken mit vorgegebenen Lösungen vereinfachen und sie verallgemeinern.

Der Autor wiederholt sich recht oft ...

Trotzdem kann ich das Buch weiterempfehlen an Menschen, die nach schnellen Lösungen suchen und gerne auch an sich selbst arbeiten. Diesbezüglich gibt das Buch jede Menge Denkanstöße und Anregungen weiter, um einen persönlichen inneren Frieden zu erlangen, der sich nach außen hin weiter ausstrecken kann bis weit ins Universum. Man würde also damit auch dem Planeten etwas Gutes tun, kollektiv mit allen Lebewesen eins sein. Was Gut und was Böse ist wird hier relativiert.

Ich habe überlegt, die vier Versprechen hier einzugeben, habe mich aber entschlossen, es doch sein zu lassen, da man auch die Hintergründe dazu kennen müsste, um sie zu verstehen.

Das Buch erhält von mir sieben von zehn Punkten ...

_________
Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 59
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86




Freitag, 23. Oktober 2015

Patrick Süskind / Die Geschichte von Herrn Sommer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre. 

Es ist ein dünnes Büchelchen gewesen von gerade mal 130 Seiten und davon jede Menge schöne, bunte Illustrationen von dem 1932 geborenen, bekannten französischen Zeichner und Karikaturist Sempé, der mit Süskind eine tiefe Freundschaft pflegt.

Es geht hier um eine recht skurrile männliche Figur namens Sommer. Herr Sommer leidet unter Klaustrophobie und das aus dem Grund, weil er im Ruhezustand permanent Zuckungen zu ertragen hat. Ein Mensch, von dem man den Eindruck gewinnt, er renne vor sich selber davon, indem er den ganzen Tag bei Wind und Wetter durch die Gegend hastet.

Da die Erzählung recht kurz ist, fokussiere ich den Inhalt auf eine für mich sehr schöne, komische Szene, die natürlich ein wenig spaßig ist, aber auch ein wenig ernst, wenn man sich in die Situation eines kleinen Jungens und dessen Probleme mit der Welt hineinversetzt.

Die Geschichte wird aus der Ichperspektive dieses Jungen erzählt, dessen Name den LeserInnen unbekannt bleibt. Da der Junge sehr naturverbunden ist, verbringt er viel Zeit im Wald. Er liebt Bäume, klettert viel und hat sich schon verschiedene Baumhäuser gebaut. Dadurch macht er auf eine höchst distanzierte Art und Weise die Bekanntschaft mit Herrn Sommer, ohne dass dieser sie bemerkt. Weil er mit seinem großen Stock und seinen mit Butterbroten und Regenjacke gefüllten Rucksack durch die Gegend flitzt, hauptsächlich auch durch die Wälder, erfährt der kleine Junge eine ganze Menge über den sonderbaren Herrn Sommer …

Der Junge verbringt viel Zeit mit sich allein. Er wirkt sehr zurückhaltend und schüchtern. In der Schule zählt er allerdings zu den Klassenbesten. Er hat sich in seine Klassenkameradin Carolina Kückelmann verguckt, als er eines Tages seine gesamte Schüchternheit über Bord wirft und er sie fragt, ob sie nicht Lust habe, ihn am Montag nach der Schule nach Hause zu begleiten. Er beabsichtigte, ihr sein Baumhaus zu zeigen und ihr seine Kletterkünste vorzuführen. Zu seiner Überraschung sagte Carolina zu. Doch am darauffolgenden Tag sagte sie der Einladung wieder ab …

Der Junge wird für den Klavierunterricht bei einer recht alten Lehrerin angemeldet. Um dort hinzukommen benötigt er ein Fahrrad. Der Junge lernt dadurch recht spät Fahrrad fahren. Als er es schließlich beherrscht, aber kein eigenes Fahrrad bekommt, wird ihm das Fahrrad seiner Mutter gestellt, das eigentlich für ihn viel zu groß ist. Er kann sich nicht auf das Fahrrad setzen, nein, er kann es nur stehend bedienen. Dadurch fühlt er sich unsicher und kann das Rad nicht so steuern, wie er es gerne möchte. Er muss oft vom Rad absteigen, vor allem, wenn Passanten vor ihm herlaufen, da er dadurch die Sicherheit verliert. Er kommt zu spät zum Musikunterricht und die Lehrerin wirft ihm alle möglichen Laster vor. Für den wahren Grund seines Zuspätkommens zeigte sie keinerlei Interesse ... Er wurde von einem Hund aufgehalten, der permanent nach ihm bellte …

Während des Klavierunterrichts kommt es zwischen dem Jungen und der Musikpädagogin zu einem heftigen Eklat. Die Lehrerin, die, nach der Erzählung des Jungen, steinalt zu sein scheint, und die wenig Geduld mit Kindern hat, obwohl sie über jede Menge Erfahrungen verfügt, wird mit dem Jungen einfach nicht fertig. Eigentlich ist diese Musikpädagogin eine richtige Furie, die wenig Verständnis für die Fehler ihres jungen Schülers aufzubringen weiß. Sie schreit und schimpft und tobt, verliert völlig die Kontrolle mit dem Kind. Der Junge macht immer wieder dieselben Fehler und die Lehrerin verliert nun völlig die Nerven, fühlt sich von dem  Schüler auf den Arm genommen. Plötzlich fängt sie an heftig zu niesen und lässt ihren Nasenschleim auf die Klaviatur fliegen, auf die Fis-Taste, sodass der Junge psychisch in eine richtige Krise gerät, und er nach der Musikstunde Suizidgedanken hegt, und macht viele Menschen dafür verantwortlich:
Ich zitterte am ganzen Körper. Meine Knie schlotterten so sehr, dass ich kaum gehen, geschweige denn Fahrrad fahren konnte. Mit bebenden Händen klemmte ich die Noten auf dem Gepäckträger fest und schob das Rad neben mir her. Und während ich schob, kochten die finsteren Gedanken in meiner Seele. Was mich in Aufruhr versetzte, was mich in diese bis zum Schüttelfrost gehende Erregung getrieben hatte, war nicht das Donnerwetter von Fräulein Funkel gewesen; nicht die Androhung von Prügel und Hausarrest; nicht Angst vor irgendetwas. Es war vielmehr die empörende Erkenntnis, dass die ganze Welt nichts anderes war als eine einzige, ungerechte, bösartige, niederträchtige Gemeinheit. Und schuld an dieser hohen Gemeinheit waren die anderen. Und zwar alle. Insgesamt und ohne Ausnahme alle anderen. Angefangen von meiner Mutter, die mir kein anständiges Fahrrad kaufte; meinem Vater, der ihr immer beipflichtete; meinem Bruder und meiner Schwester, die hämisch darüber lachten, dass ich im Stehen Rad fahren musste. Und dem widerlichen Köter von Frau Dr. Hartlaub, der mich immer belästigte; den Spaziergängern, die die Seestraße verstopften, sodass ich notwendigerweise zu spät in die Musikstunde kommen musste; dem Komponisten Häßler, der mich mit seinen Fugen anödete und quälte; dem Fräulein Funkel mit ihren verlogenen Beschuldigungen und ihrem ekelhaften Nasenpopel auf dem Fis… bis zum lieben Gott, ja auch dem sogenannten lieben Gott, der, wenn man ihn einmal braucht und flehentlich um Beistand bat, nichts Besseres zu tun hatte, als sich in ein feiges Schweigen zu hüllen und dem ungerechten Schicksal seinen Lauf zu lassen. Wozu brauche ich diese ganze Bagage, die sich gegen mich verschworen hatte? Was ging mich diese Welt noch an? In einer solchen Welt der Niedertracht, da hatte ich nichts verloren. Sollten doch die anderen an ihrer eigenen Gemeinheit ersticken! Sollten sie ihre Rotze doch hinschmieren, wo sie wollten! Ohne mich! Ich spiele da nicht länger mit. Ich würde dieser Welt Ade sagen. Ich würde mich umbringen. Und zwar sofort.  (…)
Der Junge sucht sich einen Baum aus, klettert hinauf und…
 … langsam ließ ich mich in die Knie, setzte mich auf den Ast, lehnte mich an den Stamm und verschnaufte. Bis zu diesem Moment war ich gar nicht dazu gekommen, darüber nachzudenken, was ich eigentlich zu tun im Begriffe war, so sehr hatte mich die Ausführung der Tat selbst in Anspruch genommen. Nun aber, vor dem entscheidenden Augenblick, kamen die Gedanken wieder, sie drängten sich heran, und ich lenkte sie, nachdem ich nochmals die ganze böse Welt und alle ihre Bewohner in Bausch und Bogen verdammt und verflucht hatte, auf die sehr viel anheimelndere Vorstellung meiner eigenen Beerdigung. Oh, es würde eine prächtige Beerdigung werden! Die Kirchenglocken würden klingen, die Orgel würde brausen, der Friedhof (…) könne die Menge der Trauernden kaum fassen. Ich läge auf Blumen gebettet im gläsernen Sarg, ein schwarzes Rößlein würde mich ziehen, und um mich wäre nichts als ein großes Schluchzen zu hören. Es schluchzten meine Eltern und meine Geschwister, es schluchzten die Kinder aus meiner Klasse, es schluchzten Frau Dr. Hartlaub und Fräulein Funkel, von weit her waren Verwandte und Freunde zum Schluchzen gekommen, und alle schlugen sich, während sie schluchzten, vor die Brust und brachen in Wehklagen aus und riefen: >>Ach! Wir sind schuld, dass dieser liebe, einzigartige Mensch nicht mehr bei uns ist! Ach! Hätten wir ihn doch besser behandelt, wären wir doch nicht so böse und ungerecht zu ihm gewesen, dann würde er jetzt noch leben, dieser gute, dieser liebe, dieser einzigartige und freundliche Mensch!<< Und am Rande meines Kraters stand (meine große Liebe) Carolina Kückelmann und warf mir einen Strauß Blumen und den allerletzten Blick nach und rief unter Tränen mit schmerzgequälter heiserer Stimme: >>Ach, du Lieber! Du Einzigartiger! Wäre ich doch damals am Montag mit dir gegangen!<< 
Herrlich, diese Fantasien! Ich schwelgte in ihnen, ich spielte die Beerdigungen in immer neuen Varianten durch, von der Aufbahrung bis zum Leichenschmaus, bei dem rühmende Nachreden auf mich gehalten wurden, und schließlich war ich selbst so gerührt davon, dass ich, wenn ich nicht schluchzte, so doch feuchte Augen bekam. Es war die schönste Beerdigung, die man je in unserer Gemeinde gesehen hatte, und noch Jahrzehnte später würde man in wehmütiger Erinnerung davon erzählen … Jammerschade nur, dass ich selbst nicht wirklich würde daran teilnehmen können, denn ich wäre ja dann tot. Daran war bedauerlicherweise nicht zu zweifeln. Ich musste tot sein bei meiner eigenen Beerdigung. Beides war nicht auf einmal zu haben: die Rache an der Welt und das Weiterleben in der Welt. Also die Rache!
Nun ist Herr Sommer während dieser Szenen keineswegs aus meinen Augen geraten. Er wird hier, ohne dass er es selber weiß, noch eine recht bedeutungsvolle Rolle spielen, die ich aber nicht verraten möchte.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten.

_____
Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 58
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Donnerstag, 22. Oktober 2015

Patrick Süskind / Die Geschichte von Herrn Sommer

Klappentext
Zu der Zeit, als ich noch auf Bäume kletterte, lebte in unserem Dorf, keine zwei Kilometer von unserem Haus entfernt, ein Mann mit Namen ›Herr Sommer‹. Kein Mensch wusste, wie Herr Sommer mit Vornamen hieß, und kein Mensch wusste auch, ob Herr Sommer einem Beruf nachging. Man wusste nur, dass Frau Sommer einen Beruf ausübte, und zwar den Beruf der Puppenmacherin. Obwohl man über die Sommers und insbesondere über Herrn Sommer so gut wie nichts wusste, kann man doch mit Fug und Recht behaupten, dass es im Umkreis von mindestens sechzig Kilometern um den See herum keinen Menschen gab, Mann, Frau oder Kind – ja nicht einmal einen Hund –, der Herrn Sommer nicht gekannt hätte, denn Herr Sommer war ständig unterwegs. Es mochte schneien oder hageln, es mochte stürmen oder wie aus Kübeln gießen, die Sonne mochte brennen, ein Orkan im Anzug sein, Herr Sommer war auf Wanderschaft.


Autorenporträt
Patrick Süskind, geboren 1949 in Ambach am Starnberger See, studierte in München und in Aix-en-Provence mittlere und neuere Geschichte und verdiente seinen Lebensunterhalt zunächst mit dem Schreiben von Drehbüchern. 1984 erschien sein Ein-Personen-Stück ›Der Kontrabaß‹, 1985 sein Roman ›Das Parfum‹, der 2005 von Tom Tykwer verfilmt wurde. 1987 folgte die Erzählung ›Die Taube‹ und 1991 ›Die Geschichte von Herrn Sommer‹, mit Illustrationen von Jean-Jacques Sempé. Patrick Süskinds Werk ist in über fünfzig Sprachen übersetzt.

Von Patrick Süskind habe ich gelesen:

Die Taube und Das Parfüm. Aber da liegen bestimmt mehr als zwei Jahrzehnte dazwischen, als ich diese beiden Bände gelesen hatte. Vor allem Die Taube war wundervoll. Die Geschichte werde ich nie vergessen. Kann ich sehr empfehlen. Das Parfüm habe ich auch als Verfilmung im Kino genossen. Die Verfilmung wurde sehr buchnah gedreht. Schade, dass man so wenig von Süskind hört.

Und die vorliegende Erzählung? Sehr originell kann ich nur sagen. Passt zum Autor. Süskind bleibt seinem interessanten Schreibstil treu.




Mittwoch, 21. Oktober 2015

Francesca Marciano / Stimmen aus Glas (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Ich fühle mich so richtig hin- und hergerissen von dem Buch. Man hat es hier mit mehreren Nationalitäten zu tun, die teilweise recht klischeehaft beschrieben werden …
Das führt bei mir gleich zu einem Abzug von zwei vollen Punkten …

Andererseits ist der Schreibstil recht interessant und fantasievoll. Es sind nur die Gedanken der italienischen Autorin, die mir oftmals zu einfach sind und mir nicht behagen. Ist mir zu wenig reflektiert, was die Herkunft von Menschen betrifft, die sie in Rassen einteilt. Man weiß doch heute, dass der Mensch mehr als nur das Produkt seiner Erbmasse ist und dass der Begriff Rasse heutzutage, zumindest hier in Deutschland, in der Zuteilung von Menschengruppen kaum noch Verwendung findet, wegen der diskriminierenden und stereotypen Art, mit denen man Menschen dummerweise festlegt. Ich würde eher von verschiedenen Ethnien sprechen ... Kulturverständnis wie z.B. die Aneignung einer Muttersprache, u.a.m. ist keinesfalls genetisch bestimmt und angeboren. Das Erlernen dieser kann über leibliche Eltern geschehen, oder aber auch über Adoptiveltern einer anderen Muttersprache.


Das wird nicht per se über die Genetik gesteuert, nur weil jemand eine dunkle Hautfarbe hat, oder helle Haare, oder einen fremdländischen Namen trägt ... Auch die Identität ist keine genetische Angelegenheit.

Oftmals sind mir die Dialoge zu sentimental, gerade zum Ende hin, das mir auch nicht gefallen hat. Stichwort: Schuldgefühle.
Auch die Reise nach Afghanistan fand ich trotz der absolvierten Kurse in London wenig professionell und wenig vorbereitet. Stichwort: Plastikgeld/Bargeld.

Gefallen hat mir, wie die Autorin über Afghanistan schreibt. Sehr authentisch  geschrieben. Es ist ihr gelungen, die Problematik der afghanischen Frauen aufzugreifen, über deren Unfreiheiten zu sprechen.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: die zurückhaltende, in einer Lebenskrise befangene Maria Galante aus Mailand und die extrovertierte Imogen Glass aus London. Ein gefährlicher Auftrag führt die beiden zusammen nach Afghanistan: Sie sollen zwangsverheiratete Frauen in den abgelegenen Dörfern porträtieren. Der Weg dorthin führt durch ein zerrissenes Land, das den Militärs, Söldnern und Waffenhändlern wehrlos ausgeliefert scheint.
Vieles, was sie über Afghanistan schreibt, vor allem über die Lebensweise der jungen und alten Frauen, ist mir nicht neu. Alle Länder der westlichen Welt setzen sich damit auseinander. Aber auch die Stellung, die afghanische Männer über westliche Frauen beziehen, fand ich äußerst interessant. Beide Seiten haben allerdings der anderen Kultur gegenüber eine etwas arrogante Haltung gezeigt.

Maria habe ich als eine recht empathische Fotojournalistin erlebt, die sich wunderbar mit ihrer Kollegin Imo ergänzt hat.
Maria verhielt sich den Frauen gegenüber eher vorsichtig und zurückhaltend, Imo war eher fordernd. Beide Energien empfand ich ergänzend sehr wichtig …

Und hier ein sehr schönes Zitat. Zeigt ein wenig die Kaltblütigkeit der JournalistInnen: Maria berichtet über ihre Erfahrungen mit Menschen anderer Kulturkreise, die alle recht problembehaftet sind.
Ich mache Reportagen über albanische Immigranten, Aidsopfer in Afrika, Transsexuelle in Indien, streikende Fabrikarbeiter, aber es waren alles traurige Geschichten, bei denen ich mir wie ein Dieb vorkam, der den Kummer der Leute ausnutzt und wie ein Geier die richtige Sekunde abwartet, um auf den Auslöser zu drücken. 
Diese Hemmnis, den Fotoapparat wie ein Schießgewehr zu nutzen, macht sich über das ganze Buch breit.

Maria und Imo begeben sich in die Gesellschaft mehrerer afghanischer Frauen, die sich sehr ängstlich gegenüber den beiden westlichen Damen zeigen. Imo führt das Interview und Maria sollte Fotos machen, ohne die Frauen darauf vorzubereiten. Das ist aus meiner Sicht typischer Journalismus. Als Maria die Kamera aus ihrer Handtasche zückt, lehnen sich die Frauen dagegen auf. Sie haben Angst, in die Zeitung zu kommen und von ihren Ehemännern anschließend verprügelt zu werden.

Es geht um ein junges Mädchen, das mit einem Mann, der dreimal so alt war wie es selbst, zwangsverheiratet werden sollte. Das Mädchen zeigte Widerstand, wollte sich mit dem Feuer suizidieren und liegt nun mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus. Die Mutter des Mädchens gibt an, dass ein Mädchen sich erst den Wünschen des Vaters und später den Wünschen des Ehemannes zu fügen habe. Ansonsten drohe Mord.

Imo und Maria besuchen das Mädchen im Krankenhaus. Die Frauen dort waren aufgebracht, als Maria versuchte, das Mädchen zu fotografieren. Man habe nicht das Recht, sich in ein Krankenhaus zu schleichen, um ein Foto zu machen, ohne um Erlaubnis zu fragen.

Beide Frauen, Maria und Imo, stehen unter Druck. Es müssen Fotos her, egal wie. Das allein verlangt schon die Presse, für die sie arbeiten.
Ich war wütend auf Imo, noch mehr als auf mich. Gewiss, aus rein professioneller Sicht hatte ich gleich bei meinem ersten Einsatz versagt-und das tat weh; andererseits aber verdross es mich, dass sie so tat, als wüsste sie nicht, welch ein räuberischer Akt es gewesen wäre, ein Foto von der Mutter des Mädchens zu machen.In früheren Zeiten war ich mit anderen Journalisten schon in ähnliche Schwierigkeiten geraten. Ich hatte mich mit meiner Kamera in schmerzliche Situationen drängen müssen-in Krankenhäusern, Elendsquartieren, in Slums-und hatte draufgehalten, ungeachtet der Wut derer, die ich ablichtete. Hatte ich mich damals schon so gefühlt, als richtete ich eine Waffe auf sie, so konnte ich es diesmal nicht ertragen, wieder der rücksichtslose Scharfschütze zu sein. 
Teilweise respektlos verliefen diese journalistischen Sitzungen ab, die Ärger verursachten. Maria schlägt vor:
Es ist besser, wir stellen uns erst vor. Wir können nicht einfach so reinmarschiert kommen und Fotos machen. Das ist ja wie ein Überfall, (…). Außerdem hat das arme Mädchen wirklich gelitten, glaube ich.
Sie versuchen den Frauen klar zu machen, wie wichtig es sei, weltweit auf ihre Problematik aufmerksam zu machen, damit sie eines Tages mehr Freiheit erlangen können.

Diesen Gedanken finde ich ein wenig naiv, denn die Westlerinnen kommen, um den Frauen zu sagen, wie man ein richtiges Leben führt.

Ich halte nun noch zwei Gedanken fest, und zwar, wie die Männer, in diesem Fall ist es Malik, der stellvertretend für alle Männer seines Landes spricht, westliche Frauen in ihrer Lebensweise einschätzen:
Malik sagt, dass die Westler glauben, ihre Kultur sei der unseren überlegen, weil die Frauen keinen Schleier zu tragen brauchen. Er sagt, was ihr Westler nicht versteht, ist, dass muslimische Frauen sich freiwillig verschleiern, weil bei uns das Äußere einer Frau nichts mit ihrem Platz in der Gesellschaft zu tun haben sollte. (…) In unserer Kultur hat eine Frau, je mehr sie altert, desto mehr Weisheit, Autorität und Macht in der Familie. Im Westen dagegen ist eine Frau, die ihre Schönheit verloren hat, wertlos und hat keinen Platz in der Gesellschaft. (…) Bei euch liegt der Wert einer Frau nur in ihrer Erscheinung, bei uns dagegen liegt er eher in ihrer Seele und in ihrem Herzen. Dem Koran zufolge gehört die Schönheit einer Frau allein ihrem Ehemann, und sie ist ein Geschenk, das nur für seine Augen bestimmt ist, während sie im Westen wie eine Ware ist, etwas, mit dem man handelt und das man ausstellt wie auf dem Markt.  
Imos Reaktion:
Also, erstens, wir haben die Wahl und es ist nicht wahr, dass im Westen der Wert einer Frau nur in ihrer Schönheit liegt, (…). Unsere Frauen haben einen Platz in der Regierung, lehren an Hochschulen, sind Richterinnen, Staatsanwältinnen. (…) Und sie sind Reporterinnen, wie Maria und ich. Mit anderen Worten, Frauen tragen dazu bei, die Geschicke des Landes zu lenken. 
Das Argument, die Schönheit verheirateter Frauen gehöre nur ihren Männern, klingt in meinen Ohren recht hohl. Was ist mit hübschen Männern? Na, nun her mit den Schleiern auch für die Männer ...


Mein Fazit?

Die Frauen in diesen streng patriarchalisch geführten Ländern müssen psychosozial, politisch, familiär und gesellschaftlich … eine Menge bewältigen. Nicht jede Frau hat die Kraft, sich dem zu widersetzen, mit dem sie ihr Leben existentiell gefährden würde. Frauen aus der westlichen Welt können nur froh sein, dass es ihnen in ihrer relativ autonomen Lebensweise verhältnismäßig gut geht. Es gab genug Vorreiterinnen, die nicht nur für sich selbst, sondern hauptsächlich auch für die Frauen der Nachwelt den Kampf um mehr Frauenrechte geführt haben. Ich fordere mehr Respekt auf beiden Seiten. Ich fordere für die muslimischen Frauen, die nicht die Kraft haben, sich für ein besseres System einzusetzen, mehr Toleranz und Empathie und man sollte aufhören, sie mit der Arroganz der westlichen Welt noch weiter seelisch zu kränken und sie symbolisch zu verstoßen. Wir sollten aufhören, sie als rückständig zu betrachten. Sie haben es in ihrer von Männern dominierten Welt schon schwer genug. Ich fordere eine Solidarität mit allen Frauen, mit oder ohne Kopftuch, denn die westliche Frau  kann gar nicht wissen, wie sie sich selbst, wäre sie in ein solches System hineingeboren, verhalten würde.

Solidarität mit allen muslimischen Männern, die ebenso unter diesem Regime leiden, und die versuchen, es ihren Frauen wenigstens innerhalb ihrer gegründeten Familie leicht zu machen. Und deshalb bin ich gegen Verallgemeinerungen. 

Was wissen wir schon von den inneren Erfahrungen muslimischer Frauen und deren Männern? Was wissen wir überhaupt von den inneren Erfahrungen eines Menschen, der uns gegenüber steht?

Das Buch erhält von mir sieben von zehn Punkten.

_____
Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

Gelesene Bücher 2015: 57
Gelesene Bücher 2014: 88
Gelesene Bücher 2013: 81
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86



Sonntag, 18. Oktober 2015

Mein Besuch auf der Frankfurter Buchmesse / 17.10.2015, Gastland Indonesien

Der Morgen verlief nicht wirklich nach Plan. Ich hatte mich am Abend zuvor recht ausführlich auf die Buchmesse vorbereitet, indem ich mir eine Skizze erstellte. Welche von mir favorisierten AutorInnen würden vertreten sein, und in welchen Foren bzw. an welchem Stand kann man an deren Lesungen teilnehmen?

Mein Zug sollte um 9:25 Uhr vom Darmstadt Hauptbahnhof abfahren, doch er kam mit zehnminütiger Verspätung. Als er dann schließlich anrollte, und eine Masse an Fahrgästen in den Zugabteilen sich hineinzwängten, fuhr der Zug dann so allmählich ab. Aber im Schneckentempo. Um 10:30 Uhr wollte ich an der Lesung von Paul Maar teilnehmen. Eigentlich benötigt man mit der Regionalbahn nur zwanzig Minuten bis nach Frankfurt. Das war heute nicht so. Leider kam ich verspätet an der Lesung an.


Auf dem Darmstädter Hauptbahnhof fand ich wie in den anderen Jahren zuvor erneut schicke Literaturfiguren. Eine hat mir besonders gut gefallen und so durfte ich mit ihrer Erlaubnis ein Foto schießen und in meinen Blog platzieren.


Für mich war sie Madame Bovary, geschrieben und literarisch porträtiert von Gustave Flaubert. 






Gut, dass ich für die Buchmesse vorbereitet war, so musste ich nicht erst suchen, wo ich Paul Maar finden konnte. Überall standen, auch an den Infoständen, lange Schlangen. Trotzdem war ich von der Fülle an Menschen arg überwältigt. Es ging größtenteils nur mit Trippelschritten voran. Das ist nicht jedes Jahr so gewesen. Am liebsten wollte ich mich wieder verkriechen, s. Foto unten. Ich hoffte anfangs, ich würde durch die AutorInnen schon noch entschädigt werden und bat mich selbst um Geduld. 




Ich komme nun zu Paul Maar, der wieder über seine Bücher gesprochen hat. Wie sei es dem Autor möglich, Kinderbücher zu schreiben, wo doch seine Kindheit schon so lange zurückliegen würde? Und die Kinder heute wachsen in einer digitalen Welt auf, ganz anders also als die Kinder vor zwanzig Jahren.

Paul Maar erwiderte, dass er tiefe Wurzeln in der Vergangenheit haben würde. Er bestätigte, dass sich die Kindheit heute gewandelt habe, aber es würden auch Themen existieren, die zeitlos seien, wie z. B. die Hierarchie unter den Geschwistern, oder die Trennung der Eltern, ect.

Was PC-Spiele betrifft, so kann auch Paul Maar ein Lied davon singen. Er musste alle seine Spiele vom PC löschen, sosehr ergriffen wurde auch er davon.


Die nächste Frage lautete, woher er seine Figuren und Ideen nehmen würde? „Meine Figuren wissen ganz genau, wann sie zu kommen haben. Wenn ich mich an den Schreibtisch setze, dann kommen sie auch.“

Paul Maar würde sehr viel Fanpost von seinen jungen LeserInnen erhalten, und er würde auch jeden Brief beantworten.
Was sind die blauen Punkte auf Sams Nase? 
Das sind Wunschpunkte.
Ein Beispiel eines kleinen Mädchens, das von ihrem dicken Kater schrieb, der an Krebs erkrankt sei. Sie fragte, ob Sams auch Krebs habe, weil auch er so dick sei. Nein, erwiderte Paul Maar, Sams habe keinen Krebs, er sei einfach  nur verfressen. Die junge Leserin fragte, ob sie auch einen Wunschpunkt haben könnte, um sich den Kater gesund zu wünschen. 


Weiter geht´s zu Mario Adorf. Ich habe noch ein wenig Zeit und kann in Ruhe den Stand aufsuchen, während ich zwischendrin mir noch Bücher anschaute.

Mario Adorf habe nicht nur schauspielerisches Talent, nein, er sei auch mit einer großen Portion Schreibtalent ausgestattet.
Seine erste Rolle erhielt er schon als Kind. Eine Zwergenrolle, er spielte den kleinsten Zwerg.

Mario Adorf war zu seiner Schulzeit der Klassenclown. Auch ahmte er gekonnt seine Lehrer nach, bei denen


er sich unbeliebt machte. Kann ich mir sehr gut vorstellen, hihihi.

Mario Adorf, Jahrgang 1930, war auch Mitglied in der Hitlerjugend. Doch die Ernsthaftigkeit hatte er aufgrund seines jungen Alters damals noch nicht erfassen können. Für ihn war die HJ nur ein Spiel. Mit dreizehn Jahren meldete er sich zum freiwilligen Kriegsdienst, zu dem es aber schlussendlich nicht gekommen sei.

Adorf über seine Schreib- und Erzählkunst. Schreiben sei eine viel strengere Disziplin als das Erzählen. Adorf habe während des Schreibens immer das Publikum vor Augen. Er schreibe auch nur für das Publikum, nie für sich selbst. Sein Ziel sei immer, Helligkeit und Heiterkeit in das Dunkle zu bringen. 

Und nun weiter zu Ilja Trojanow. Ein sehr ruhiger und recht sympathischer Schriftsteller. 

Trojanow liest aus seinem neuesten Roman: Macht und Widerstand. In dem Buch geht es um einen totalitären Staat Bulgariens, der schwer zu überwinden sei. Die Menschen seien so schwer traumatisiert, dass sie es nicht wagen würden, über ihre Erfahrungen, bzw. über ihren Schmerz zu erzählen. Dominanz würde in der Stille, im Schweigen liegen. Wenn geredet werden würde, dann nur über das Unwesentliche, um vom Wesentliche abzulenken. Wie könne es sich eine Gesellschaft leisten, über die eingeprügelte Gewalt zu schweigen? 

Trojanow bezeichnet das Volk in Bulgarien zwar als machtlos, aber es sei nicht ohnmächtig. 
Die Kostümierung von Macht und Herrschaft würden abfallen, wenn man genug Humor aufbringen könne. Die Herrscher würden alles andere als Humor mögen ... 

Ich habe beschlossen, mir auch dieses Buch von dem Autor zu beschaffen.

Nach der Lesung hatte ich bis zur nächsten Lesung ein klein bisschen Zeit und schaute mir die Bücher aus den verschiedensten Verlagen an. Habe zu unserer derzeitigen politischen Lage etwas Schönes gefunden, das ich meinen jungen Neffen zu Weihnachten schenken werde.







Versehentlich bin ich im Anschluss an Trojanow in ein falsches Forum geraten. Ich erwartete Rafik Schami, der nicht kam. Ich wusste allerdings, dass er auch vom Hessischen Rundfunk, ARD, eingeladen wurde. Also begab ich mich erneut auf die Tour und suchte das F0 - Forum auf.



Rafik Schami kann man schlecht sehen auf dem Foto aber zumindest konnte ich ihn live erleben und das Interview hat dazu geführt, dass ich sein neuestes Buch in der Frankfurter Bahnhofsbuchhandlung käuflich erwerben konnte.


Ich hätte das Foto zuschneiden können, aber das wollte ich in diesem Fall nicht. Ich möchte die Wirklichkeit in der Buchmesse so festhalten, wie sie war. 

Man hatte aber auch die Möglichkeit, das Interview in dem Forum während der Live-Übertragung über TV zu verfolgen.

Rafik Schami äußerte sich recht ausführlich über die europaweite Flüchtlingswelle und dass Deutschland den Namen Mutter Theresa verdient habe, während andere Länder Stacheldraht oder Mauern hochziehen würden, die damit den Flüchtlingsstrom aber nicht abreißen würden können. 

Ganz so einseitig sehe ich diese sog. Willkommenskultur nicht, denn ich kenne genug andere Leute, die auf hohem Niveau jammern, dass man so viel für die Fremden tun würde und zu wenig für das eigene Volk. Es gibt relativ viele treue Merkel-WählerInnen, die die Absicht haben, sie bei der nächsten Bundestagswahl abzuwählen. Es herrschen ja diesbezüglich Unruhen auch in anderen Teilen Europas. Rafik Schami gab ein paar hilfreiche Statements von sich, wie man diesen Flüchtlingen innerhalb ihres eigenen Landes und Kontinents helfen-, so dass ein Abwandern verhindert werden könnte.
Schami appellierte an die Menschen mit dem muslemischen Glauben um mehr Toleranz den Menschen der westlichen Welt gegenüber und plädierte für eine Selbstkritik des Islams.

Zwei AutorInnen, Peter Härtling und Verena Luecken sind doch nicht am Wochenende zur Buchmesse erschienen, was ich sehr schade fand, da sie erst angekündigt waren. Aber ganz so traurig bin ich nicht. Es wäre mir vielleicht zu viel geworden. Ich musste schon das Autorenforum platzen lassen.


Nun geht es weiter in das Forum F1, in dem Indonesien gastierte.

Es war recht dunkel in dem Saal, aber angenehm, denn er wurde von vielen schönen Buchseiten, Lampen, beleuchtet. Indonesien bringt viel Licht in das Dunkle. Und teilweise ohne viel Worte und ohne jegliche Buchstaben.





Jede Menge Stände mit landesüblichen Gewürzen. Ich fotografierte aber nur einen Gewürzstand.




Musikinstrumente, die ich zuvor noch nie gesehen habe. 





Jede Menge Comics gab es zu sehen. Wegen der Reizüberflutung habe ich nur einen Band fotografiert. 





Eine Lesung in der Muttersprache. Man begegnete hier recht viele Indonesier mit ihren Familien. Fand ich höchst interessant.




Und hier der deutsche Inselkenner Lothar Reichel und sein neuestes Werk Insel der Dämonen. Mir ist der Autor eigentlich unbekannt. Habe aus dem Klappentext entnehmen können, dass Reichel ein Weltenbummler sei und sich sehr gut in Asien auskennen würde. Er hat zudem jede Menge Krimis verfasst. Das vorliegende Buch scheint wohl auch ein Krimi zu sein, aber es findet alles auf der Insel Bali statt. 


Und zum Abschluss ein Nationalgericht auf einem Bambusteller. Und auch noch alles vegan.

Nach dem Essen begab ich mich auf dem Weg nach Hause. Ich muss schon sagen, ich leide schon ein wenig unter dieser Reizüberflutung, der man auf der Buchmesse ausgesetzt sein kann. Zu Hause musste ich alles von mir abfallen lassen; Taschen, Jacken, Gedanken wie eine zweite Haut von mir abwerfen, und den Kopf wieder frei machen. Habe meinen Fernseher eingeschaltet und mir eine DVD gegönnt, um ein wenig die Buchmesse zu vergessen, die ich, wie anfangs schon berichtet, als sehr anstrengend empfunden habe. Und trotzdem bereue ich es nicht, mich dieser Strapaze ausgesetzt zu haben.

Würde ich jedes Jahr wieder tun. Ich habe mich durch die AutorInnen entschädigt gefühlt.