Sonntag, 26. Mai 2013

Steve Tesich / Ein letzter Sommer



Klappentext
East-Chicago, 1969: Daniel Price, der 18jährige Held und Ich-Erzähler, schließt zusammen mit seinen Freunden Larry und Billy die Highschool ab. Die unbeschwerten Tage sind gezählt: Die Zukunft warte auf sie, wird den drei Freunden gesagt, aber sie haben keine Ahnung, wo. Vor ihnen liegt ein Sommer der Entscheidungen und viel schneller als erwartet trennen sich ihre Wege – Billy wählt das ruhige Leben in East-Chicago, Larry die Revolte und Daniel bleibt zunächst unentschlossen – nur nicht, als er sich in die unergründliche Rachel verliebt. Sie ist für ihn das Versprechen einer großen weiten Welt, die Flucht aus den Konflikten seiner schönen, exotisch anmutenden Mutter mit seinem krebskranken, verbitterten Vater. Doch Daniels Liebesglück ist überschattet von einem Familiengeheimnis Rachels, das ihn immer tiefer in den Sog seiner widersprüchlichen Gefühle zieht.Steve Tesich schildert in Ein letzter Sommer die Komplexität des Erwachsenwerdens – poetisch, liebevoll und mit analytischem Blick. Im Zentrum stehen jugendliche Hoffnungen, ambivalente Gefühle und eine kraftvolle Liebesgeschichte, die das Leben des Helden verändern: Daniel geht aus diesem letzten Sommer der unterschiedlichsten Empfindungen zwischen Tod und unerfüllter Sehnsucht wie neugeboren hervor und tritt, ausgestattet mit dem nötigen Rüstzeug, in die Welt hinaus.

Autorenportrait im Klappentext
Steve Tesich wurde 1942 in Jugoslawien geboren und kam im Alter von vierzehn Jahren nach Indiana/USA. Er studierte russische Literatur an den Universitäten von Indiana und Columbia und promovierte 1967. Er schrieb zahlreiche Stücke und Drehbücher, u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch für den Film Breaking Away und für Garp und wie er die Welt sah. Tesichs erster Roman Ein letzter Sommer erschien 2005 auf Deutsch bei Kein & Aber und war ein überwältigender Erfolg. Steve Tesich starb 1996 im Alter von 53 Jahren.
Der Autor selbst ist mir unbekannt. Sollte mir das hiesige Buch gut gefallen, dann habe ich einen neuen Autor gefunden, dessen Buchreihe ich fortsetzen werde. Ich habe das ganz gerne, von einem Autor mehrere Bücher zu lesen, denn nur so lernt man einen Autor kennen.

Entdeckt habe ich das Buch bei Oxfam, das ich für nur 3,95 € erworben habe.
Habe aber gesehen, dass es das Buch mittlerweile auch als TB gibt.

Ausgesucht hat das Buch für mich Anne aus meinem großen und aus meinem kleinen SuB, als ich schon wieder in Entscheidungsschwierigkeiten steckte.



Thomas Hardy / Herzen im Aufruhr (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre



Der Protagonist des Romans nennt sich Juda Fawley, ein Waisenkind, das bei seiner Tante aufwächst, die ihn nicht sonderlich gut behandelt, aber keinesfalls so schlecht mit ihm umgeht, wie es den Waisenkindern aus Dickens Büchern oft ergeht. Die Tante gibt ihm immer wieder zu spüren, dass es besser gewesen wäre, wenn er wie die Eltern mit in den Tod getrieben worden wäre. Das stelle ich mir für ein Kind grausam vor, unter solchen Umständen aufzuwachsen.

Juda liebt Bücher, was auf dem Land unüblich ist und versucht sich autodidaktisch Latain und Altgriechisch beizubringen. Desweiteren liest er viele Bücher aus dem Abendland. Sein Ziel ist, in die Großstadt Christminster zu reisen, die Stadt der vornehmen und gelehrten Leute. Im Alter von 19 Jahren lernt er allerdings eine junge Frau namens Arabella Donn kennen, die sich Hals über Kopf in Juda verliebt und sie es schafft, ihn an sich zu binden. Aus ist es mit dem Lesen und der Gelehrsamkeit. Die Freundin täuschte eine Schwangerschaft vor, als er sich seiner Ziele wegen von ihr zu trennen beabsichtigte. Es kommt zu einer Vermählung, doch die Ehe scheiterte kurzerhand.

Juda ist mir auch deshalb so sympathisch, weil er Mitleid mit Tieren hat, die von Menschen schlecht behandelt wurden. Als Junge wurde er auf dem Feld eines Bauern zum Vogelverscheuchen eingestellt. Juda, als die lebende Vogelscheuche sozusagen. Juda bekam Mitleid mit den Vögeln, da sie auch nur fressen wollten um zu leben, so ließ er den Vögeln ein paar Saatkörner picken. Der Bauer beobachte den Vorfall, schlug ihn windelweich und entließ ihn.

Später, kurz nach der Vermählung mit Arabella, wurde ein Schwein geschlachtet. Dadurch, dass der Schlächter nicht rechtzeitig kam, musste er und seine Frau das übernehmen. Die Frau redete auf Juda ein, das Schwein so zu schlachten, dass es einen langsamen Tod stirbt, damit das Fleisch dadurch eine höhere Qualität erlangen könne und man auf dem Markt dafür mehr Geld bekommen würde. Juda tat das Schwein leid und er tötete es so, dass es binnen kürzester Zeit sterben konnte. Dennoch quiekte das Schwein hoffnungslose Schreie aus... .

Juda war anders als die meisten Männer seines Dorfes Marygreen. Er war sensibel. Und er war gelehrig, war in der Lage, sich Bücher anzueignen, für die er im Dorf verspottet wurde. Sein Dorfschulleher Richard Phillotson, der Marygreen verließ, auch wegen ehrgeiziger beruflicher Ziele, beschaffte ihm die Lehrwerke zu den alten Sprachen. Richard Phillotson bleibt bis zum Ende des Romans eine wichtige Figur.

Im zweiten Teil  sucht mein junger Held seinen Platz in der Welt. Mittlerweile ist er in die Gelehrtenstadt Christminster eingereist und hat dort im Handwerk Arbeit gefunden. Er bewarb sich an einem College und machte den Fehler, sich dem Direktor nicht als ein Autodidakt in Latein und Altgriechisch vorzustellen, vielleicht hätte er damit dem Rektor imponiert und ihm eine große Fähigkeit gezeigt, nein, er stellte sich als ein Arbeiter vor, und erwähnte mit keinem Laut sein Selbststudium. Der Rektor riet ihm von einem Studium ab, und er solle sein Glück als Arbeiter weiter vervollständigen. Armer junger Mann. Auch mit der Liebe scheint es nicht so recht zu klappen.

Das waren Teil I und Teil II von acht Teilen in mehre Kapiteln untergliedert.

In den weiteren Abläufen bestimmen gesellschaftliche Konventionen das Leben der damaligen Menschen. Und nicht nur das. Der Roman spielt in einem kinderfeindlichem England. Juda und seine neue und junge Partnerin Susanna Bridehead gehen eine Wildehe ein, aus der mehrere Kinder geboren werden. Ständig befindet sich diese junge Familie auf der Flucht, immer auf der Suche nach einem Platz in der Welt.
Der Roman spielt im Viktorianischen England, das bestimmt ist durch Tratsch und Klatsch und dadurch anders denkenden Menschen das Leben schwer gemacht wird.

Ich liebe Bücher, deren Verläufe sich nicht voraussehen lassen und das ist dem Autor gelungen. Obwohl seine Absicht primär darin lag, seine Leser zu schockieren, durch die miserablen gesellschaftlichen Umstände im damaligen England. Mich hat Hardy schockiert... . Seine Leser hatte er damals auch schockiert und zwar in dem Maße, dass sie Hardys Werk abgelehnt hatten. Vor allem die Kirche verschmähte das Buch.

Die Beziehung zwischen Juda und Sue endet mit einer Tragödie, die für mich völlig unerwartet erschien. Mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht mit so einer tragischen Entwicklung.

Das Buch habe ich bis zum Schluss mit großem Interesse gelesen. Vor allem die letzten fünfzig Seiten erweisen sich mir besonders spannend. Ich habe das Werk als ein ganz besonderes Buch erlebt. Es ist so besonders in seiner Art, dass ich diesmal meine Buchbesprechung nicht in einem so breitem Umfang gestalten werde wie sonst. Ich werde die Zitate weglassen, weil ich der Meinung bin, dass jede oder jeder interessierte Leser von der ersten Seite an beginnen sollte, die Erfahrungen selber zu machen, ohne sie von mir auf eine Spur zu bringen. Diese vielen Überraschungen, die ich selbst erfahren habe, gönne ich jedem anderen auch.

Thomas Hardy ist ein Zeitgenosse von Charles Dickens auch wenn 28 Jahre zwischen ihnen liegen. Ich habe beide Schreibstile miteinander verglichen und mir hat Hardy, obwohl ich großer Fan von Dickens bin, besser gefallen, hat mich mehr überzeugt, da Hardy überhaupt authentischer mit Gefühlen und Emotionen umgeht als Dickens es tat. Bei Dickens fließen mir zu viele Tränen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Zu viel Rührseligkeit, für mich zu sentimental. Und bei Dickens errate ich meist so ziemlich genau die Abläufe, bei Hardy fand ich Überraschungen vor.

Herzen im Aufruhr ist ein Buch, das an das Shakespeares Drama Romeo und Julia erinnern lässt. Aber bitte nicht gleich denken, dass sich Sue und Juda sich das Leben nehmen... .

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten. Wegen der Authentizität im Auftritt und Charaktere der Figuren und wegen der Vielfalt an Ideen und wegen des interessanten Aufbaus der Thematik!

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Ich habe sowohl ein Herz als ihr und bin nicht geringer denn ihr;
und wer ist, der solches nicht wisse?                        
                                                    Hiob XII, 3
(Thomas Hardy)

Gelesene Bücher 2013: 35
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Sonntag, 19. Mai 2013

Thomas Hardy / Herzen im Aufruhr


 

Klappentext
Der Kampf zwischen Fleisch und Geist kann tödlich enden", sagt der englische Dichter Thomas Hardy, und kaum ein anderer Roman führt das so schonungslos vor Augen wie "Herzen im Aufruhr": Er erzählt von der innigen Begegnung zweier junger Menschen in Südengland am Ende des 19. Jahrhunderts, ihrer kompromisslosen Liebe zueinander und der zerstörerischen Macht eines grausamen Schicksals. Der Steinmetz Juda Fawley und seine Kusine Sue Bridehead lieben sich, doch Juda ist auf dem Papier der Gatte einer Frau, die ihn kuzr nach der Hochzeit verlassen hat. Sue gibt den Werbungen des alternden Lehreres Phillotson nach und entdeckt zu spät, dass die Ehe mit dem ungeliebten Mann eine körperliche und seelische Qual für sie ist... "Jude the Obscure" löste nach seinem Erscheinen 1895 bei Kritikern und Publikum einen Sturm der Entrüstung aus und blieb daher der letzte von Hardys (Hardy, Thomas 1840 - 1928) berühmten "Wessex"-Romanen - und zugleich sein letztes erzählendes Werk überhaupt. 

Autorenportrait aus Wikipedia
Der Sohn eines Baumeisters ging nach der Architektenlehre nach London. 1867 kehrte er nach Dorset zurück und begann, neben seiner Arbeit als Kirchenrestaurator zu schreiben. 1871 erschien der erste seiner berühmten „Wessex“−Romane, die alle in seiner heimatlichen Umgebung angesiedelt sind. 1878-1881 lebte er wieder in London, ab 1883 wieder in Dorchester. Hardy hinterließ ein umfangreiches Werk, darunter 14 Romane, viele Kurzgeschichten mit sehr unterschiedlichem Umfang und fast 1.000 Gedichte. Die Veröffentlichung von Jude the Obscure verursachte einen Skandal, nach dem er sich entschloss, keine Romane mehr zu schreiben. Nach 1895 schrieb er nur noch Gedichte.
Hardys Geburtshaus „Hardy’s Cottage“ in Higher Bockhampton, in dem er bis zum 35. Lebensjahr gewohnt hat und das spätere Wohnhaus „Max Gate“ in Dorchester sind im Besitz des National Trust.Das Spektrum der Werke Hardys reicht von der realistischen und detailreichen Schilderung des Landlebens bis hin zur Darstellung des Unerwarteten, Außergewöhnlichen, Verdächtigen, vom Tragischen bis zum Humorvollen. Dabei versucht er Sentimentalitäten zu vermeiden. Oft bedient er sich des Tons der mündlichen Erzählung, beispielsweise in A Tradition of Eighteen Hundred and Four (in Wessex Tales).
Von dem Autor habe ich noch keine Werke gelesen, allerdings befindet sich auf meinem großen SuB noch ein weiteres Buch von ihm. Bin gespannt, welche Erfahrungen mich mit dem Buch erwarten werden. Leider ist ANACONDA der einzige deutschsprachige Verlag, der die Werke von Hardy noch auflegt. Schade, da mir die Übersetzung von Anaconda aus anderen Büchern nicht immer als gelungen erschienen ist.



Jörg Utschakowski u. a. / Vom Erfahrenen zum Experten (1)

Ein Résumé



In dem Buch  sind jede Menge Aufsätze geschrieben, alle von verschiedenen AutorInnen. Vieles wiederholt sich regelrecht in der Ansicht, was das Thema betrifft: Betroffene Menschen in die Arbeit mit psychisch kranken Menschen einzubinden, die als Peers, Peergroups oder als Peersupport  bezeichnet werden. Vorreiter war Amerika später folgten Neuseeland, Schweiz, Deutschland, Holland, Kanada und Österreich.

Peergroup ist ein Fachbegriff aus der Sozialpädagogik, Pädagogik und aus der Soziologie und ist auf Charles H. Cooley zurückzuführen. Cooley lebte von 1864 bis 1929 und war Amerikaner.
In der Fachliteratur werden Peergroups als Bezugsgruppen beschrieben, die sich aus Menschen zusammensetzen, die Gemeinsames oder gewisse Ähnlichkeiten in der Lebenserfahrung verbindet. Auf unserem Fachgebiet werden Peergroups bezeichnet, die über eine psychiatrische Erkrankung verfügten und die als Betroffene in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen eingesetzt werden. Kurz gesagt: Psychisch kranke Menschen helfen psychisch kranken Menschen.

Dann gibt es noch die Peer Supports: Betroffene unterstützen Betroffene in Selbsthilfegruppen. Sie lernen Gruppen zu gründen, Vorträge zu halten, Diskussionen zu führen, auf Gruppenkrisen einzugehen und Fragen von Gruppenteilnehmern zu beantworten. Klare Rollenverteilung in Unterstützende und Unterstützte muss trotzdem erkenntlich sein.

Aus der Selbsthilfegruppe helfen Betroffene Betroffenen in Beratungsangeboten wie z. B in Beschwerdestellen für Betroffene, bei der Medikamentenberatung oder bei einer unabhängigen Patientenfürsprache. Peersupports werden auch in Schulen eingesetzt.

Auf dem Gebiet der Psychiatrie haben sie gegenüber den Professionellen eine unterstützende Funktion. Sie ergänzen das, was viele Professionelle durch die fachliche Distanz zu wenig mitbringen würden, denn „Professionell Tätige haben (…) oft gelernt, bewusst eine professionelle Distanz zu wahren und sich mit ihren eigenen Erfahrungen nicht oder nur wenig einzubringen. (…) In begrenztem Umfang sollten Fachpersonen bereit sein von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten. Dabei kann es sich um die Bewältigung von Alltagsschwierigkeiten , je nach Umständen aber auch um eigene Krisenerfahrungen handeln“.  (S. 44f. )

Viele psychisch kranke Menschen sind unzufrieden mit den professionellen Handlungsangeboten. Diese werden oft als hinderlich wahrgenommen. Peersupports werden als hilfreiche Ergänzung empfunden.

Sie helfen bei dem Prozess der Entstigmatisierung, beim Aufräumen von Vorurteilen und bei der Verbesserung von mehr Lebensqualität.

Verbesserung psychiatrischer Versorgung sei aus der Sicht der AutorInnen ohne Expertenwissen durch Erfahrung nicht möglich.

Es liegen Übersichtsstudien vor, Vergleichsgruppen mit Teams ohne Peers. Die Studien zeigten, dass in der Psychiatrie der Einsatz von Experten durch Erfahrung zu keiner schlechteren Qualität geführt habe. Im Gegenteil: sie führte

• zu einer größeren Lebenszufriedenheit
• zur Reduzierung von Lebensproblemen
• zum besseren Umgang mit der Erkrankung

Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen Informationen,  Aufklärung und die gemeinsame Erfahrung.

In dem Buch werden mehrere Experten unterschieden:

1. Experten durch den Beruf (Professionelle)
2. Experten durch Erfahrung (Betroffene)
3. Experten durch Begleitung (Angehörigen und Laien)

Aufgaben und Methoden befinden sich noch in der Entwicklung.

Die Arbeit mit Peers hat ihre Wurzeln im Empowerment und Recovery.

Der Begriff Empowerment - Selbstbefähigung oder Selbstbevollmächtigung - entnommen aus den amerikanischen Emanzipationsbewegungen; gesellschaftlich benachteiligte Gruppen wehrten sich und waren nicht mehr bereit, Diskriminierung und Unterdrückung hinzunehmen. Sie entwickelten dadurch mehr Selbstbewusstsein und Emanzipation.

Recovery - Gesundung, Genesung; oder die Wiedererlangung von Gesundheit. Die ersten Vertreter des Recovery-Ansatzes waren Betroffene, die von professioneller Seite als chronisch psychisch krank bezeichnet wurden, die sich mit dieser negativen Prognose allerdings nicht abgefunden haben und wider Erwarten genesen sind.

In der traditionellen Psychiatrie würden viele psychisch kranke Menschen als unheilbar diagnostiziert. Im Recovery-Ansatz ist unter Genesung nicht die Symptomfreiheit gemeint. Er sei vielmehr als ein Prozess zu verstehen in der Auseinandersetzung des Betroffenen mit sich selbst und seiner Erkrankung. Dieser Prozess kann dazu führen, dass der Betroffene trotz seiner psychischen Erkrankung in der Lage ist, ein zufriedeneres, hoffnungsvolleres und aktiveres Leben zu führen.

„Hier werden Vorstellungen von gesund-krank, wertvoll-wertlos, früher-heute aufgehoben (es ist eben ganz normal, sich nicht immer gut zu fühlen, sich manchmal im Bett verstecken zu wollen, am eigenen Wert zu zweifeln, sich mit Arbeit, Einkaufen, Alkohol oder Ähnlichem zu betäuben oder manchmal antriebslos zu sein. (Jeder Mensch kennt die eine oder andere psychische Krise.)“ S. 35
„Es ist daher die Aufgabe des Teams und der Organisation insgesamt, das Potential mit den Peer-Spezialisten nutzbar zu machen, wertzuschätzen und sich zu einer neuen professionellen Kultur zu bekennen, in der Grenzen anders gesetzt werden und in der andere Formen von Beziehung und Unterstützung zum Tragen kommen als in den traditionellen Strukturen“, (78f) 

Die Aufgabe des Teams und der Organisation

Die Einbeziehung von Psychiatrieerfahrenen erfordert:

- dauerhafte Unterstützung und Förderung
- Die Wahrnehmung von Machtunterschieden sollten verstanden und richtig gemanagt werden
- Die Rollen und Aufgaben der Peers sollten klar definiert und transparent gemacht werden (S. 78)

Gesundheit und Krankheit werden hier relativiert.

Die Weltgesundheitsorganisation definiert 1947 Gesundheit als vollkommen psychisch und geistiges und soziales Wohlbefinden. Sind alle Menschen krank? Wer kann nach dieser Definition gesund sein? (35)

Krankheitsbewältigung verlaufe bei jedem anders. Genesung sei auch bei schweren psychischen Erkrankungen möglich. Es bedeutet aber nicht zwangsläufig, alle Symptome überwunden zu haben, oder gar krisenfest zu sein. Sie würden nur seltener auftreten und seien nicht mehr so sehr belastbar. Genesung könne mit, ohne oder trotz professioneller Hilfe eintreten. Fachliche Unterstützung sei nur ein Faktor unter vielen, der Genesung fördern kann, aber nicht muss.

Auch Hoffnung und Vertrauen gehören ebenso zum Recovery-Ansatz. Hierbei werden Krisen nicht als Katastrophen verstanden, sondern als zum Menschen zugehörig. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Krisen erfahren kann. Zuversichtlich zu sein bedeutet, selbst wenn ein Mensch immer wieder psychisch erkrankt, dennoch zu ihm zu stehen und ihm das Gefühl geben, dass er es schaffen kann, die Krankheit zu überwinden oder ihm einen angemessenen Umgang mit der Erkrankung zutrauen.

Die Arbeit mit Peers in der psychiatrischen Versorgung kann für professionell Tätige eine besondere Herausforderung sein. In Form von Selbstreflexion kann sie weg von dem defizitären Blick, Fremdbestimmung und Resignation führen.

Doch auch Peers stehen vor Herausforderungen: Bei „unausgesöhnten Anteilen“ bestehe die Gefahr, diese auf KlientInnen zu projizieren.
„In der Arbeit mit Peers geht es darum, Erfahrungswissen und traditionelles Wissen zusammenzubringen. Eine neue Kultur aufzubauen, die neue Wege in der Unterstützung für die Klientinnen und Klienten ermöglicht, aber auch eine Kultur, in der die Lebens- und Krisenerfahrung aller Beteiligten Raum bekommt und als Ressourcen genutzt werden können.“ (79).
Bezogen ist dies auch auf professionell Tätige. D. h., dass sie im Zentrum ihrer Qualifizierung in der Lage sein sollten, Menschsein gleichberechtigt neben nützliches Fachwissen zu stellen.

Weg von einem defizitären Bild - hin zu mehr Toleranz und Gemeinschaft, mehr Normalität und Vielfalt, und zu mehr Gleichberechtigung.

Zum Abschluss ein Zitat von Christian Morgenstern, das mich sehr angesprochen hat und aus dem Buch zu entnehmen war:
"Wer am Menschen nicht scheitern will, trage den unerschütterten Entschluss des Durch - ihn - lernen - Wollens wie einen Schild vor sich her".
Was hat mir nicht gut an dem Buch gefallen?

Differenzierungen zu den Profis kamen mir irgendwie zu kurz. Im Studium der Heil- und der Sozialpädagogik wird das Menschenbild immer wieder hinterfragt, was auch zur Entstigmatisierung, zum besseren Verständnis u.a.m., beiträgt.

Deshalb die Frage: Wer sind die Profis in dem Buch, die zu ihrer Klientel eine zu große Distanz aufbauen? Das hat bei vielen Leserinnen, Soz.-Päds., mit denen ich mich über das Buch austauschte, zu Irritationen geführt.

Des Weiteren ist zu wenig auf die mögliche Problematik von seitens der Peers eingegangen worden… . Nicht jede subjektive Erfahrung muss auch für andere richtig sein. Nicht jede subjektive Erfahrung ist auf andere übertragbar... . Allerdings ist auch nicht jede objektive Theorie auf andere übertragbar. Ein Mix von beidem wäre aus meiner Sicht eine gesunde professionelle Haltung, entspricht allerdings auch als ein Appell dieser multiplen Autor*innen dieses Buches.

Ich selbst fand das Buch recht gut, auf jeden Fall lesenswert.

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Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an
(E. T. A. Hoffmann)

Gelesene Bücher 2013: 34
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 16. Mai 2013

Jörg Utschakowski u. a. / Vom Erfahrenen zum Experten



Wie Peers die Psychiatrie verändern

Klappentext
Peers werden Menschen genannt, die selbst Psychiatrieerfahrungen haben undnun zunehmend in die fachliche Begleitung z.B. psychotischer Menscheneinbezogen werden. Der wesentliche Effekt ist, dass diese Personen ihre eigenenErfahrungen positiv und sinnvoll nutzen können und das von vielen Betroffenen als glaubwürdig und hilfreich angesehen wird. Viele Peers sind bereits in der Fortbildung tätig und qualifizieren sich mit geeigneten Bildungsabschlüssen. Was im englischsprachigen Raum schon sehr weit fortgeschritten ist, wird jetzt in Deutschland immer mehr Verbreitung finden.In diesem Buch werden die aktuellen Erfahrungen und die Rahmenbedingungen der Peer-Arbeit dargestellt, ergänzt durch viele praktische Hinweise, wie Peers gezielt ausgebildet und bei der bezahlten psychiatrischen Arbeit beteiligt werden können oder wie man selbst als Peer aktiv werden und sich qualifizieren kann.
Das Buch ist die praktische Umsetzung der Recovery-Bewegung, es unterstreicht die zunehmend anerkannte Bedeutung der qualifizierten Einbeziehung von Psychose erfahrenen in die psychiatrische Arbeit. 
Ich lese das Buch berufsbedingt. Dadurch, dass ich es hier zu Hause lese, nehme ich es mit in meine Sammlung auf. In der Regel lese ich Fachtexte auf meiner Dienststelle... . Ich habe mich über meine Kollegin sehr gefreut, die mir das Buch überreicht hat mit der Bitte, es zu lesen und darüber im Team zu referieren. Ich habe es als eine Wertschätzung erfahren. In unserer Dienststelle werden zukünftig in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen nicht nur Professionelle tätig sein, seit neustem werden psychiatrieweit auch Betroffene, Erfahrene (Peers) mit ins Boot geholt, da sie aufgrund ihrer eigenen Erfahrung über besondere Ressourcen verfügen, die in der Arbeit mit psychisch Kranken förderlich sein können, wie zum Beispiel Wissen durch Erfahrung mit einer psychischen Erkrankung. Meine Kollegin begleitet ein Peermitglied, das sich derzeit in Vorbereitungskursen und Praktika befindet.

Ich habe schon ein paar Seiten gelesen und finde das Thema recht interessant... .



Sonntag, 12. Mai 2013

Helene Hanff / 84, Charing Cross Road (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Dieses kleine Büchelchen von gerade mal 158 Seiten hatte ich in ca. drei Stunden durch und es enthält dennoch recht viel Fülle und Inhalt. Interessant fand ich zu lesen, dass Helene Hanff als eine absolute Buchliebhaberin keine Romane gelesen hatte, bis sie schließlich Jane Austen entdeckt hatte, von der sie mehr als begeistert war.
Sie lebte in einer recht kleinen Wohnung, bewohnte wohl eher ein Zimmer, besaß nur drei Bücherregale, und Bücher, die für sie keinen geistigen Wert besaßen, schmiss sie fort und stößt dabei auf Missmut bei anderen LeserInnen ihres Bekanntenkreises:
Ich besitze nur drei Bücherregale und nur noch sehr wenige Bücher, die ich wegwerfen kann. Jedes Jahr im Frühjahr mache ich Bücher-Großputz und werfe die hinaus, die ich nie wieder lesen werde, so wie ich alte Kleider, die ich nie wieder tragen werde, wegwerfe. Alle Welt ist darüber schockiert. Meine Freunde sind komisch mit Büchern. Sie lesen alle Bestseller, und das so schnell wie möglich, ich glaube, sie überspringen viel. Und sie lesen nie etwas zweimal, weshalb sie sich ein Jahr später an kein einziges Wort mehr erinnern können. Aber sie sind tief schockiert, wenn ich ein Buch in den Papierkorb werfe oder es fort gebe. Wie sie mich dabei ansehen: man kauft ein Buch, man liest es, man stellt es ins Regal, man öffnet es nie wieder im ganzen Leben, aber man wirft es nicht weg! Nicht, wenn es ein gebundenes Buch ist! Warum nicht? Ich für meine Person kann mir nichts weniger heiliges vorstellen als ein schlechtes oder auch ein mittelmäßiges Buch. (87f)
Helene Hanff schrieb auch in Büchern rein, die aus der Bibliothek geliehen waren... . Die Frau hatte echt Selbstbewusstsein. Die freundschaftliche Beziehung zu dem englischen Buchhändler und Antiquar Frank Doel fand ich recht spannend, zeugte von gegenseitiger hoher Achtung und Respekt... . Eine Freundschaft, die zwischen New-York und England keine Entfernung kennt...
 Helene Hanff berichtet in einem Brief von dem Dilemma der ausgeliehenen Bibliotheks - Bücher, wenn ihr die Zeit zu lange wird, bis die bestellten Bücher aus England eintreffen:
Sie lassen mich hier sitzen und lange Randbemerkungen in Bibliotheksbücher schreiben, die mir nicht gehören. Eines Tages wird das herauskommen, und sie werden mir den Bibliotheksausweis wegnehmen. (19)
Auf der selben Seite bittet Helene Hanff um Bücher von Dichtern, die Liebe machen können. Fand ich originell ausgedrückt, obwohl es auf den zweiten Blick eher ein gewöhnlicher Gedanke ist.

Helene Hanff würde sehr gut in das Zeitalter des Internets passen:
Bitte schicken Sie mir auch die "Oxford Gedichte". Kümmern Sie sich niemals darum, ob ich etwas bereits aufgetrieben haben könnte. Ich sehe mich nirgendwo anders mehr um. Warum soll ich den ganzen Weg bis zur 17. th Street hinunter laufen, um schmutzige, schlecht gemachte Bücher zu kaufen, wo ich bei Ihnen saubere, schöne Exemplare kaufen kann, ohne mich von meiner Schreibmaschine fortzubewegen? Von meinem Stuhl aus ist mir London viel näher als die 17. th Street. (28)
Helena Hanff kauft nur gebrauchte Bücher. Neue kommen für sie nicht in Frage. Je mehr Gebrauchsspuren ein Buch aufweist, desto mehr Leben strahlt es für sie aus.
Ich liebe Widmungen auf dem Vorsatz und Randnotizen; ich mag das Gefühl von Verbundenheit, das entsteht, wenn ich Seiten umschlage, die jemand vor mir bereits umblätterte, und Abschnitte lese, auf die jemand, der schon lange nicht mehr lebt, meine Aufmerksamkeit gelenkt hat. (48)
Ich selbst achte immer darauf, und dies ganz besonders bei den Taschenbüchern, dass ich sie beim Lesen nicht zu sehr knicke, denn ich bekomme dabei das Gefühl, Ihnen das Rückgrat zu brechen. Helene Hanff scheint dies gar nicht stören, und so hat jeder seine Art, wie er seine Bücher kultiviert.

Helene Hanff zeigt sich den Engländern gegenüber recht großzügig, schickt jede Menge Fresspackete, was ich so sehr sympatisch fand. In England waren die Lebensmittel zu der Zeit noch immer stark rationiert. Man schreibt das Jahr 1951 und die Engländer leiden noch immer unter der Nachwirkung des Zweiten Weltkrieges. Wer kann das schon, so natürlich großzügig zu sein? In der Regel gibt man immer schnell zurück, was man bekommen hatte. Helene Hanff konnte würdevoll geben, während die Engländer würdevoll nehmen konnten.
Ich schicke Ihnen Grüße aus Amerika - das ein treuloser Freund ist, der Millionen ausgibt, um Japan und Deutschland wieder aufzubauen, während er England verhungern lässt. Eines Tages, so Gott will, werde ich herüber kommen und mich persönlich für die Sünden meines Landes entschuldigen (und wenn ich nach Hause komme, wird sich mein Land sicher für die meinen zu entschuldigen haben). (49)
Interessant zu lesen, dass es Amerika für den Wiederaufbau Deutschlands zu verdanken war.

Sie entdeckt in der Bücherei New-Yorks Jane Austen und ist, wie oben schon gesagt, völlig hingerissen von dem Buch. Schmunzeln musste ich darüber, dass sie der Bibliothek das Buch so lange vorenthält, bis ihr ein Exemplar aus England zugekommen ist:
Es wird Sie begeistern zu erfahren, (von mir, die ich Romane hasse!),dass ich mich endlich an Jane Austen gemacht habe und über Stolz und Vorurteil ganz aus dem Häuschen geraten bin, über ein Buch, das ich nicht zur Bücherei zurückbringen kann, ehe Sie ein Exemplar für mich aufgetrieben haben. (82)
Humor hatte Helene Hanff auch jede Menge. Mehrmals wurde sie von Frank Doel auf einen Besuch nach England eingeladen. Es kam wiederholt nicht dazu, und diesmal da ihre Zähne saniert werden mussten, die mit einem hohen Kostenaufwand verbunden waren. Zu der Zeit, 1952, sollte die englische Königin Elisabeth II gethront werden. Dazu Helene Hanff:
Habe ich Ihnen erzählt, dass (mein Zahnarzt) mir letztes Frühjahr sagte, ich müsse alle meine Zähne überkronen oder ziehen lassen? Ich entschied mich für die Kronen, da ich mich an Zähne gewöhnt habe. Aber die Kosten sind einfach astronomisch. Deshalb wird Elisabeth den Thron ohne mich besteigen müssen. Zähne sind das einzige, was ich in den nächsten Jahren gekrönt sehen werde. (88)
Es ist nie zu der Reise nach England gekommen. Sie fand immer ein Hindernis, weshalb es shcließlich nicht zu der Reise kam. Als man in England versuchte sich von Helene Hanff ein Bild zu machen, boykottierte sie. Man sah eine junge, talentierte Akademikerin vor sich, mit gestylten Klamotten, so machte sie das Bild zunichte, indem sie schriftlich ein gegenteiliges Bild von sich gab, das absolut nicht diesen Vorstellungen entsprach. Schlechte Kleidung, schlichte Frisur, eine gewöhnliche Frau ohne akademische Ausbildung. Im Nachwort entnimmt man folgendes:
Jahr für Jahr werden Reisepläne geschmiedet, und mit gleicher Regelmäßigkeit tun sich Hindernisse auf, die die Verwirklichung des Traums vereiteln. Vielleicht schreckte Helene Hanff insgeheim sogar davor zurück, ihren Freunden real zu begegnen, aus der Angst heraus, dass die Realität mit der herrlichen Leichtigkeit der Korrespondenz nicht mithalten könnte. (157)
Sie selbst war schon auch neugierig auf England  speziell auf das Antiquariat und überlegte sich doch zu reisen, in der Buchhandlung zu erscheinen, die Bücher zu durchwühlen, ohne sich zu erkennen zu geben. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, dass eine Freundschaft allein von der Korrespodenz lebt, weil sie aus dem Geistigen heraus entsteht. Ich finde solche Freundschaften auf ihre Weise sehr schön, weil sie auf Äußerlichkeiten nicht angewiesen ist.
Was als nüchterne Geschäftskorrespondenz begann, entwickelte sich zum Wechselspiel der Gedanken und Gefühle zwischen Menschen, die sich nie begegnet waren und die dennoch zu Freunden wurden. Natürlich tauschen sich Helene Hanff und ihr Gegenüber, der findige Antiquar Frank Doel, über Bücher aus: über das Gefühl, seltene Editionen anfassen, die Seiten als erster aufschneiden oder eine brillante Goldprägung bewundern zu dürfen. Die Büchernärrin Helene Hanff weiß mit den Schätzen umzugehen, die ihr Frank Doel und seine Mitarbeiterinnen ans Herz legen; sie ist eine kritische Leserin, weist mit Empörung hässliche Ausgaben oder missratene Übersetzungen zurück und kann schon im nächsten Augenblick ihre Begeisterung über ein exquisites Fundstück aus den unerschöpflichen Beständen der Charin Cross Road kaum zähmen.(155 f)


Mein Fazit:

Da es keine reine oder gewöhnliche Geschäftsverbindung zwischen Helene Hanff und Frank Doel war (Kunde und Verkäufer), und die Korrespondenz der beiden aus meiner Sicht sehr charismatisch wirkte, in der nicht nur der Verkauf und nicht nur die Bücherliebe im Vordergrund stand, sondern in gleicherweise auch die Liebe zum Menschen, wenn auch in erster Linie über die Bücher ausgedrückt, was ein gemeinsames Hobby zwischen Helene Hanff und dem Antiquar Frank Doel ausmachte. Viele Geschäftspartner bleiben den Kunden gegenüber distanziert, wo einzig und allein das Kaufen und Verkaufen im Vordergrund stehen bleibt.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten... .
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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

Gelesene Bücher 2013: 32
Gelesene Bücher 2012: 94
Gelesene Bücher 2011: 86

Helene Hanff / 84, Charing Cross Road



Klappentext
"Schicken Sie Dichter, die Liebe machen können, ohne zu sabbern." Sie liebte Bücher über alles, aber kurz nach dem Krieg war genau daran nur schwer zu kommen. So machte die Amerikanerin Helene Hanff eine Buchhandlung in Europa ausfindig, über die sie ihre ziemlich spezielle Lektüre fortan per Post bestellte. Und nicht nur das: Schon bald begann ein hinreißender Briefwechsel zwischen der spitzzüngigen Amerikanerin und ihrem englischen Antiquar - er sollte zwanzig Jahre dauern und die beiden Akteure schließlich weltberühmt machen. Die Drehbuchautorin Helen Hanff gab dabei den Ton an und eroberte den schüchternen Antiquar nach und nach mit ihrer rauen Herzlichkeit.

Autorenportrait im Klappentext
Helene Hanff, 1917 in Philadelphia geboren, war als Theaterautorin nur mäßig erfolgreich und schlug sich mit dem Verfassen von Schulbüchern und Drehbüchern durch. Berühmt sollte sie allerdings durch diesen Briefwechsel mit dem Antiquar Frank Doel werden. Das Buch erschien im Original bereits 1970 und wurde in Amerika und England zu einer Art Kultbuch. Bis zu ihrem Tod 1997 schrieb sie „Briefe aus New York“ für die BBC und einige autobiografische Bücher.
Dieses Buch hat meine Literaturfreundin Anne für mich aus meinem großen SuB ausgesucht. Inhaltlich kam es mir recht bekannt vor, bis ich durch meine Recherchen in Erfahrung bringen konnte, dass es eine Verfilmung dazu gibt.


Ich werde mir unbedingt den Film auf DVD zulegen. Es ist immer wieder schön zu lesen und zu sehen, dass es noch andere BibliophilInnen gibt, bei denen die Bücher an erster Stelle stehen. 

Samstag, 11. Mai 2013

Jussi Adler Olsen / Das Alphabethaus (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch habe ich mit gemischten Gefühlen gelesen. Anfangs fand ich es schon recht spannend und interessant, dann später ließ meine Konzentration nach, als sich die Ereignisse für mich nicht wirklich glaubhaft bzw. lebensecht erwiesen. Das war in dem Lazarettzug, als die beiden englischen Protagonisten James und Bryan, beide Piloten, im Winter 1944 über deutschem Himmel flogen und das Flugobjekt von den SS-Soldaten abgeschossen wurde, und beide mit Fallschirm sich zu Boden retteten. Nun befanden sie sich auf der Flucht, gejagt von deutschen Soldaten, als sie sich in einen Lazarettzug Richtung Westen retteten. Was sie nicht ahnten, war, dass in dem Zug hauptsächlich vom Krieg geschädigte SS-Offiziere lagen. Eigentlich alles hohe Leute, keine gewöhnlichen Soldaten... .

Nun erwiesen sich mir die Ereignisse, wie oben schon gesagt, in dem Zug als wenig glaubhaft. Erst werfen sie einen Sanitäter über Bord, anschließend betraten sie einen Zugabteil, der nicht bewacht war, und warfen zwei tote oder halbtote Offiziere aus dem Fenster, legten sich auf deren Bahre und nahmen deren Identität an, nach dem sie die Krankenakte studiert hatten. Bryan nahm die Identität des Offiziers mit dem Namen von der Lyen, James die von Gerhard Peukard an... .

Bryan und James sind beste Freunde und kennen sich von Kindheit an. Ihre Freundschaft unterzieht sich nun seit dem Sturz auf dem Boden des deutschen Reichs einer schweren Prüfung... . Ohne die Entwicklung zu ahnen, stellt man sich immer wieder als besorgte Leserin die Frage, ob die beiden es schaffen, zusammen zu bleiben... . Sie wurden später in ein Sanatorium für geistig kranke Menschen verlegt. Hier arbeiten alle Ärzte und Pflegekräfte für die SS. Die Kranken wurden Versuchen mit Medikamenten unterzogen... . Aber nicht in der Form, wie ich es mir erst ausgemalt hatte. Ich dachte schon, dass die Menschen dort  bis zu ihrem Tod gequält werden würden, wie z.B. die Entfernung von Organen, etc. ... .
Der Öffentlichkeit blieb das Schicksal dieser Patienten meist verborgen, denn eine SS - Offizier konnte einfach nicht Kai geistesgestört aus dem Krieg zurück kehren. Das hätte die Größe des Dritten Reiches beschmutzt und nicht zuletzt unvorhersehbare Konsequenzen für das Vertrauen in die Meldung von der Front gehabt. Nichts durfte in der Bevölkerung Zweifelsfällen hinsichtlich der Verwundbarkeit seiner Helden. Die Familien der Offiziere wären entleert, das hatte der Sicherheitsoffizier den Ärzten immer und immer wieder eingeschärft. Und: ein toter Offizier war alle Mal besser als ein Skandal. (103)
In dem Sanatorium, mit dem Namen Alphabethaus, befanden sich Kranke, die als Simulanten entlarvt wurden. Diese sind im Beisein der anderen Patienten zur Abschreckung hingerichtet worden. Gnadenlos... . Sie galten als feige Kriegsdienstverweigerer .. . Bryan und James mussten gut ihr Spiel spielen, wenn sie als Simulant nicht durchschaut werden wollten. Und sie spielten ihr Spiel gut, doch außer sie selbst gab es noch drei weitere. Die drei anderen machten sich über James und Bryan her, es entwickelte sich eine Art Mobbing mit schwersten Folgen, die tödlich enden konnte. Damit verbunden begann ein potentieller Kampf ums Überleben in dreifacher Wirkung. Vor allem das Bockengesicht  Kröner machte sich über die beiden her, wissend oder ahnend, dass James und Bryan nicht zu den Kranken gehörten. Die Absicht, sie aus dem Verkehr zu ziehen, entwickelte sich dadurch in der Vermutung, dass James und Bryan die Wahrheit dieser drei Kiegsverbrecher kennen würden, und sie diese verraten könnten... .
Das Verhalten Kröners und seiner Kumpane war also völlig logisch gewesen, denn sie wussten genauso gut wie Bryan, was mit entlarvten Simulanten passierte.Dann war aber auch Schluss mit der Logik. Vor ihm saß ein Mensch, für den diese Dinge keine Bedeutung mehr haben konnten. Warum sollte er für längst vergangene Geschichten sein Leben aufs Spiel setzen? Was konnte man ihm jetzt noch anhaben? Bryan sah ihn an. (370)
Bryan gelang die Flucht aus der Anstalt und ließ James zurück. James litt durch die Mediakmentisierung und den Elektroschocks unter Apathie und Bryan konnte nicht länger warten, bis er sich erholte. Es war sehr ungewiss, ob sich James jemals erholen würde.

Die Flucht aus der Anstalt hatte mich auch nicht überzeugt, wenn man bedenkt, dass draußen überall SS-Soldaten zur Wache standen und die Anstalt mit Stachelzaun umgeben war... .

Einen Zeitsprung, man befindet sich im Jahre 1972. Bryan hatte mittlerweile geheiratet und eine Familie gegründet, wurde Arzt und war im Forschungssektor in der Herstellung von Medikamenten tätig. Er war wohlhabend und lebte gut, wäre da nicht das Trauma der damaligen Zeit mit den Nationalsozialisten gewesen. Gewissengeplagt gegenüber seinem Freund James begibt Bryan sich auf Spurensuche, reist nach Deutschland, nach Freiburg, in der Hoffnung, seinen Freund lebend wiederzufinden. Er fühlt sich als Verräter, damals ohne seinen Freund die Flucht ergriffen zu haben.

James befindet sich noch immer in den Klauen seiner Übeltäter. Kröner & Co haben es zu Geld gebracht, ein Sanatorium gegründet mit unsauberen Geschäften u. a. m. Als SS-Offiziere galten sie als Kriegsverbrecher, laufen noch immer mit falscher Identität herum, haben noch immer Angst. James könnte sie ausliefern. James war für Kröner und ganz besonders für Lankau kein richtiger Mensch mehr:
Der Depp war fast so was wie ein Haustier für ihn. Ein Maskottchen im Käfig. Ihr Kätzchen, ihr Äffchen. Einzig Lankau hatte das in all den Jahren gesehen. (392)
Dieser Treubruch Bryans gegenüber seinem Freund bereitete ihm selbst nach achtundzwanzig Jahren Kriegsende seelische Schmerzen. Ob es ihm gelingt, seinen Freund zu finden und diesen Treuebruch wieder gut zu machen, lasse ich hier offen... . Das Buch hat mehr als fünfhundert Seiten, seid gewiss, dass zwischendrin noch viel passieren wird.


Mein Fazit:

Was habe ich selbst für eine Meinung, dass Bryan ohne James geflüchtet ist? Mein Urteil fällt als Leserin nicht ganz so streng aus.  Als Leserin hatte ich großes Verständnis für Bryan. Wem wäre geholfen, wenn beide zurückgeblieben wären? Wenn beide ihr Leben ließen? Es war schließlich Bryan, der immer und immer wieder  nach Fluchtwegen gesucht hatte, während James eher passiv blieb. Bryan zeigte sich seinem Freund gegenüber recht bemüht, bis er eines Tages diese Qual in dem Sanatorium nicht weiter ertrug. Er musste fliehen. Auch Bryan stand unter Elektroschocks und dem Medikamenteneinfluss, auch er war dem Mobbing unter den Insassen ausgeliefert.  Aus der Sicht einer Betroffene allerdings würde ich wahrscheinlich anders drüber denken.

Was mich an dem Buch zufrieden gestimmt hatte, war, dass es dem Autor gelungen ist, mich zu überraschen. Viele Handlungen und Geschehnisse waren für mich schwer absehbar, nicht wirklich berechenbar, lediglich der Schluss entsprach ein wenig meiner Vorstellung, in der Überlegung, wie das Buch wohl enden könnte.

Zwischendrin packte es mich wieder und kann sagen, auch wenn meine Erwartungen sich nicht ganz erfüllten, so habe ich das Buch insgesamt dennoch gerne gelesen und empfehle es mit gutem Gewissen weiter.

Dass nicht alles so authentisch war wie ich es mir gewünscht hatte, erlebe ich oft in Krimis / Thriller, wenn die Spannung künstlich erzeugt werden muss, die Protagonisten nicht sterben dürfen, und es dazu noch nach schnellen Lösungen verlangt, wenn neue Aktionen in Kraft treten.

Weshalb sich die Anstalt  Das Alphabethaus schreibt, hat sich mir nicht erschließen können.

Insgesamt gebe ich dem Buch sieben von zehn Punkten!

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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

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Sonntag, 5. Mai 2013

Jussi Adler Olsen / Das Alphabethaus



Klappentext

Der Absturz zweier britischer Piloten hinter den feindlichen Linien …
Ein Krankenhaus im Breisgau, in dem psychisch Kranke als Versuchskaninchen für Psychopharmaka dienen …
Die dramatische Suche eines Mannes nach seinem Freund, den er dreißig Jahre zuvor im Stich gelassen hat …
»Eine unfassbare Geschichte: die Schrecken des Krieges und das Schicksal psychisch zutiefst beschädigter Patienten einer Nervenheilanstalt auf der einen Seite, die Freundschaft zweier englischer Piloten und die Suche nach einem Verschwundenen auf der anderen, gehört zum Besten, was Jussi Adler-Olsen je geschrieben hat. Wie er das groteske Elend der Patienten einer Nervenklinik als Folge des Krieges schildert, ist anrührend und beklemmend zugleich. 


Autorenportrait
Jussi Adler-Olsen wurde am 2. August 1950 unter dem bürgerlichen Namen Carl Valdemar Jussi Henry Adler-Olsen in Kopenhagen geboren. Er studierte Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film. Bevor er 1995 mit dem Schreiben begann, arbeitete er in verschiedensten Berufen: als Redakteur für Magazine und Comics, als Koordinator der dänischen Friedensbewegung, war Verlagschef im Bonnier-Wochenblatt TV Guiden und Aufsichtsratsvorsitzender bei verschiedenen Energiekonzernen. Sein Hobby: Das Renovieren alter Häuser. Er ist verheiratet und Vater eines Sohnes. 1997 erschien sein erster Roman › Das Alphabethaus‹ (ab Februar 2012 auch in Deutschland). 

Von J. A. Olsen habe ich ein Buch gelesen, Erbarmen, das mir gut gefallen hat, obwohl es ein Thriller war. Es kommt manchmal vor, dass ich auch an Thriller stoße, auch wenn diese nicht zu meinem bevorzugten Genre zählen.
Zu dem oben genannten Titel habe ich über eine Kollegin erfahren, der es gelungen ist, mich auf das Buch neugierig zu stimmen. Da der Nationalsozialismus zu meinem Spezialgebiet gehört, konnte ich nicht davon ablassen, mir das Buch zu besorgen.

Ich rechne damit, dass es von der Handlung her heftig zugehen wird. Aber wenn die Aufmachung gelungen ist, dann bin ich bereit, gedanklich jeden Schritt mitzugehen.





Samstag, 4. Mai 2013

Carlos Ruiz Zafón / Das Spiel des Engels (1)

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Dass es Menschen gibt, die zu Hause von Familienangehörigen wie Verbrecher behandelt werden, nur weil sie Bücher lesen, zeigt auch Zafón in seinem Werk. David Martín ist ein begabter und leseinteressierter neunzehnjähriger Schüler. Sein Vater, Alkoholiker, der durch den Krieg auf den Philippinen in seiner Persönlichkeit stark geschädigt wurde, zudem er auch den Verlust seiner Frau, die ihn und den Sohn wegen eines anderen Mannes verlassen hat, nicht verwinden konnte, stellt sich dem Sohn gegenüber äußerst gewaltträchtig dar, wenn er diesen mit einem Buch in der Hand erwischte. 
Sehr traurige Szene und mir ist bewusst, dass es auch im Alltag wirklich solche Menschen gibt, die Bücher nicht ausstehen können. Davids Vater wurde vom Schicksal arg gebeutelt, hatte selbst nie die Gelegenheit gehabt, Schreiben und Lesen zu lernen, so dass in ihm Aggressionen aufkommen, wenn er seinen Sohn beim Lesen erwischte.. . Als wäre es mit Neidgefühlen besetzt, dass der Sohn sich Informationen aus der Welt erlesen kann, die ihm als Analphabet verschlossen bleiben. Mich hat diese Szene sehr betroffen gestimmt.

Erst hatte mir das Buch recht gut gefallen, auch hat es sich recht flüssig gelesen... . David Martín ist ein begnadeter Schriftsteller und ein Bibliophile. Lieber lässt er sich ohnmächtig prügeln, als dass er sein Buch dem tobenden Vater herausrückt, der das Buch zu vernichten beabsichtigt... .

Was Martíns schriftstellerisches Talent betrifft, so genießt er auf dem Buchmarkt wenig Erfolg, trotz seiner starken Ambitionen zum Schreiben. Und das hat Gründe... . Er verhilft seinem Mentor Vidal, ein nur durchschnittlicher Autor, zu einem guten Buch, in dem er dessen Manuskript mit Hilfe der Sekretärin Cristina komplett überarbeitet. Vídal leidet unter seinem Durchschnitt, und darunter, noch nichts Großes herausgebracht zu haben. ... und erregt bei Cristina Mitleid, die Martin zu der Überarbeitung seines Manuskriptes überredet. Heimlich, ohne dass Vidal davon weiß und auch nichtsahnend, wird die Überarbeitung von den beiden umgesetzt. Mich hat gewundert, dass Vidal so gar nichts bemerkt hat, dass der Schreibstil ein völlig anderer war, denn in dem Manuskript haftet Martíns kreative Energie, auch wenn Martin sich bemühte, Vidals Schreibstil zu erhalten. Dadurch, dass Martin viel Zeit für das Umschreiben Vidals Manuskript geopfert hat, kommt sein eigenes Manuskript viel zu kurz, beendet es eher in oberflächlicher Form... Nun werden beide Bücher aufgelegt, zwei neue Debutromane von unterschiedlichen Autoren... Vídals und Martíns erstes Buch, und die Presse wird hellhörig, stellt sehr schnell fest, dass sich der Schreibstil beider Autoren ähneln. Dadurch, dass Vidals Buch besser abgeschnitten hat, werfen die Zeitungen Martín vor, er habe Vidals Schreibkunst nachzuahmen versucht. Niemand ahnt, dass Martín der eigentliche Autor Vídals Buches ist, nur der alte Buchhändler Sempere, der Martín sehr gut kennt, von Kindesbeinen an, durchschaut es. Durch die schlechte Literaturkritik durchweg in allen Zeitungen wird Martíns Buch nicht weiter aufgelegt und so genießt Vídal, was ihm gegenüber Martin äußerst peinlich ist, den literarischen Ruhm.

Martín ist zudem Autor von Schundromanen, geschrieben unter einem Pseudonym. Nicht, weil er sich dazu berufen fühlt, Schundromane zu schreiben, nein, weil er durch einen unseriösen Verleger dazu gezwungen wurde, über eine langjährige vertragliche Anbindung, in einer Zeit, in der Martín in finanziellen Nöten steckte.

Gefallen hat mir auch, dass es einen Friedhof gab für vergessene Bücher. Bücher, die dorthin wanderten, konnten von Literaten adoptiert werden und es neu beleben. Man musste noch gewisse Regeln und Gesetze beachten, die in Artikel eins und zwei besagen:
Das erste Mal, wenn jemand herkommt, hat er das Recht, sich aus allen Büchern, die es gibt, nach Belieben eines auszusuchen. (…) Wenn man ein Buch adoptiert, geht man die Verpflichtung ein, es zu beschützen und alles zu tun, damit es nie verloren geht. Ein Leben lang. (179)
Eine andere Szene, die mich ein wenig festhielt. Der Buchhändler Sempere, der zusammen mit seinem Sohn den Buchladen führt und gerade mal außer Haus ist, ärgert sich beim Wiederkommen ein wenig,  dass der Sohn in seiner kurzen Abwesenheit den Buchladen nicht beaufsichtigt, und sich stattdessen im Wohnraum aufhält und sich mit David Martin unterhält. Er tadelte seinen Sohn, daraufhin verteidigte Martin ihn:
Keine Angst, Senior Sempere, Bücher sind das einzige auf der Welt, was nicht gestohlen werden.
Sempere ist damit die einzige Figur in dem Buch, die mir richtig sympathisch war. Oft brachte er viel Weisheit von sich und besonders dieses eine Zitat hat mich tief berührt, das von David Martin indirekt wiedergegeben wird:
Bücher hätten eine Seele, die Seele dessen, der sie geschrieben habe, und die Seele derer, die sie gelesen und von ihnen geträumt hätten. (544)
Bis hierher hat mir das Buch noch gut gefallen. Im Folgenden fing ich an, mich zu langweilen. Ich habe eigentlich gedacht, ich bekomme wieder eine komplizierte Geschichte serviert, mit reichlichen Verwicklungen wie im letzten Band, im Der Schatten des Windes.

Mit diesem Buch fühlte mich nicht gerade gefordert. Der Schatten des Windes war inhaltlich um das zigfache besser und viel authentischer geschrieben, obwohl es dort auch Parallelwelten gab. Die Dialoge in diesem Band finde ich aus meiner Sicht meist nicht wirklich gelungen, vielleicht liegt es an der Übersetzung. Doch auch was die zwischenmenschlichen Beziehungen betreffen und insgesamt auch das Thematische kam für mich wenig überzeugend rüber, etwas arg gekünstelt dargestellt.
Ich hatte die letzten zweihundert Seiten vor mir und hoffte noch auf eine Wende.

Doch leider blieb der wenig erfreuliche Eindruck bestehen, die Wende blieb aus. Mir war das Buch nicht nur viel zu blutrünstig. Zu dem noch

·    viel zu viele Tote, was ich unnatürlich fand, nicht nur aber hauptsächlich durch den Protagonisten verursacht, der gegen so viele Übeltäter im Alleingang zu kämpfen hatte und immer siegte. Sowohl in der  realen Welt als auch in der spiritistischen.

·    Mit einer einzigen Ausnahme waren mir die Figuren alle unsympathisch. Das hat aber sicher an den Dialogen gelegen... . Auch für meinen Geschmack viel zu gekünstelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen miteinander so sprechen.

·    Ich lese nicht so gerne Thriller und auch nicht so sehr Übernatürliches, Schauriges, wenn, dann muss alles passen, gut geschrieben und gut konstruiert sein, wie es in Zafóns letztem Band der Fall war. Für mich las sich das Buch wie eine Parallelwelt, wo sich Fiktion und Reales vermischten, wenn vordergründig auch nur für David Martin. Im letzten Band war dies sehr gelungen dargestellt und ich hatte es gerne gelesen. 


Mein Fazit:


Mich hat das Buch überhaupt nicht überzeugt, komplett die Thematik nicht, fand ich zu aufgesetzt, es erfüllte meine Ansprüche nicht. Wenn Menschen dem Martin im Weg standen, dann wurden sie ermordet...  So einfach geht das... Zu dem Spanischen Bürgerkrieg gehen nur recht spärliche Informationen hervor. Von der Beschreibung her fühlten sich die Szenen eher zeitlos an... 
Anfangs hatte es mein Interesse gefördert, was aber dann wieder nachgelassen hat. Zafón ist einfach nicht mein Autor und werde aufhören, ihn weiter zu lesen. Das eine, was ich noch habe, Der Schatten des Windes, wohl ein Folgeband, werde ich lesen, damit es nicht ungelesen im Regal stehen bleibt. Aber Neuanschaffungen wird es keine mehr geben.

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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

Gelesene Bücher 2013: 30
Gelesene Bücher 2012: 94
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Dienstag, 30. April 2013

Carlos Ruiz Zafón / Das Spiel des Engels




Klappentext
Barcelona in den turbulenten Jahren vor dem Bürgerkrieg: Der junge David Martín fristet sein Leben als Autor von Schauergeschichten. Als ernsthafter Schriftsteller verkannt, von einer tödlichen Krankheit bedroht und um die Liebe seines Lebens betrogen, scheinen seine großen Erwartungen sich in nichts aufzulösen. Doch einer glaubt an sein Talent: Der mysteriöse Verleger Andreas Corelli macht ihm ein Angebot, das Verheißung und Versuchung zugleich ist. David kann nicht widerstehen und ahnt nicht, in wessen Bann er gerät – und in welchen Strudel furchterregender Ereignisse …Mit unwiderstehlicher erzählerischer Kraft lockt uns Carlos Ruiz Zafón wieder auf den Friedhof der Vergessenen Bücher: mitten hinein in einen Kosmos voller Spannung und Fantastik, Freundschaft und Liebe, Schrecken und Intrige. In eine Welt, die vom diabolischen Wunsch nach ewiger Schönheit regiert wird.

Autorenportrait im Klappentext
 Carlos Ruiz Zafón begeisterte mit ›Der Schatten des Windes‹ (Fischer Taschenbuch Bd. 19615) und ›Das Spiel des Engels‹ (Bd. 18644) ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt. ›Der Gefangene des Himmels‹ ist der dritte Roman in der großen Barcelona-Tetralogie um den Friedhof der Vergessenen Bücher. Auch ›Marina‹ (Bd. 18624), der Roman, den er kurz vor den großen Barcelona-Romanen schuf, stand wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Seine ersten Erfolge feierte Carlos Ruiz Zafón mit den drei phantastischen Schauerromanen ›Der dunkle Wächter‹, ›Der Fürst des Nebels‹ und ›Mitternachtspalast‹, die bei Fischer FJB erschienen sind. Carlos Ruiz Zafón wurde 1964 in Barcelona geboren und lebt heute in Los Angeles.
Auf die Empfehlung meiner Literaturfreundin Sibylle habe ich mir das Buch angeschafft, wobei Zafón mir nicht unbekannt. Gelesen habe ich von ihm Marina und Der Schatten des Windes. Marina hat mich nicht gerade umgehauen, fand ich eher ein Roman für Jugendliche, während Schatten des Windes meine ganze Konzentration  einforderte, da der ganze Roman ziemlich verzwickt war. Verglichen zu Marina hat dieser mir recht gut gefallen.
Ein weiteres Werk Der gefangene des Himmels, wohl ein Fortsetzungsroman des obigen Buches, steht noch bei mir ungelesen im Regal.

Nun bin ich ganz gespannt auf die neue Erfahrung mit diesem Buch... .

Montag, 29. April 2013

Erwin Strittmatter / Der Laden I (2)

Zweite von zwei Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

In dem Buch sprechen die Figuren hauptsächlich den ortsüblichen Dialekt und gebe ihn als solchen in den Zitaten wieder.
In Bossdon, fragt man nicht, wenn man etwas nicht verstanden hat: Wie bitte? Sondern: Was hoaste gesoagt? Oder einfach: Wa? Einmal, als ich schon einige gelesene Bücher hinter mir hatte, fragte ich, als ich etwas nicht verstand, versuchsweise: Wie? Da lachten sie mich aus und bewarfen mich mit Rossäpfeln. Ich hatte gegen den örtlichen Sprachkodex verstoßen. Im Bossdom gab’s kein Mich und kein Dich, es gab in allen Fällen nur Mir und Dir. Noch heute soage ich in meinem Heimatdorf, wenn ich dort einkehre, nicht das leiseste Mich zu verwenden, weil ich nicht will, dass man sich wegdreht und sagt: Der macht sich vielleicht stolz! Mit dem kannste nicht mehr reden! 102 f
Auf den Spruch, der macht sich vielleicht stolz, musste ich so lachen und Esau Matt seine Kindheit über so bemüht damit war, sich nicht stolz zu machen. 

Am 15. Juni 1919 zieht die Familie Matt von einem Niederlausitzer Heidedorf nach Bossdom und eröffnen dort einen Laden. Heinrich Matt wird Bäcker, Lene Matt verkauft. Allerdings nicht nur Backwaren, der Laden ist mehr eine Art Gemischtwarenladen  Eigentlich ist Heinrich ein Multitalent, ist nebenbei, obwohl es hart ist, noch landwirtschaftlich tätig. 

Wie in der letzten Buchbesprechung schon gesagt wurde, ist es Esau, der als kleiner Schuljunge versucht, sich in die Welt der Erwachsenen einzudenken und gibt diese Welt in der Ich-Perspektive wieder.  
Unsere Familie schlägt Wurzeln und wächst langsam in Bossdom ein. Auf den Herbst zu  gibts keinen Winkel im Anwesen, in dem ich nicht hockte, aus dem ich mich nicht hinaus oder zu mir hin träumte.Auf dem Mehlboden umwallen mich die Düfte vom Roggenmehl, Kleie und Leinschrot. Sie nehmen mich mit sich und entdecken mir: was heute Korn ist, ist morgen Mehl, und das Mehl wird Brot, und das Brot wird Kot :), und schließlich wird, was ehemals Korn war, wieder in trocken Halmen sein. Und das häufig, indem ich auf dem Futterboden sitze, das gestern Gras hieß, wird morgen in der Raufe Futter und übermorgen Roßapfel heißen. Wo ich auch hinschaue: Kreislauf und Kreislauf (...).68f
Esau ist schon ein schlaues, kleines Kerlchen, die Art, wie er die Welt aufnimmt, erfordert eine hohe Sensibilität und Beobachtungsgabe. 

Eine Welt kleiner Leute, mit ihrer eigenen Logik, was deren Lebensphilosophie betrifft. Sprichwörter, die Esau allzu genau nimmt und sie nicht so versteht, wie es die Erwachsenen tun. Er hakt oft nach, bekommt aber meist keine zufriedenstellende Antwort. Jede Menge Beispiele sind dazu dem Buch zu entnehmen. 

Gedanken macht sich Esau auch über Geister, Dämonen, über Indianer und schwarze Menschen. Die Drohungen seiner Mutter, es kämen Teufel, um ihn abzuholen, wenn er nicht artig sei, faszinierte Esau. Er probierte aus, lebte untadelig, wartete auf den Teufel, weil er schon immer mal einen echten Teufel oder Engel sehen wollte, aber sie bleiben aus, was Esau enttäuschte.

Schwarze Menschen wurden in der Familie nicht als Menschen bezeichnet. Auch wenn es zu dieser Zeit kaum Schwarze im Dorf zu sehen gab, war Bossdom doch eine Ausnahme, als der Großvater Esau von einem Neger spricht, der wie ein richtiger Mensch Klarinette spielt. 307

Begriffsdefinition. Im Dorf werden drei Männer wegen Vergewaltigung dreier junger Mädchen angeklagt und sich dies überall im Dorf herum spricht  Selbst die Kinder bekommen das Getratsche mit und machen sich über den Begriff Vergewaltigung Gedanken, und nicht so recht wissen, was damit gemeint ist. Ein Junge probiert den Begriff zu definieren, nachdem Eseau den ihn mit einem anderen Begriff vergleicht:
Vergewaltigen? Ich kenne gewaltigen Hunger und gewaltigen Durst. Wenn ich nicht wichtig esse und richtig trinke, vergewaltige ich dann den Hunger und den Durst? Franze Buderitsch, die zuständige Instanz für meine sexuelle Aufklärung, weiß es auch nicht genau: Ich gloobe, es ist etwas mit Mädels hinschmeißen, sagte er. 356
Die Matts sind richtige Geschäftsleute und um jeden Kunden bemüht. Die Kinder Matts, die eine gewisse Vorbild- und Vorzeigefunktion in der Gesellschaft inne hatten, mussten immer adrett auftreten, um den Ruf des Ladens nicht zu beeinträchtigen oder gar zu schädigen. Oftmals auch über eine künstliche und gezwungene Art, wie z.B. vor den Erwachsenen einen Knicks zu machen, auch die Jungen  dazu angehalten. Wenn es Ehekrach oder sonst einen Familienzwist auch mit den Großeltern gab, so war es für Mutter Lene wichtig, dass die Kinder die Familienprobleme nicht hinaustrugen. Eseau hielt sich nicht immer dran, da er unter der vergifteten Familienathmosphäre oft litt, als er einmal bei einem Elternstreit den Tisch umgeschmissen hatte und schreiend hinauslief. Die Reaktion der Mutter:
Ich berichte, was ich den Frauen draußen sagte. Meine Mutter tadelt mich: Hättste nich uffn Hoaf renn könn? Die Leite sin bloß neigierig, warum bei uns der Tisch umgefallen is; sie frein sich über jeden Schoaden, bloß weil wir den Loaden hoaben.der Laden, der Laden! Er will nun auch bestimmen, wohin ich in meinem Kummer zu rennen habe, und er hätte vielleicht gar gern gesehen, wenn ich gelogen hätte. Ich verstehe die Welt der Eltern nicht. 409
Das waren ein paar wenige Beispiele, die ich gerne festhalten wollte.

Mein Fazit zu dem Buch: Es ist sehr authentisch geschrieben. Die Literaturfiguren treten recht differenziert auf, es menschelt so sehr im ganzen Buch. Die Menschen darin schienen mir so nacket :-).

Die Probleme der damaligen Zeit, wie z.B. die Kaiserzeit, abgelöst von dem ersten gewählten Sozialdemokraten Friedrich Ebert, Weltwirtschaftskrise, Inflation, später die Folgen der Weimacher Republik bekam man gut zu spüren. Viele Leute waren bemüht, ihrem Kaiser treu zu bleiben und fühlten sich zwischen Kaiser und Ebert ein wenig gespalten. Allerdings sind diese politischen Hintergrundinformationen eher angedeutet wiedergegeben. Dennoch konnte man gut folgen, was das Verständnis des politischen Lebens jener Leute betrifft, deren Alltagsleben davon ergriffen war. 

Ich gebe dem Buch zehn von zehn Punkten. Gerne werde ich auch BD II lesen. Allerdings ist Esau Matt kein kleiner Schuljunge mehr. Wie aus dem Klappentext zu entnehmen ist, hat auch der Autor, ähnlich wie sein Vater, mehrere handwerkliche Berufe ergriffen, trotz höherer Schule. Meine Neugier, wie das Leben Esau Matts in den anderen beiden Bänden sich fortsetzen wird, ist erhalten geblieben.

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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

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Erwin Strittmatter / Der Laden I (1)

Eine von zwei
Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre


Ich habe das Buch beendet, BD I, und ich kannte den Autor bislang gar nicht. Und siehe da, nun habe ich, ohne es zu wissen, gleich mit einer Autobiographie begonnen und lerne den Autor über die Literaturfigur Esau Matt kennen. Es warten im Regal noch die Bände II und III. Erwin Strittmatter kann schreiben, ohne Frage. Eine sehr sensible Persönlichkeit, die schon in jungen Jahren das Leben der Erwachsenen stark unter Beobachtung stellte.
Das Buch ist so schön geschrieben, aus der Perspektive eines kleinen Schuljungen... . Humor, schwarzer Humor, kindlicher Humor. Alles vertreten. Ich liebe es.

In dem Buch gibt es einfach viele Lacher, auf die ich in der zweiten Buchbesprechung über Zitate konkret eingehen werde. Hier möchte ich einfach meine Eindrücke festhalten, die unabhängig von Textquellen geschrieben sind. Szenen, die mir besonders wichtig sind.

In dem Buch bin ich auch auf Sodom und Gomorrha gestoßen, und erfahre dadurch, dass die Geschichte aus der Bibel entnommen wurde. Ich verband bis dato ausschließlich damit Marcel Proust, der dem Titel Sodom und Gomorrha einen ganzen Band gewidmet hat und es darin hauptsächlich um Homosexualität geht, für die Proust Abschaum empfunden hatte. Habe selbst mal die Bibel gelesen, kann mich aber partout nicht an den oben besagten Titel erinnern. Der kleine Esau Matt hat diese Bibelstelle in der Schule gelesen und liest sie wieder zu Hause bei einer besonderen unangenehmen sündigen Angelegenheit, ohne aber konkret auf den Inhalt einzugehen.

Esau sitzt in der Kirche und lauscht den Worten des Pfarrers und denkt über das Ehebrechen und das Verbrechen nach und stellt fest: 
Man wird schneller zum Ehebrecher als zum Verbrecher, (...) denn wenn man das Eheweib eines anderen ansieht, ihrer zu begehren, auch wenn man als Verheirateter ein junges Mädchen ansieht, das noch keinen Schapprich hat, ist man schon Ehebrecher. Während man Einbrecher wird, wenn man ein Türschloss aufbricht (...).
Von wegen, alles einfache Leute und keine hohe Lebensphilosophie. Das habe ich allerdings nicht abwertend gemeint. Komme ja selbst auch aus einem Dorf.
Esau Matt wird für die höhere Schule vorgeschlagen und er bekommt von seinem Lehrer Goethe herangetragen, das Buch: "Wahrheit und Dichtung". Die Fragestellung: Wie Goethe Wahrheit und Dichtung definiere? Der junge Grundschüler Esau kam mit dem Buch nicht zurecht und gab zur Antwort: Die ganze Wahrheit Goethes sei erdichtet :).

Erwin Strittmatter selbst muss sich später auch als ein erwachsener Autor die Frage gefallen lassen, was an dem Buch Wahrheit, Dichtung, oder gar Lüge sei? Dabei fällt mir wieder Siegfried Lenz ein, s. Signatur. Für mich gibt es auch eine unbewusste Wahrheit, die sich hinter einer Symbolsprache in Dichtung und Malerei... verbirgt. Und so verstehe ich auch S. Lenz´ Spruch.

Tief berührt hat mich auch in diesem Buch das Thema zu den Schlachttieren. Überall auf der Welt werden Tiere geschlachtet und meist ohne Narkose. Sie werden beim lebendigen Leibe getötet, einfach das Messer an die Kehle gesetzt... Die Schweine schreien schon vor ihrer Exekution wie am Spieß. Sie wissen sehr wohl, was ihnen geschieht. Es gibt viele Dorfkinder, die beim Schlachten zugesehen haben, aber aus ihnen wurden alles keine Vegetarier. Schreckt also nicht jeden ab, mich hat es abgeschreckt, als auch ich im sehr jungen Kindesalter Zeuge verschiedener Tiertötungen wurde. Als Esau das Schweineschlachten beobachtet, wird ihm speiübel und empfindet Mitgefühl für die Tiere und fühlt sich für das Schlachten sogar mitschuldig. Er rennt zu seiner Tante und erkundigt sich, wie sie mit dem Schweineschlachten selbst fertig wird. Dabei erfährt er, dass sie gar kein Fleisch isst, da es ja Quark und Leinöl zu genüge gibt. Ihre Meinung: "Wer sich über die Grausamkeit des Schweinschlachtens ereifert aber Wurst isst, der heuchelt", 467.
Esaus Vorbilder findet er zudem auch noch in der Literatur, in Tolstoi und Rilke, beide waren strenge Vegetarier. Doch als der zweite Weltkrieg ausbrach, Esau war mittlerweile erwachsen, und es nicht mehr genug Nahrungsmitteln gab, fing er wieder an, Fleisch zu konsumieren, um selbst zu überleben. Als der Krieg vorbei war, richtete Esau sein Leben wieder als Vegetarier ein.

Das sind so für mich die wichtigsten Szenen gewesen, die mir sehr angetan waren. Zu dem Titel “
Der Laden werde ich in der zweiten Buchbesprechung mich ein wenig auslassen.

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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)


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Montag, 22. April 2013

Erwin Strittmatter / Der Laden I



Klappentext
Ein folgenschwerer Tag ist jener 15. Juni 1919 für Esau Matt: Die Familie zieht um, von einem Niederlausitzer Heidedorf in ein anderes, nach Bossdom. "Brod-, Weissbäckerei, auch Colonialwarenhandlung" steht über dem Laden, den die Eltern mit nichts als Geborgtem erworben haben. Von nun an wird Esau Bäckersch Esau sein und bleiben, und der Laden wird tyrannisch in den Familienfrieden eingreifen. 
"Seit mein Buch Der Laden erschien, wird in meiner Heimat nachgeforscht: Wer ist wer? Und man kommt dabei zu falschen Schlüssen und behauptet, ich hätte diesem und jenem und solchen etwas angedichtet, was sie nicht getan haben. Und sie bestehen darauf, daß sie die im Roman vorkommenden Leute erkennen, vor allem sich selber. Und es kommen Leserbriefe, in denen angefragt wird, wieviel Prozent von dem, was ich aufschrieb, auf Wahrheit beruht, und wieviel Prozent erdichtet, um nicht zu sagen erlogen, sind. Ich antworte diesen Lesern hiermit: Wahrlich, ich sage euch, dieses Buch da und dieses Buch hier enthalten neunzig Prozent Wahrheit und zehn Prozent Erlogenes. Ich sage absichtlich Erlogenes, weil jene Leser den Unterschied zwischen Dichtung und Lüge nicht anerkennen." Erwin Strittmatter

Autorenportrait
Erwin Strittmatter wurde 1912 als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern in Spremberg geboren. Er beendete das Realgymnasium mit 17 Jahren, arbeitete als Bäckergeselle, Kellner, Chauffeur, Tierwärter und Hilfsarbeiter. 1941 wurde er zum Polizei-Reserve-Bataillon 325 einberufen, das später zum Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 umgebildet und 1943 in SS-Polizei-Gebirgsjäger-Regiment 18 umbenannt wurde, ohne Teil der SS zu sein. Bis Sommer 1944 war er Bataillons-Schreiber, danach wurde er zur Film- und Bildstelle der Ordnungspolizei nach Berlin-Spandau versetzt. Bei Verlegung der Dienststelle setzte er sich mit gefälschten Papieren nach Böhmen ab. Ab 1945 arbeitete er erneute als Bäcker, war daneben Volkskorrespondent einer Zeitung und seit 1947 Amtsvorsteher in sieben Gemeinden, später Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1954 lebte er als freier Schriftsteller in Schulzenhof bei Gransee. Er starb am 31. Januar 1994.
Ich beginne heute mit der Trilogie Der Laden. Lese die Bände aber nicht hintereinander, weil ich immer mal wieder Abstand von einem Band zum nächsten benötige.

Erwin Strittmatter als Autor war mir bisweilen kein Begriff. Entdeckt habe ich ihn bei Jokers.  Ein paar Seiten habe ich schon gelesen und es gefällt mir ganz gut. Es hat ziemlich viel Humor.

Da spricht ein Betrunkener zum Vollmond, dass dieser nur alle vier Wochen voll sei, während er, der Trinker, jeden Abend :). .

Das Buch ist so schön geschrieben, aus der Perspektive eines kleinen Schuljungen erzählt... . Humor. Schwarzer Humor. Kindlicher Humor. Alles vertreten. Ich liebe es.









David Guterson / Ed King (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch, das ich soeben beendet habe, hat mir recht gut gefallen. Während der ersten hundert bis huntertfünfzig Seiten bin ich ziemlich oft überrascht worden. Meine Vermutungen, wie das Buch weiter sich entwickeln wird, habe ich nicht bestätigt bekommen. Später, als mir die ganzen Abläufe bekannt und vertraut wurden, ist es mir gelungen, die weiteren Verläufe vorauszusehen… .

Solche Bücher liebe ich, wenn sie mich ein wenig in die Irre führen und für reichlich Überraschung sorgen.

Aus meiner Sicht gibt es mehrere Protagonisten, nicht nur Ed King, das Findelkind, sondern auch seine jugendliche Mutter namens Diane im Alter von fünfzehn Jahren, die von der Persönlichkeit her mir ebenso bedeutsam erschien ist, wenn auch mir ihre Charakterzüge nicht wirklich sympathisch waren. Sie ist zwar ein Kind einer Prostituierten und lässt manches Unliebsame Verhalten für ihren Auftritt dadurch erklären, dennoch nicht wirklich dauerhaft entschuldigen. Diane kommt aus England, emigriert nach Amerika und bewirbt sich als Au Pair Mädchen bei der Familie Walter Cousins. Eigentlich flieht Diane vor dem Mutterhaus, die in der Wohnung Kunden hielt. Ihre Pläne waren geprägt davon, in Amerika zu schnellem Geld und zu einem guten Leben zu kommen. Auf keinen Fall das Leben ihrer Mutter fortsetzen.

Walter Cousins, Versicherungsagent von Beruf, scheint seinen Verstand in seinen Geschlechtsorganen verlagert zu haben. Seine Gedanken kreisen stets um Sexfantasien. Er lässt sich von der minderjährigen Diane, die einen Plan ausheckt, verführen und schwängert sie. Walter Cousins steht unter Druck, wird von Diane erpresst… Er zahlt sechszehn lange Jahre für das Kind, das Diane ohne seines Wissens ausgesetzt hat. Sie macht ihm weiß, das Kind doch nicht zur Adoption freigegeben zu haben. Diane war nicht die einzige Frau, mit der Walter ein Verhältnis hatte…, aber, weil er erpressbar war, und aus seiner Situation lernte, suchte er sich verheiratete Frauen aus, und setzte so seine Seitensprünge weiter fort, anstatt sich zu fragen, was das ist, das ihn zu anderen Frauen treibt... .

Diane setzte ihren Sohn nach der Geburt aus und so wurde das Kind über Umwege von einer Familie adoptiert. Walter Cousins wird von Diane so ziemlich hinters Licht geführt. Zwar ist sie minderjährig, aber sie weiß zu gut, was sie tut. Ihren Platz in der Welt Amerikas erbeutete sie sich mit unechten Geschäften und Intrigen… .

Der Säugling, geboren im April 1963, wird von der jüdischen Familie King adoptiert, da ihr Kinderwunsch zu der Zeit versagt geblieben war. Das Kind wurde auf den Namen Eddy King getauft. Später erhielt der Junge einen kleinen Bruder namens Simon King.

Die Adoption bleibt geheim. Ed King entwickelte sich zu einem ganz normalen Jungen mit Pubertätproblemen, aus denen er rauswächst, wenn auch auf eine ganz besondere Art, weil die Situation eine ganz besondere ist. Ed King ist begabt , studiert Mathematik und wird erfolgreich in der Computerbranche. Er entwickelt sich zu einem der reichsten Menschen Amerikas. Dadurch, dass er vermögend ist, glaubt er, sich die Welt erkaufen zu können… . Ed King erfährt durch Zufall über seinen Roboter, der über eine enorme künstliche Intelligenz verfügt, dass er adoptiert worden ist. Seine Großeltern und Adoptiveltern waren schon verstorben. Nun beginnt im Alter von 55 Jahren die Suche nach seiner wirklichen Identität.Das Buch schreibt das Jahr 2018.

Auch er stellt sich die Schuldfrage, wie ich sie mir anfangs schon gestellt hatte und so stellt Ed ein paar Hypothesen auf und zieht einige Überlegungen in Betracht:
War Abtreibung 1963 überhaupt erlaubt?Ein ziemlicher Schlamassel schwanger zu werden und nicht weiterzuwissen. Aber fallen Babys einfach so vom Himmel?Sie entstehen doch durch die Dummheit und Geilheit der Leute. Wie so viele andere Probleme auch. Ist also der Sex schuld? Oder die betreffende Person? Wann kann man sagen, dass jemand für etwas die Schuld trägt? Wer auch immer mich verstoßen hat, war nicht bloß ein Opfer der Umstände und zumindest mitverantwortlich für seine Tat, und deshalb habe ich das Recht, wütend auf ihn zu sein. Das Problem mit der Wut ist nur, dass die andere Seite damit zwei Mal gewinnt, , einmal, weil sie mich ausgesetzt hat, und ein zweites Mal, weil ich nichts anderes machen kann, als wütend zu sein. (…) Ich habe das Gefühl, das ist alles nur ein Traum. Aber es ist wahr, ich bin ein Findelkind. 357
Tja, bei Walter Cousins war wohl der Sex und seine Geilheit schuld. Bei Diane ihre Herkunftsprobleme... . Diane, die durch den Beruf ihrer Mutter die Männerwelt recht schnell zu durchschauen gelernt hat und Techniken erlernt hat, gewisse Männer zu verführen... . . 


Es gibt Bücher, damit meine ich nicht die Fantasie Bücher, sondern ganz normale Bücher, die sich mit der Gegenwart befassen, und trotzdem gibt es viele wichtige Szenen, die für mich nicht realitätsecht sind, aber wenn das Buch gut geschrieben ist, dann kann es passieren, dass es mir trotzdem gefällt und ich nicht enttäuscht bin. Zu diesen Büchern gehört auch Ed King.

Als ich das Buch beendet habe, trauerte ich um Ed King, obwohl mir, um es allgemein auszudrücken, die vielen Zufälle, die zu gewissen Ereignissen, und diese zu wichtigen Personen führten,  zu sehr konstruiert erschienen sind. Viel zu viele unnatürliche Zufälle und Begebenheiten... . 

Das Buch zeigt auch den Spiegel zur amerikanischen Gesellschaft, was Wertvorstellungen, Lebensweisen und Ansichten betreffen.

Das Buch erhält von mir dennoch zehn von zehn Punkten, weil es gut, kreativ und was die Figuren betreffen charakterreich geschrieben ist. Um nicht zu viel vorwegzunehmen, habe ich meine Beschreibungen, Szenen zu dem Buch hauptsächlich allgemein gehalten. Das Buch hat den Anspruch, von Anfang an gelesen zu werden und nicht ausschnittsweise.
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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

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