Mittwoch, 7. November 2012

Fabio Geda / Emils wundersame Reise (1)

Selten kommt es vor, dass ich keine Lust habe, den Inhalt eines Buches zu besprechen. Selten, aber es kommt vor. Fabio Geda hat mich mit seinem Buch alles andere als inspiriert.

Ich gehe mal davon aus, dass es ein Jugendbuch ist, ist aber als solches nicht deklariert. Ich lese Jugendbücher nur gerne, wenn sie auch wirklich gut geschrieben, und die Themen nicht all zu unreif wirken. 


Gefallen hat mir, als Emils Großvater ihm Briefe aus Deutschland, Berlin, mit verdrehten Buchstaben geschrieben hat. Er hat herausgefunden, dass, wenn an einem Wort der Anfangs-  und der Endbuchstabe richtig sind, so kann man ruhig die restlichen Buchstaben vertauschen, ohne dass der Sinn verloren geht. Die Wörter lassen sich flüssig runter lesen. Und das stimmt auch.


Ich bruhcae mcih nchit mher um lstäige Behcutsenbrhaerdhr zu kmmüren... . 

So, das war das einzige, das mir gefallen hat. Deshalb verweise ich auf den Klappentext, s. Post. weiter unten im Blog, Buchvorstellung, wer mehr wissen möchte.


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„Musik ist eine Weltsprache“
            (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2012: 80
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 5. November 2012

Fabio Geda / Emils wunderbare Reise



DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 256 Seiten,

ISBN: 978-3-8135-0487-3

€ 17,99  





Klappentext


Quer durch Europa – dem eigenen Glück entgegenEmil ist erst 13 und hat doch schon mehr gesehen, als ein Kind je sehen sollte. Ohne Papiere hat er sich mit seinem Vater von Rumänien bis nach Italien durchgeschlagen. Doch als der ausgewiesen wird, ist Emil ganz auf sich allein gestellt. Seine einzige Hoffnung: Er muss seinen Großvater finden, den er nur aus Briefen kennt und der mit seiner Artistentruppe in Berlin gastiert. Mit einer Gruppe Jugendlicher – alle schräge Außenseiter wie er selbst – macht er sich auf die abenteuerliche Reise. Sie führt ihn quer durch Europa, immer ein Stück dem eigenen Glück entgegen.

Autorenportrait

Fabio Geda, 1972 in Turin geboren, arbeitete viele Jahre mit Jugendlichen und schrieb für Zeitungen. Bereits sein erster Roman „Emils wundersame Reise“ war in Italien ein Überraschungserfolg; das Buch „Im Meer schwimmen Krokodile“ brachte ihm auch international den Durchbruch.
 „Ich wollte einen Abenteuerroman schreiben, so etwas wie Huckleberry Finn. Eine optimistische Geschichte, denn trotz aller widrigen Umstände schafft Emil es am Ende. Er ist der Typ Junge, den sich jeder Erzieher wünscht.“

Das Buch habe ich durch Zufall entdeckt. In einer Buchhandlung. Nun ist es aber Anne zu verdanken, die das Buch auf meine kleine SuB-Liste gesetzt hat, und ich nun das Buch lesen werde.

Der Autor selber ist mir unbekannt. Die ersten fünfzig Seiten lesen sich recht locker, glaube aber nicht, dass er eine Chance hat, ihn zu meinen Favoriten einzureihen. Oftmals sind mir seine Beschreibungen zu Menschen aus den verschiedenen Ländern zu einseitig. Überall auf der Welt sind Menschen verschieden, im Aussehen und im Charakter. Ein gutes Buch sollte dies berücksichtigen, was der Autor leider nicht tut. Gerade ein Autor / eine Autorin sollte darin vorbildlich sein.

Sonntag, 4. November 2012

Anne Enright / Das Familientreffen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

So, ich habe das Buch nun durch und, gleich vorneweg gesagt, dass der literarische Ausdruck super ist. Ich gebe nur dem Ausdruck alleine zehn von zehn Punkten.  Er ist tiefgründig und fantasievoll.

Was der Inhalt betrifft, so frage ich mich wiederholt, ob die Autorin nicht auch Biografisches in dem Werk hat einfließen lassen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man diese Schwere an Gedanken und Erlebnissen erfinden kann, ohne sie selbst erlebt zu haben... . 

Ich finde das Buch gar nicht so einfach zu lesen, weil Veronica, die Protagonistin, mich als Leserin hauptsächlich mit Reflexionen konfrontiert, ohne dass ich selbst an den Handlungen teilnehme. Es entstehen dadurch jede Menge Verknüpfungen zu anderen Familienmitgliedern. Durch Lians Tod, der um ein Jahr ältere Bruder, reflektiert sie nochmals den Tod ihrer Großeltern und den ihrer Eltern und vergleicht sie miteinander, auch die verschiedenen Lebensweisen.

Das Familienbild, an dem Veronica einen teilhaben lässt, ist schon recht hart, aber manchmal auch mit Witz erzählt, an vielen Stellen spürt man aber auch die Wut, die Irland gilt. Wut an die Gesellschaft, sowohl Männer, die sich nehmen, was sie benötigen als auch Frauen, die sich von den Männern in vielerlei Hinsicht benutzen lassen, s. dazu unten.


Auch hier trifft man wieder ein düsteres Bild zu Irland; Armut, Kinderreichtum, Elend, Alkoholismus, Sexueller Missbrauch, Katholizismus... 

Und in einem Bild ausgedrückt:
Dort am Fenster zeigte sich ein Gesicht, oder stell dir vor, unter Dublin läge ein Vulkan, oder wir fielen ihn ein Loch und hätten den Mund voller Maden.
Irland, in eine Metapher gepackt, der Mund voller Maden und steht für mich für große und ekelerregende Fäulnis.

Veronica kommt aus einer Großfamilie, mit ihr zusammen sind es zwölf Kinder, davor gab es noch sieben Fehlgeburten.


Erst am Schluss des Buches erfährt man, weshalb sie eine Wut auf ihre Mutter hat. Ist doch ihr gutes Recht, Kinder zu gebären so viel sie will, denkt man erst, aber aus Veronicas Sicht wird ihre versteckte Anklage auch verständlich. 

In unseren Familien findet sich alles, und spätnachts ergibt alles einen Sinn. Wir begleiten unsere Mütter, was mussten sie nicht alles über sich ergehen lassen im Bett oder in der Küche, und wir hassen sie, oder wir verkörpern sie, aber immer weinen wir um sie - ich zumindest. Der undenkbare Schmerz meiner Mutter, gegen den ich mein Herz verhärtet habe. Nur ein Glas über das übliche Maß hinaus, und ich schlage auf den Tisch wie alle anderen auch und heule nach ihr.
Diese Ambivalenz, vermehrt der Mutter gegenüber, zeigt sich in ihren Gedanken, in der Auseinandersetzung mit ihrer Familie.

Veronica und Liam waren miteinander stark verbunden, Liam, der ein Jahr älter als sie war und der im erwachsenen Alter sich suizidierte... .

Veronica reflektiert nicht nur ihre eigene Kindheit, sie geht noch weiter zurück, und reflektiert das Leben ihrer Großeltern, und deren gesellschaftliche Rollen und erwirbt dadurch jede Menge Erkenntnisse, und dieses Verständnis sich auf ihr eigenes Leben übertragen lässt... .


Großmutter Ada hatte mehrere Verehrer, und sie entschied sich aber nicht für den Mann, der besser zu ihr passte. Das Leben weist Rätsel auf:

Ich weiß nicht, warum Ada Charlie geheiratet hat, wenn es doch Nugent war, der zu ihr passte. Und obwohl Sie sagen könnten, dass sie nur Nugent deswegen nicht geheiratet hat, weil sie ihn nicht mochte, so reicht diese Erklärung doch nicht wirklich aus. Nicht immer mögen wir die Menschen, die wir lieben - nicht immer haben wir diese Wahl.
Nicht immer mögen wir die Menschen, die wir lieben, dieses Zitat gibt mir zu denken, und ich weiß für mich, dass da was dran ist.
Und vielleicht war das ihr Fehler. Sie glaubte, wählen zu können. Sie glaubte, jemanden heiraten zu können, den sie mochte, mit ihm glücklich sein und glückliche Kinder haben zu können. Sie begriff nicht, dass jede Wahl verhängnisvoll ist. Für eine Frau wie Ada ist jede Wahl ein Irrtum, und zwar sobald sie getroffen ist.
Dabei spricht Veronica auch viel von ihrer Ehe mit Tom, die auch recht ungewöhnlich war, da Veronica sich als Ehefrau Freiräume schaffte und selbst entschied, wie oft sie Sex haben wollte. Sie wollte es anders machen als ihre Mutter, die sexuell ständig ihrem Mann zur Verfügung stand, selbst wenn sie keinen Sex wollte... .

Veronicas Vater war Dozent an einer pädagogischen Hochschule. Er starb 1986 an einem Herinfarkt und die Menschen am Begräbnis lächelten über ihn, dass das viele Bumsen ihn zermürbt hätte. Ich denke, darauf war auch Veronica wütend. Einen geilen Vater zu haben, wütend auf die Mutter, die sich bumsen ließ und sie das Zeugen vieler Kinder nicht verhindern konnte. Wenn mal Ruhe war in der Sexualität der Eltern, bezeichnete Veronica dies als eine vorübergehende Lücke in der Fortpflanzungsfähigkeit ihrer Mutter. 


Vorbildlich war für Veronica ihre Großmutter Ada,  die im Gegensatz zu ihrer Mutter eigenständig existierte und auch mit Männern flirtete. Das hätte sich Veronicas Mutter niemals erlaubt. Ada war auch so frei, zwischen zwei Männern zu wählen, wer ihr Gatte werden sollte.


Männer und Sexualität; Männer holten sich, was sie brauchten. Ich finde das Bild so schön:

Bezahlter Sex im irischen Freistaat. 

Bis Ende der 1970er Jahre wirkte sich dies noch aus:

Denn plötzlich war ich mir vieler Dinge sicher. Unter anderem, dass die Leute vögelten, das war eines von den Dingen, die sie trieben: Männer vögelten Frauen - und nicht umgekehrt; und dieser überraschende Mechanismus sollte nicht meine Zukunft verhindern, die sich zu verändern begann, kaum dass ich sie ins Auge gefasst hatte, sondern ebenso die weitere und in sich geschlossene Welt meiner Vergangenheit. 
Sowohl Veronica als auch ihr Bruder wurden als Kinder Opfer der sexuellen Gewalt und der häuslichen Gewalt, wie z.B Kindstod durch Mord an einem Geschwisterkind durch die Mutter, die erneut schwanger war.... . Veronika erfährt schon recht früh in ihrem Leben, dass die einzige Sünde der Sex sei, auch hier im Vergleich zwischen ihrer Großmutter Ada und ihrem Liebhaber Nugent:
Nugent öffnet mit seinen sündhaften, eckigen Fingern Adas Bauch, taucht ein in ihren Höhlungen, nimmt mit achtsamen Verlangen ihre wunderschönen Lungenflügel und drückt kosend- "Ach", seufzt Ada, als die Luft aus ihr entweicht - ihre rosa Lungen zusammen.
Während Veronica dadurch Probleme mit ihrem Körper bekommt, und sich wünscht, ihm zu entfliehen: 
Nichts als Sex. Ich würde liebend gern meinen Körper verlassen. Vielleicht geht es ja genau darum, bei diesen Fragen nach Welch und nach wessen Loch, nach den richtigen Körpersäften an den falschen Stellen, diesen kindlichen Verwirrungen und kleinen verbissenen: die Eröffnung der Möglichkeit uns auf diesem Fleisch heraus zu kämpfen (am liebsten einfach heraus schwimmen, wissen Sie?, Hinausschnellen wie ein Wort aus meinem Mund und mit einem Schlag meiner Schwanzflosse verschwinden), es gibt eine Grenze, was man ficken kann und womit.
Dennoch trauerte Veronicas sehr, als ihr Vater starb:
Heute tut es weh, dass Daddy tot ist. (...) Er ist also nie in ein Geschäft gegangen, wo Kondome gleich neben der Registrierkasse verkauft werden. Er brauchte also nie umzulernen, nicht einmal geringfügig.
Obwohl Veronicas Vater seine Frau liebte, er liebte sie,  aber er liebte sie nicht innig genug, um sie in Ruhe zu lassen.
 Meine arme Mutter hatte zwölf Kinder. Immer wieder musste sie die Zukunft zur Welt bringen. Ein ums andere Mal. Zwölfmal Zukunft. Noch öfter. Vielleicht gefiel es ihr ja, all diese Kinder zu kriegen. Vielleicht verfügte sie über mehr Vergangenheit, die sie abstreifen muss, als die meisten Menschen. (lol)

Ich komme nun an eine Textstelle zu sprechen, die für mich wichtig war und noch ist, die mehr als makaber ist, dabei erinnere ich mich, als Veronica sagte, dass ihr Bruder und sie Geschichten erzählten, die wie erfunden klangen. 


Veronica besuchte zusammen mit ihrer Schwester ein Krankenhaus auf, und auf dem Schild Behindertendienst zu vernehmen war. Eine Klinik mit hohen Schornsteinen, das aus viktorianischen roten Backsteinen gebaut war. Es lebten darin psychisch kranke Menschen und Menschen mit einer geistigen Erkrankung:
"Behindertendienste" steht auf dem Schild, und erleichtert denke ich, dass die Irren nicht mehr sind. Die Irren sind, ganz naturgemäß, zu Staub geworden. Die Menschen sind nicht länger verfolgt. Die Irren in diesen Zimmern sind nur noch Hautreste, abgeschafft, abgehackt oder auch nur abgeworfen: Eine Million Schuppen, etwas weiches unter den Dielenbrettern, die Qualität des Lichts".
Klingt stark nach dem Nationalsozialismus, aber es ist auch bekannt, dass behinderte Menschen in Irland noch darüber hinaus schlecht behandelt wurden:
"Himmel", sagt meine Schwester, die wie ich eine Sekunde lang gedacht hat, dass man darin geisteskranke Patienten verbrennt, um im Krankenhaus die Heizkörper zu erwärmen. 
Viele irische Frauen, die sexuell vergewaltigt wurden, erkrankten psychisch und wurden lebenslänglich in diesen Heilanstalten eingesperrt. Viele kamen nicht mehr lebend heraus. Die Vergewaltiger dagegen, meist Mitglieder der Familie, liefen frei herum... . 
Auch uneheliche Kinder wurden nicht geduldet. Die Kinder wurden den Müttern weggenommen, und zur Adoption freigegeben. 

Selbst der suizidierte Bruder Lian galt als Sünder, da Selbstmord aus der Sicht der katholischen Kirche damals nicht zu verzeihen war. 


Ein kritisches Denken zur katholischen Kirche war in den Familien oft nicht erlaubt. Veronica erlangte eine starke Ohrfeige von ihrem Vater, als sie fragte, wo die heilige Jungfrau Maria, als sie in den Himmel hochgefahren ist, zur Toilette ging?


Und nun komme ich zu den Abschlussgedanken:



Am Ende kam ein so schönes Zitat, das mich glauben lässt, dass Veronica sich durch die nächste Generation mit ihrem schweren Schicksal ausgesöhnt hat.

Veronica zieht sich in ein Hotel zurück, auch fern von ihren Kindern, zwei Töchter, als fliehe sie vor ihnen und sie schließlich merkt, dass es gar nicht möglich ist, ihre Kinder zurückzulassen, da sie in Gedanken immer bei ihr sind und spürt sogar im Bett das seidige Haar ihrer Tochter und macht plötzlich folgende Erkenntnis: 

"Was für ein großartiger und leiser Sieg es ist, meine Kinder in der Welt zu haben." 
Eine höhere Wertschätzung kann es gar nicht geben den Kindern gegenüber, sich aber auch selbst gegenüber. Keine Anklagen mehr, nur noch Wertschätzung.

Nach dem Veronica nun ihre Geschichte erzählt hat und sie sie damit verarbeitet hat, und  sie sich mit ihrem Leben ausgesöhnt hat, gibt sie zu erkennen, dass sie gar kein anderes Schicksal haben wolle, sie wolle kein anderes Leben, keine andere Familie, keinen anderen Ehemann... .

So frage ich mich, ob wir Menschen auf der Welt sind, um genau dieses Leben zu leben, das wir leben, um Erkenntnisse zu machen... 

Fettdruck im Text durch die Autorin hervorgehoben!
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„Musik ist eine Weltsprache“
            (Isabel Allende)

Gelesene Bücher 2012: 79
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Donnerstag, 1. November 2012

Anne Enright / Das Familientreffen


Verlag: btb
2011, 9,99 €
Gebunden, Miniausgabe
Seitenzahl: 416

ISBN-10: 3442742595




Klappentext


Der Hegarty-Clan versammelt sich in Dublin, um Liam, das schwarze Schaf der Familie, zu Grabe zu tragen – doch schnell gerät der Anlass zur Nebensache. Nur Veronica wagt es, nach den Umständen zu fragen, die ihren Bruder in den Tod getrieben haben mögen. Ein beeindruckend intensiver Roman über die Frage nach Schuld und Verantwortung, nach der Liebe und ihren Folgen.


Autorenportrait

Anne Enright wurde 1962 in Dublin geboren und lebt heute im irischen Bray, County Wicklow. Die vielfach ausgezeichnete Autorin zählt zu den bedeutendsten englischsprachigen Schriftstellern der Gegenwart. Ihr Roman „Das Familientreffen“ (DVA 2008) wurde unter anderem mit dem renommierten Booker-Preis belohnt, ist in gut dreißig Sprachen übersetzt und weltweit ein Bestseller. "Anatomie einer Affäre" ist ihr fünfter Roman.

Von der Autorin habe ich noch nichts gelesen und bin durch Zufall auf dieses Buch gestoßen. Wie so viele Irland-Bücher geht es wieder Mal um das Elend in einer Familie. Ich habe schon ein paar Seiten gekostet und es hat mir gut gefallen. Bin recht neugierig, wie der Roman weitergeht.




Mittwoch, 31. Oktober 2012

Philippe Pozzo Di Borgo / Ziemlich beste Freunde (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Nun ja, das Buch habe ich nun durch aber so richtig gefallen hat es mir nicht. Vom literarischen Anspruch her gehört es meiner Meinung nach nicht zur höheren Literatur. Was das Menschenschicksal betrifft, so kann man es bedauern, und dies nicht nur für den Rollstuhlfahrer, der einen schweren Unfall erlitt, sondern auch für seine Frau, die fast zeitgleich an Blutkrebs erkrankte und sie nach fünfzehn Jahren ihrer Krankheit erlag. 

Trotzdem kann ich das Buch weiter empfehlen, denn dass ich so hohe literarische Ansprüche habe, soll nicht die Schuld des Autors sein. Aber ob ich den Erweiterungsband, erzählt aus der Sicht des Pflegers, noch lesen möchte, das muss ich mir noch überlegen. 

 Der Pfleger ist kein richtiger Pfleger, sondern jemand, der dem behinderten Menschen Philippe Pozzo etwas aushilft. Er ist ein Schwarzer, der in Algerien beheimatet ist, aber in Paris lebt. Die Rede ist von Abdel Sellou. Abdel hatte sich wie viele andere auf die Stellenanzeige beworben, und er hatte die Stelle auch bekommen, obwohl er über keinerlei Kenntnisse aus der Pflege verfügte, er aber seinen Charme hat spielen lassen, was für den kranken Patienten, sein zukünftiger Chef, ausschlaggebend war, obwohl es kulturelle Unterschiede gab, die Abdel deutlich zu zeigen gibt. Doch dazu später mehr. 

Philippe Pozzo, Gleitschirmflieger, ist mit seinem Fluggerät unglücklich gestürzt, dass er davon querschnittsgelähmt wurde und es kommen eine Reihe von Problemen auf ihn zu, mit denen er fertig werden musste. Er konnte sich nicht mehr um seine krebskranke Frau kümmern. Auch die beiden adoptierten Kinder mussten untergebracht werden, wenn die Mutter Beatrice wieder Schübe hatte... . Sowohl Philippe, als auch seine Frau unterstützten sich gegenseitig so gut es ging. Wenn man so etwas liest, diese vielen Schicksale in einer einzigen Familie, so nimmt man irgendwie vieles im Leben nicht mehr so ernst... . Auch Philippe musste lernen, über sich zu stehen und Humor zu entwickeln, wenn er psychisch überleben wollte, bis er Abdel kennenlernte:
Abdel ist der erste, der sich auf meine Anzeige beim Arbeitsamt hin vorstellte. Es sind 90 Bewerber, darunter ein einziger Franzose; ich gehe nach dem Ausschlussprinzip vor, und am Ende bleiben nur noch Abdel und der Franzose übrig. Jeder bekommt eine Woche Probezeit. Ich spüre bei Abdel eine Persönlichkeit, eine situative Intelligenz und etwas fast Mütterliches. Außerdem kann er gut kochen, auch wenn er hinterher nie aufräumt.Der Franzose macht den Fehler, mir zu sagen, wenn man einen Moslem in sein Haus lasse, könne man auch gleich dem Teufel die Tür öffnen. Daraufhin stelle ich Abdel unverzüglich ein.
Abdel ist eine recht ungewöhnliche Persönlichkeit mit vielen Widersprüchen. Aber es gelang ihm, auf die Bedürfnisse Philipps einzugehen. Und er brachte ihm eine große Portion Humor entgegen:
Er ist unerträglich, eitel, stolz, brutal, unzuverlässig, menschlich. Ohne ihn wäre ich zugrunde gegangen. Abdel hat mich pausenlos gepflegt, wie ein Säugling. Er hat auf jedes noch so kleine Zeichen von mir geachtet, während jeder einzelnen meiner Ohnmacht war er zur Stelle, er hat mich befreit, wenn ich gefangen war, beschützt, wenn ich wach war. Er hat mich zum Lachen gebracht, wenn ich nicht mehr konnte. Er ist mein Schutzteufel.
Philippe empfand große Schuldgefühle, auch gegenüber seiner Frau und seinen beiden Adoptivkindern, klagte sich an, dass er Gleitschirm geflogen sei, was seine Krise noch weiter verstärkte, und ihm öfter fast der Lebenswille versagte. 
Schuldgefühle stellten sich ein. Sie sind unnütz und lassen einen doch nie mehr los. Hätte ich diesen Tag des 23. Juni vermeiden können, dann hätte Beatrice nicht soviel Kraft lassen, die Kinder hätten nicht diesen Schock erleben müssen, meine Tochter wäre nicht so zerrissen und mein Sohn nicht so verstört. Sie mussten sich derart anstrengen, damit ich nicht aufgebe! Es war zu viel für ihr Alter, es ging über ihre Kräfte. Für mich begann an diesem 23. Juni meine Gegenwart.
Ich habe diese Familie sehr bewundert, der Zusammenhalt und die Liebe, die hier zum Tragen kam.

Philippe Pozzo musste lernen, seine alten Werte aufzugeben und neue zu gewinnen:
Jenseits der Worte, jenseits der Stille entdeckt man die eigene Menschlichkeit.
Der Körper, den man bisher vergöttert hat, verblasst allmählich zu Gunsten eines erneuerten Geistes, einer vertieften Spiritualität. Eine Kehrtwendung des Herzens.
Auf dem Grunde seines Herzens, in der Innerlichkeit, im eigenen Mysterium entdeckt man den anderen.
Der glatte, geschniegelte Privilegierte, der ich einmal war und der heute gekreuzigt auf seinem Bett liegt, malt sich ein Miteinander zwischen einer aufrecht stehenden und einer liegenden Menschheit aus. Das universelle Kreuz als Ausgangspunkt einer neuen Welt.
Schade, dass einem solche Erkenntnisse meistens erst in der Not kommen. 

Zwischen Philippe und Abdel gibt es oft kulturelle Meinungsverschiedenheiten, speziell was der Umgang mit Frauen betrifft, worüber ich über folgende Textstelle schmunzeln musste:
"Abdel, Frauen muss man respektieren ".
" Respektieren? Sagen wir mal so, es ist nicht an uns, sie zu respektieren, sondern an ihnen, sich Respekt zu verschaffen."
"(…)Abdel, Frauen sichern das Überleben der Menschheit."
Sympathisch fand ich allerdings, dass Philippe Abdel nicht verurteilt hatte, sondern er durchaus in der Lage war, ihm auch seine positiven Seiten abzugewinnen, und ihn als Mensch akzeptierte. 

Ich komme nun zum Abschluss meiner Aufzeichnungen, habe die für mich schönen Textstellen herausgeschrieben, und so beende 
ich nun meine Buchbesprechung mit einem Gebet, das Philippe gelernt hatte zu beten, das ein so ziemlich bekanntes und in der Gesellschaft der westlichen Welt sogar ein weit verbreitetes Gebet ist:
Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
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 „Musik ist eine Weltsprache“
            (Isabel Allende)

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Montag, 29. Oktober 2012

Philippe Pozzo Di Borgo / Ziemlich beste Freunde



  • Gebundene Ausgabe
  • Verlag: Hanser Berlin; Auflage: 15 (16. März 2012)
  • 350 Seiten, 14,90 €
  • ISBN-10: 3446240446


Klappentext

Der bewegende Roman von Philippe Pozzo di Borgo, Ziemlich beste Freunde, handelt von zwei Männern, die unterschiedlicher kaum sein könnten: dem nach einem Fallschirmsprung querschnittsgelähmten Geschäftsführer der Firma Champagnes Pommery, Philippe Pozzo di Borgo, und dem Ex-Sträfling Abdel Yasmin Sellou.
Sellou bewirbt sich bei Pozzo di Borgo als Intensivpfleger, um eine Unterschrift für das Sozialamt zu bekommen – und wird engagiert. Die lebensfrohe, mitleidslose Art des Ex-Sträflings gefällt dem Querschnittsgelähmten, der durch seinen Pfleger neue Lebensfreude gewinnt. Die beiden gehen zusammen durch dick und dünn – und erleben lustige wie auch dramatische Ereignisse. Eine Geschichte, die als kitschig bezeichnet werden könnte, wenn sie nicht das Leben selbst geschrieben hätte.

Das Buch steht schon lange auf meiner Liste, habe es aber immer wieder aufgeschoben, doch jetzt, heute habe ich es mir feste vorgenommen. Empfohlen wurde mir das Buch von einer Literaturfreundin B. Q.
Wer ist Philippe Pozzo Di Borno? Ich konnte nirgends ein Autorenportrait ausfindig machen, weder im Klappentext noch online. Ich gehe mal davon aus, dass der Autor keine weiteren Bücher verfassen, und es bei diesem einen Roman bleiben wird... .

Es gibt noch eine Erweiterung zu diesem Buch und zwar aus der Sicht des Pflegers geschrieben. Auch dieser Band liegt nun endlich auf meiner momentanen SuB-Liste.


Sonntag, 28. Oktober 2012

Romeo and Juliet


Das Schneemädchen von Eowyn Ivey


Isabel Allende / Die Stadt der wilden Götter (1)

Die Stadt der wilden Götter - Isabel Allende Buch gebrauchtEine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Nun habe ich das Buch zu Ende gelesen und man hat dem Buch schon angemerkt, dass es ein Jugendbuch ist,  in dem eine künstliche Spannung erzeugt wird, die mehr Jugendlichen reizt. An manchen Stellen ist es aber auch die Sprache, die so salopp gesprochen ist, die ich von Allende so nicht gewohnt bin. Ein zweites Mal würde ich das Buch nicht lesen, habe aber überlegt, welchem Jugendlichen ich dieses Buch herantragen würde? 


Der Roman hat mich ein wenig auch an Mozarts Zauberflöte erinnert, denn auch hier gibt es eine Flöte, die alle Tiere und Naturmenschen mit ihren Tönen verzaubert und friedlich stimmt. Mit Hilfe der Flöte werden die Abenteuer und die damit verbundenen Gefahren des Flötenträgers überwunden....

Die Hauptperson in dem Buch ist der junge Alex Cold, fünfzehn Jahre alt, Flötenspieler, und lebt mit seiner fünfköpfigen Familie in Kalifornien. Seine Mutter ist krebskrank, im Endstadium, und kann sich nicht mehr um ihre Kinder, die sie abgöttisch liebt, kümmern. Der Vater ist Arzt, der beschließt, Alex zu seiner Mutter (Großmutter) Kate nach New York zu schicken, da er die Mutter in ein besseres Krankenhaus für längere Zeit begleiten möchte, das  außerhalb von Kalifornien liegt. 

Alex hadert, er möchte nicht zu seiner Großmutter, er möchte lieber mit seinen beiden Schwestern zur Großmutter mütterlicherseits, was nicht möglich ist, da die Großmutter sich unmöglich noch um drei Kinder kümmern könne... . 

Großmutter Kate ist eine merkwürdige Person, von Beruf ist sie Journalistin. Sie zeigt keinerlei Gefühlsregung ihrem Enkel gegenüber und stellt sich später eher als eine harte Nuss mit einem weichen Kern heraus...

 Mit ihren recht unkonventionellen Erziehungsmethoden fordert sie Alex immerzu heraus und sorgt dadurch für Überraschungen... Z.B.  holt sie Alex nicht wie vereinbart vom Flughafen ab und nach einiger Zeit des Wartens schließt er sich einem jungen Mädchen an, die sich als Junkie herausstellt und sie bringt Alex dazu, Drogen zu rauchen. Alex wollte kein Spielverderber sein, und kiffte mit und macht die Erfahrung, die viele Leute auch gemacht haben, dass in den Drogen nichts Außergewöhnliches festzustellen war:
Die Male, wenn er gekämpft oder etwas getrunken hatte, war er sich überhaupt nicht vorgekommen wie auf einem Flug ins Paradies, was einige seiner Freunde behaupteten, sondern hatte bloß gespürt, wie sich sein Kopf vernebelte und seine Beine wie Watte wurden. Richtig high wurde er davon, an einem Seil an einer Felswand zu hängen, unter sich den Abgrund, und genau zu wissen, wohin er als nächstes den Fuß setzen musste. Nein, mit Gras und solchem Zeug hatte nichts am Hut.
Alex bestieg recht oft mit seinem Vater Berge... .
Gemeinsam mit Kate tritt er eine Expedition an ins Reich des Amazonas. Alex zeigte Widerstände, doch als sie schließlich dort ankamen, wollte er auch nicht mehr zurück. Eine Gruppe von Amerikanern, geführt von einem Anthropologen, der schon viele fragliche Studien zu den Lebensweisen der Indianer veröffentlicht hatte, und weiter das Ziel verfolgte, die Studien fortzusetzen. Seine Studien allerdings bestätigen das abfällige und primitive Bild, das er selbst von den Naturmenschen gemacht hat und so bekommt man gut mit, wie hier wissenschaftliche Studien manipuliert werden. 

Zu den Zeremonien der Indianer gibt der Professor vor, dass sie kämpferisch, kaltblütig, wild und mörderisch seien. Ein Bild, das man von vielen Westernfilmen kennt, die man als Kind sich angeschaut hat. Doch die Ärztin verteidigt die Indianer:

"Sie ist ein Ritus, die Zeremonie, um den eigenen Mut auf die Probe zu stellen. Die Indianer malen ihren Körper, bereiten ihre Waffen vor, singen, Tanzen und dringen (...) in das Dorf eines anderen Stammes ein. Sie bedrohen sich gegenseitig und teilen auch ein paar Hiebe mit Holzprügel aus, aber dabei gibt es selten mehr als einen oder zwei Toten. In unserer Kultur ist es genau umgekehrt: von Zeremonie keine Spur, nur Massenmord…"
Zu den ExpediteurInnen gehört auch eine Ärztin, ganz zum Leidwesen des Anthropologen, die ein ganz anderes Indianerbild besitzt, absolut kein abfälliges und so gibt sie dem Professor oft Widerpart, wenn er sich zu den Indianern minderwertig äußert. Doch Vorsicht, diese Ärztin gibt sich anders als sie wirklich ist...
In dem Amazonadschungel leben auch Bestien und Alex fragt den Athropologen, welche gefährlicher seien, die Bestien oder die Indianer? Die Indianer würden wie Raubtiere leben, zudem noch kannibalisch, da sie andere Menschen fressen würden, sogar Menschen aus dem eigenen Stamm. Sie würden auch morden, um sich Frauen zu beschaffen... 

Kate ist wieder mal witzig, die gerne auf Abenteuer aus ist. Auch vor dem Dschungel und den Indianern habe sie keine Angst, denn sie würde lieber von den Indianern umgebracht werden, als in New York an Altersschwäche sterben.

Nach außen hin verfolgt die Ärztin das Ziel, die Indianer gegen verschiedene Krankheiten zu impfen, mit dem Argument, dass immer mehr Weiße in die Indianerreservate eindringen, und diese mit Krankheiten anstecken. Das Immunsystem der Indianer sei gegen unbekannte Viren zu schwach, der Körper produziere keine ausreichenden Abwehrstoffe... . (Masern, Grippe u. a. m.)

Unter den Expediteuren befindet sich auch die zwölfjährige Nadia zusammen mit ihrem Vater und ein paar Soldaten. Nadia ist ein Dschungelkind, zwölf Jahre alt, die eine tiefe Freundschaft mit Alex eingeht.

In den tiefen Wäldern macht Alex zum ersten Mal die Erfahrung, verschiedene Frauenkörper zu sehen, als sich diese in den Flüssen sich wuschen und badeten, fast nackt, die Kleider von sich geworfen. Folgende Textstelle hat mir außergewöhnlich gut gefallen, als Alex den fast nackten Körper seiner Großmutter mit dem eines Kinderkörpers von Nadia und mit dem einer jungen Frau (die Ärztin), kurvenreich und stramm, verglich. Ich fand das recht sympatisch, dass Alex sich nicht vor dem Körper seiner Großmutter geekelt hat, sondern eine interessante Sichtweise pflegte:

Nun vergleicht er den Körper seiner Großmutter -spindeldürr, voller Knötchen, die Haut zerfurcht-mit den zarten goldenen Kurven der Ärztin, die einen züchtigen schwarzen Badeanzug trug, und mit Nadia, die noch so kindlich unbefangen wirkte. Er stellte fest, wie sich der Körper mit dem Alter verändert, und dachte, dass alle drei, jede auf ihre Weise, schön waren.
Alex und Nadia werden nun von den Nebelmenschen aus der Reisegruppe entführt und nun beginnt das Abenteuer. Besonders Alex wird nun mit Gefahren konfrontiert, die er zuvor nicht kannte. Jaguar ist sein Seelennamen und Adler den von Nadia. Alex entwickelt übersinnliche Fähigkeiten, die Nadia schon längst beherrschte. Sie hatte noch nie eine Schule besucht, beherrscht aber das Dschungelleben und sämtliche Sprachen der Indianer, und bereichert mit ihrem Wissen Alex, der oft an seine Schulkameraden zurückdenkt, die neben Nadia recht langweilig wirkten.

Interessant fand ich auch das Bild, dass Indianerfrauen sogar kleinen Welpen, die keine Mutter mehr hatten, an ihren Brüsten saugen ließen. Ich hatte mal ein Foto dazu gesehen, glaubte eher an einer optischen Täuschung.

Interessant fand ich auch folgende Lebensweise, von der ich schon bei den Arabern gelesen hatte. Es geht um den Umgang mit Tiertötung als Nahrungsquelle.

Der Indianer bittet den Fisch um Erlaubnis und erklärt ihm, dass er ihn töten muss, weil er etwas zu essen braucht; und danach bedankt er sich bei ihm dafür, dass er sein Leben für für ihn gegeben hat, (…). Der Fisch versteht das, weil er vorher selbst andere Fische gefressen hat, und jetzt ist er an der Reihe. So läuft das.
Sowohl der Indianer, als auch das Tier, jagen nur soviel, wie ihr Hunger zulässt. Und beide, sowohl Mensch als auch Tier, leben in freier Natur. Das Tier lässt sein Leben in freier Natur und nicht in Massenzuchtanlagen wie in der westlichen Welt.

Von den Arabern weiß ich, dass sie, wenn sie an Festtagen ein Lamm schlachten, sich bei dem Lamm entschuldigen und bedanken sich gleichzeitig, dass es geopfert wird. 

Die Indianer sehen zwischen Tieren und Menschen keinen Unterschied. Die Tiere werden den Menschen nicht untergeordnet. Beide stehen, Mensch und Tier, auf einer Stufe.
Als eine große Tierschützerin sind mir solche Umgangsformen mit Nutztieren mehr als willkommen.


Zum Schuss sei noch gesagt, dass Isabel Allende eigentlich bekannt dafür ist, ihre Themen gut zu recherchieren, um über Amerika und Lateinamerika zu schreiben. Die Handlungen an sich sind schon fiktiv, aber die Fakten, mit denen die Handlungen ausgeschmückt werden, eigentlich real, mit Ausnahme mancher Wesen hier in diesem Buch, wie z.B. die Nebelmenschen und die Bestien, die als Symbolfigur fungieren.


Ich mache hier nun Schluss, möchte nicht alles verraten. Große Abenteuer, die diese beiden jungen Menschen in der Stadt der wilden Götter eingegangen sind, lasse ich im Buch zurück und gehe nicht darauf ein. Soll sie jeder selber nachlesen und geistig gesehen selbst diese Abenteuer mitmachen.
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Musik ist eine Weltsprache 
(Isabel Allende)

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Donnerstag, 25. Oktober 2012

Isabel Allende / Die Stadt der wilden Götter

  •                                                            





Klappentext

Das erste Jugendbuch der Bestsellerautorin Isabel Allende.
Gibt es im Dschungel des Amazonas wirklich ein riesiges, menschenähnliches Wesen, eine Bestie, die Menschen und Tiere tötet? Das soll eine Expedition herausfinden, der auch der 15jährige Alex aus Kalifornien angehört. Bald entdecken Alex und Nadia, die Tochter des brasilianischen Expeditionsleiters, dass ein teuflischer Plan hinter der ganzen Sache steckt, der die im Amazonas-Dschungel lebenden Indios vernichten soll. (Ab 12 Jahren.) 





Autorenportrait 


Isabel Allende, 1942 in Lima/Peru geboren, arbeitete lange Zeit als Journalistin und verließ Chile nach dem Militärputsch 1973. Seit 1988 lebt sie mit ihrer Familie in Kalifornien. An den überwältigenden Erfolg ihres ersten Romans "Das Geisterhaus" konnte sie mit weiteren Bestsellern wie "Eva Luna", "Fortunas Tochter" und "Paula" anknüpfen. Heute gilt Isabel Allende als die erfolgreichste Autorin der Welt.

Von Isabel Allende habe ich schon einige Bücher gelesen, die mir alle gut gefallen haben, wobei das Buch Die Insel unter dem Meer nach meinem Geschmack das schönste Buch von ihr war. 

Nun ist es so, dass ich alle Allende Bücher kaufe, die mir zwischen die Finger kommen, so also auch das obige, das eigentlich ein Jugendbuch ist, womit ich nicht gerechnet habe, da mir Allende als Jugendbuchautorin nicht bekannt war. Gefunden habe ich das Buch bei Oxfam, die das Buch im Regal für erwachsene LeserInnen eingereiht hatten, statt unter den Jugendbüchern. Ich weiß nicht, ob ich das Buch trotzdem gekauft hatte, wenn es mir vorher mitgeteilt worden wäre, aber ich glaube schon. 

Das Buch habe ich gebunden und gut erhalten und gebraucht für 3,50 € bekommen.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Alissa Walser / Am Anfang war die Nacht Musik (1)

Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Das Buch habe ich nun durch aber so richtig gefallen hat es mir nicht. Einfach auch deshalb, weil mich das Thema Alternative Heilmethoden nicht wirklich interessiert hat. Ein deutscher Arzt namens Anton Mesmer, der in Wien praktiziert, hat sich mit seiner Methode einen Namen gemacht. Seine Methoden bestehen hauptsächlich aus Magnetismus, aus Geistheilung (Handauflegen und Energieübertragung, innere Blockaden zu lösen) , und auch aus der Hahnemannsche Homöopathie. Dr. Mesmer ist selbst auch Musiker und beherrscht das Spielen mehrere Instrumente, hauptsächlich aber das Glasharmonika. Auch die Musiktöne nutzt der Arzt während seiner Behandlung. Die Stimme eines kranken Menschen ordnet er einer Tonlage zu. 

Es mag sein, dass es Ärzte oder Heiler gibt, die erfolgreich mit diesen Methoden arbeiten,  ich selbst aber bin noch nie an so einen geraten.

Doktor Mesmer hatte der blinden jungen Frau Maria Therese Paradis, die auch Virtuosin im Klavierspiel ist, zu einer Heilung verholfen, allerdings verschlechterte sich ihr Klavierspiel dadurch. Zum Entsetzen ihres Vaters würde die Tochter spielen wie eine blinde Anfängerin. Erst wurde der Doktor von den Eltern des Mädchens groß gefeiert, doch später wurde er als Scharlatan bezeichnet und seine Methoden kamen in Verruf, wurden alles Hexerei und Aberglaube abgetan, so dass die Behandlung durch die Eltern vorzeitig abgebrochen wurde, mit dem Risiko einer Rückfälligkeit. Allerdings bestätigte das Mädchen die Wirksamkeit der Methoden, da sei auch ihr seelisches Gleichgewicht wieder zurückerlangt hatte aber sie konnte sich bei den Eltern nicht durchsetzen, die Behandlung nicht abzubrechen.

Der Vater, ein großer Musikliebhaber, hatte nichts anderes im Sinn, seine musikbegabte Tochter zu einer großen Musikerlaufbahn zu verhelfen, obwohl Maria Therese auch ohne Augenlicht ihre Virtuosität bewies, immerhin musizierte sie oft bei Kaiser und der Kaiserin. 

Später habe ich durch eine Mitleserin in Erfahrung bringen können, dass die beiden Hauptfiguren Anton Mesmer und Maria Therese Paradis es wirklich gegeben hat, ich selbst, trotz meiner Liebe zur Musik, noch nie von dieser Klavierspielerin gehört habe, die aus der Zeit stammt, in der auch Mozart gelebt hat. In Deutschland genießt die Pianistin nicht den selben Ruf wie in Wien. 

Die Eltern von Maria Therese, der Vater ist Hofrat, erwiesen sich mir als recht einfache Leute, die mehr materiell orientiert waren, so dass diese nur an das glaubten, was sie mit ihren Augen auch sehen konnten. Demnach galten für die Eltern blinde Menschen als nicht vollständige, oder als nicht wirklich existente Wesen:
Für die professionelle Laufbahn brauche man Augen. Wer nicht sehen kann, wird auch nicht gesehen. Wer nicht gesehen wird, wird auch nicht gehört. Wer nicht gehört wird, lebt nicht. Sage ihr Vater.

Doktor Anton Mesmer dagegen sah blinde Menschen oftmals als die wahren Sehenden an:
Die Augen seien der Wahrheit kein bisschen näher als die anderen Sinne. Alles Lug und Trug. Alle, auch die Augen, erfinden Geschichten, so gut sie können.

Das Äußern der Gedanken seiner Patientin waren dem Doktor äußerst wichtig, um an die Ur-Gedanken dranzukommen, die aus einem unbewussten Trieb stammen würden. Was wahr und nicht wahr sei, mache er hauptsächlich davon abhängig, was der Mensch im Inneren seines Wesen denkt. Auch die Musik sei ein Teil von Ur-Gedanken, in Affekten ausgedrückt. 
Der Doktor bezeichnet selbst Tiere als die wahren Wesen, die mit Klugheit und Intelligenz ausgestattet seien, allerdings seelischer- geistiger Art, nicht der reine Intellekt, wie den der Menschen:
Tiere haben alle möglichen Gaben und tiefere Sinne. Sie scheinen oft klüger als der Mensch. Das belegen die periodischen Reisen der Fische und Vögel oder die Art, wie sie Gefahr vermeiden, dieselbe erraten.
Auch waren die Eltern stark auf Äußerlichkeiten bedacht, so dass sie die Tochter, die wegen verschiedener anderer ärztlicher operativer Behandlungen keine Haare mehr auf dem Kopf hatte, und sie den kahlen Kopf mit einer mehrstöckigen Perücke bedeckten. Mesmer ist erstaunt über diese Perücke:
Dieses verrückte Erfindungen seien ja gut und schön. Aber manchmal sei das Naheliegende das Dringlichste… Und die Frisur nicht das Unwesentliche am Menschen. Schließlich sitze sie auf dem Kopf. Wo, wie er immer behaupte, der Verstand wohne.
Später, nach fortschreitender Behandlung, lehnte sich das Mädchen gegen das Tragen der Perücke auf, da sie nun selbst zugeben musste, dass sich die Perücke als unschön und als unpraktisch erwies. Als die Eltern sie ohne Perücke empfingen, waren sie schockiert den Anblick ihrer Tochter.

Schön fand ich auch die folgende Textstelle, wo der Doktor seiner blinden Patientin einen Globus mitbringt, und er ihren Finger darauf lenkte, und zeigte, wo sie sich befinden:
Sie erkannte die Kugel sofort. Ein Globus! Er ließ ihre Finger auch über Amerika spazieren, wo, wie sie wusste, Indianer lebten. Dann fuhr sie selbst mit dem Finger über die Kugel. Irgendwo musste doch Kap Horn hervorstechen. Sie presste ihren Leib an das Ding. Freute sich, weil sie die ganze Welt umarmte. Warum hatte der Doktor ihr eine Welt mitgebracht?
Der Doktor zog auch einen Therapiehund in die Therapie mit ein, der recht beliebt war und sich gut in die Patienten einbringen konnte. Maria Therese gewann den Hund recht lieb und an einer Textstelle musste ich laut lachen, als sie versuchte, den Hund zu beschreiben:
Ich glaube, Hunde sind schöner als Menschen. Schon allein die Nase. Dem Hund stehen sie. Auf jeden Fall passen sie in sein Gesicht. Besser als Mesmer in Mesmers. Ob er wisse, wovon sie spreche?

Maria Therese wird wieder rückfällig, und die Eltern betrachten dies als ein Beweis der Scharlatanerie, obwohl der Doktor daraufhin gewarnt hatte, als die Eltern die Behandlung vorzeitig beendet hatten. 

Zum Abschuss kurz zusammengefasst; der Mensch könne mit Heilung rechnen, wenn er an das wahre Ich gelangen würde, das tief und unbewusst in einem selbst liegt, und in dem wahren Ich auch die subjektive ureigenste Wahrheit sitzt. 

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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 76
Gelesene Bücher 2011: 86

Montag, 22. Oktober 2012

Alissa Walser / Am Anfang war die Nacht Musik


  • Taschenbuch: 288 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch (1. April 2012)
  • Miniformat gebunden: 10,00 €
  • ISBN-10: 3492273874

Klappentext

Wien, 1777. Franz Anton Mesmer, der wohl berühmteste Arzt seiner Zeit, soll das Wunderkind Maria Theresia Paradis heilen, eine blinde Pianistin und Sängerin. In ihrer hochmusikalischen Sprache nimmt Alissa Walser uns mit auf eine einzigartige literarische Reise. Ein Roman von bestrickender Schönheit über Krankheit und Gesundheit, über Musik und Wissenschaft, über die fünf Sinne, über Männer und Frauen oder ganz einfach über das Menschsein. 



Autorenportrait im Klappentext

Alissa Walser, geboren 1961, studierte in New York und Wien Malerei. Seit 1987 lebt sie als Übersetzerin und Malerin in Frankfurt am Main. Für ihre Erzählung »Geschenkt« wurden ihr 1992 der Ingeborg-Bachmann-Preis und der Bettina-von-Arnim-Preis verliehen. 1994 erschien ihr Buch »Dies ist nicht meine ganze Geschichte«, im Frühjahr 2000 folgte der Erzählband »Die kleinere Hälfte der Welt«. Als Übersetzerin hat Alissa Walser außerdem die Tagebücher von Sylvia Plath sowie Theaterstücke unter anderem von Joyce Carol Oates, Edward Albee, Marsha Norman und Christopher Hampton ins Deutsche übertragen. 2009 erhielt sie für Ihre Übersetzung der Gedichte Sylvia Plaths den Paul-Scheerbart-Preis. Ihre eigenen Erzählungen wurden in englischer Übersetzung unter anderem in literarischen Zeitungen wie Open City und Grand Street veröffentlicht. Nach ihrem Roman »Am Anfang war die Nacht Musik«, für den sie den Spycher-Literaturpreis-Leuk 2010 erhalten hat, erschien zuletzt ihr Erzählungsband »Immer ich«.

Entdeckt habe ich das Buch in der Bahnhofsbuchhandlung in Frankfurt Main, die super gut sortiert ist. Die Autorin ist mir unbekannt.



Sonntag, 21. Oktober 2012

Hans Fallada / Der Trinker (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre 

Das Buch hat mich gepackt, wie immer bei Fallada, der zu meinen Favoriten zählt, weil ich seine Menschlichkeit so sehr schätze, die er in seinem Leben (Politik und Gesellschaft) so sehr vermisste. 

Ich habe nicht die Absicht, mich besonders lange über das Buch auszutauschen, weil man es irgendwie selbst gelesen haben sollte. Da ist jede Seite wichtig, von Seite eins bis zur letzten Seite. Ich habe mir ein paar wenige Textstellen markiert, die ich gerne besprechen möchte, aber trotzdem wird es so sein, als würde ich diese Textstellen aus dem Zusammenhang herausreißen. Das ist ja eigentlich bei jedem Buch so, aber bei diesem schmerzt es mich besonders... .


Wie aus dem Klappentext zu entnehmen ist, beginnt der Ich-Erzähler und Protagonist namens Erwin Sommer von seinen Eheproblemen und von der Zeit, in der die Ehe gut funktionierte, zu berichten. Eine negative Veränderung, besetzt durch Streitereien über belanglose Dinge, brachte die Ehe ins Wanken. Seine Frau Magda sucht für die Eheprobleme die alleinige Schuld bei ihrem Mann. Desweiteren stellten sich schlechte Geschäfte ein. Erwin Sommer war selbständig und betrieb ein Landesproduktgeschäft, das durch einen selbstverschuldeten Fehler rote Zahlen schreiben ließ.


Erwin Sommer litt schwer unter diesem Fehler, desweiteren klagte er über ein mangelndes Selbstbewusstsein. Mit seiner Frau über die schlechten Geschäfte zu sprechen wagte er nicht, aus Angst, es könnten schwere Vorwürfe hageln. Er sehnt sich nach Geborgenheit, nach Liebe, nach einem Schutzraum, und so verflüchtigte er sich in den Alkoholgenuss, und verfällt immer mehr dem Alkohol bis es zur Sucht ausartete. Jeder merkt ihm seine Suchterkrankung an, nur er selber nicht. Er bagatellisiert sie eher.


Seine Frau Magda wird von einem Mitarbeiter ihres Mannes, ein Kaufmann,  über die schlechten Geschäfte unterrichtet, und so nimmt Magda das Geschäft in die Hände und bucht später Erfolge ab... . 


Erwin Sommer selbst gerät immer mehr in den Strudel des Alkohols und dadurch in die Kriminalität. Flieht von zu Hause, sucht sich in einem Russenviertel eine Bleibe, wo er selbst auch hinterlistig betrogen und beraubt wird... . Erwin Sommer kommt in den Knast, da er seiner Frau einen Mord angedroht hatte und sie diese zur Anzeige brachte. Erwin dagegen hatte eine Mordswut auf seine Frau, die ihm Ärzte und Psychiater auf den Hals hetzte, die ihn wegen der Alkoholkrankheit in eine Heilanstalt einliefern wollten. Doch Erwin konnte fliehen... . 


Erwin Sommer wird kurze Zeit darauf von der Polizei gefasst und kommt in Untersuchungshaft wegen Mordandrohung an seine Frau. Hier in den Gefängnishallen hört die Menschlichkeit auf... . Hier wird Erwin Sommer nur noch SOMMER gerufen, den HERR verschluckten die Wärter und das medizinische Personal. Erwin gibt sich große Mühe, versucht sich im Knast zu bewähren, damit er wieder rauskommt, damit sie ihn in die Heilanstalt einweisen, die er als das kleinere Übel glaubte, bis ihn ein Gefängnisinsasse eines Besseren belehrte:

"Was geschieht dir nun? Erst kommst du auf sechs Wochen in die Anstalt zur Beobachtung auf deinen Geisteszustand. Denkst du, die Anstalt ist besser als ein Kittchen? Schlechter ist sie! Alles Drum und Dran ist genau wie hier, Fressen und Arbeit und Wachtmeister, aber du bist nicht mehr mit vernünftigen Menschen zusammen, sondern mit lauter Idioten! Und dann gibt der Arzt sein Gutachten ab, und du kriegst den Paragraphen 51, und das Verfahren gegen dich wird eingestellt. Aber du wirst für geisteskrank und gemeingefährlich erklärt und deine dauernde Unterbringung solcher Heilanstalt angeordnet, und da sitzt du, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre, kein Hahn kräht nach dir, und langsam bist du unter all den Idioten auch ein Idiot. Das ist es ja aber wohl auch, was sie von dir wollen. Wie du mir erzählt hast, hat deine Alte viel fürs Geschäft übrig; dann tut sie das Geschäft und alles, was dir gehört. Du bist dann bloß noch ein armer entmündigter Trottel, und wenn sie dir zu Weihnachten ein Stück Kuchen und eine Rolle Priem schickt, so ist das schon viel…"

Erwin Sommer bekommt es mit der Angst zu tun und bemüht sich nun nicht mehr um Positivpunkte. Er will im Knast bleiben, doch es gelingt ihm nicht, und wird in die Pflege- und Heilanstalt eingewiesen. Was sein Gefängsniskamerad über diese Einrichtung erzählte, stellte sich später als Wahrheit heraus. Von 56 Insassen gibt es keine sechs, die wieder in die Freiheit entlassen werden sollten. 

Mich hat besonders dieser Bereich interessiert. Glücklicherweise hat sich ja mittlerweile viel geändert. Aber ein Alkoholismus wurde damals mit Diebstahl... gleichgesetzt. Die Menschen wurden entmündigt, und selbst Ärzte hatten starke Vorbehalte gegenüber den Insassen, die immer im Unrecht zurückgelassen wurden. Erwin Sommer bettelt seinen behandelten Klinikarzt an:
"Immer war ich anständig, Herr  Medizinalrat, lassen Sie mich wieder unter anständigen Menschen leben. Geben Sie mir eine Chance…"
Die damalige Einrichtung ist mit der heutigen Forensik zu vergleichen, aber die Inhalte, Konzepte haben sich zu Gunsten der Insassen verbessert. Früher gab es keine Sozialarbeiter und Psychologen, die diese Menschen in Haft / auf Station begleitet hatten.
Viele Insassen glaubten, nach der Strafe in die Freiheit zurückkehren zu können, aber man brachte sie in dieses Krankenhaus mit Strafanstaltscharakter (...). Ihre Zurechnungsfähigkeit war vermindert, es fehlten ihnen die notwendigen Hemmungen, sie waren eine Gefahr für die Gemeinschaft: Die Pforten der >Heil< Anstalt schlossen sich hinter ihnen für immer. Hier gibt es Mörder, Diebe, Sittlichkeitsverbrecher, Urkundenfälscher, religiös Wahnsinnige. Die meisten von ihnen verbüßten erst eine längere oder kürzere Strafe ehe sie hierherkamen.

Die Patienten wurden unterernährt und dadurch brachen viele Krankheiten aus. Ich bekam auch als Leserin den Eindruck, dass man diesem Teil der Gesellschaft keine hohe Lebenserwartung gönnte. Viele Patienten erkrankten tatsächlich schwer durch die Mangelernährung. Viele erlagen ihrer Krankheit. Diese Leute wurden nicht mehr wie Menschen behandelt, sondern eher wie unreife Wesen, die entmündigt wurden:



Ich habe auch beobachtet, dass meine Mitkranken, auch die stumpferen, gerne auf dieses >Sie< reagierten. Es gemahnte sie an die Zeit, dass sie noch Menschen waren, wenn niemand ihnen jeden Schritt befahl, jeden Bissen zuteilte, sich am frühen Abend wie kleine Kinder ins Bett schickte. (…) Irgendwelche Gefühle wurden an einem Erkrankten oder Sterbenden nicht verschwendet, und soviel ist richtig, dass unser Oberpfleger ein harter Mann war, der Sentimentalitäten nicht kannte. Die meisten Kranken schienen ihm unnütze Geschöpfe, die doch zu nichts mehr gut waren. Es war schon besser, sie verschwanden von dieser Erde. Und leider hatte er damit nicht einmal  Unrecht.

Erwin Sommer vermisste bei der Anrede das Sie. Als ein Mitpatient ihn Mit Herr Sommer anredete, fühlte er eine Wohltat:

Herr Sommer und >Sie<, das tut mir gut.
Haben wir es auch Falladas Bücher zu verdanken, dass sich hier im Laufe der Zeit auch eine deutliche Wende abzeichnen konnte? (Psychiatrie Ènquete 1970er Jahre).

Zu dem Krankheitsbild eines Alkoholikers möchte ich nicht allzuviel sagen, Fallada kann darüber besser schreiben als ich... . Aber es ist ziemlich differenziert und so ist es vielfach auch in der Realität. Auch Erwin Sommer brauchte lange Zeit, ehe er sich eingestehen konnte, dass er tatsächlich süchtig ist. Seine widrigen Umstände suchte er mehr im Außen als bei sich selbst. Und auch unter seinen Mitpatienten, so waren alle anderen die Kranken, nur er selbst nicht. Völlige Fehleinschätzung, völlige Verzerrung der Selbstwahrnehmung, keinerlei Krankheitseinsicht:



Ich war etwas anderes als die andern Kranken, ich war völlig gesund und hatte alle Aussicht, bald wieder in die Freiheit zu kommen - dieses kleine Wort >Sie< war wie eine letzte Erinnerung an das bürgerliche Leben, in das bald zurückzukehren ich so ersehnte. (…) Schuld-?! Dachte ich. Was habe ich denn Für eine Schuld?! Die bisschen Bedrohung-(...) Für eine Bedrohung kriegt man höchstens ein Vierteljahr! Das ist gar nichts, das kann man überhaupt nicht rechnen! Sie aber machen sie ein Riesensums daraus, sie schleppen mich ins Gefängnis und Heilanstalt, sie neben mir das > Herr< vor meinem Namen Sommer, Wasser geben sie dir als Fraß, und sie veranstalten Verhöre mit mir, als sei ich ein Muttermörder und der letzte der Menschen!
Seine Frau Magda dagegen zeigte auch keinerlei Einsicht, was sie in der Ehe falsch gemacht haben könnte, und schiebt alles in Form einer Tirade auf ihren Mann ab, der sowieso recht labil ist und kaum Selbstwertgefühl besitzt.

Die Gesellschaft, tja auch dort findet Erwin Sommer keinen Halt, auch nicht in seine Alkohol-Göttin aus einer Kneipe, die er regelmäßig besucht, meist wenn er Stütze sucht.


Die Justiz selbst und das Personal der verschiedenen Einrichtungen zeigten sich auch voller Vorbehalte, so nach dem Motto, einmal Täter immer Täter. Einmal Trinker, immer Trinker. 


So, ich mache jetzt hier Schluss. Was den Trinker angeht, so kommen mir keinerlei Gedanken auf, dass Erwin Sommer recht geschieht... , denn so etwas kann wirklich jedem passieren.  

Wegen der Authentizität, die echt gelungen ist, gebe ich dem Buch zehn von zehn Punkten. Auch deshalb zehn, weil die Schilderungen und Personenbeschreibungen recht differenziert dargestellt wurden und es nicht nur einen Täter oder ein Opfer gab. Irgendwie waren sie alle Täter und manche waren beides, Opfer und Täter zugleich:



  1. Erwin Sommer
  2. Magda Sommer
  3. Die Justiz
  4. Die Gesellschaft
  5. Wächter und weiteres Gefängnispersonal
  6. Die Anstalten
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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 75
Gelesene Bücher 2011: 86