Montag, 4. Juni 2012

Luca Di Fulvio / Der Junge, der Träume schenkte



ISBN-10: 3404160614
Klappentext
New York, 1909. Aus einem transatlantischen Frachter steigt eine junge Frau mit ihrem Sohn Natale. Sie kommen aus dem tiefsten Süden Italiens - mit dem Traum von einem besseren Leben in Amerika. Doch in der von Armut, Elend und Kriminalität gezeichneten Lower East Side gelten die gnadenlosen Gesetze der Gangs. Nur wer über ausreichend Robustheit und Durchsetzungskraft verfügt, kann sich hier behaupten. So wie der junge Natale, dem überdies ein besonderes Charisma zu eigen ist, mit dem er die Menschen zu verzaubern vermag ...



Autorenportrait
Luca Di Fulvio, geb. 1957, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Rom. Sein vielseitiges Talent ermöglicht es ihm, mit derselben Leichtigkeit sowohl packende Thriller für Erwachsene als auch fröhliche Geschichten für Kinder zu schreiben (letztere veröffentlicht er unter Psyeudonym). Einer seiner vorherigen Thriller, "L'Impagliatore", wurde unter dem Titel "Occhi di cristallo" für das italienische Kino verfilmt. Bevor Di Fulvio zum Schreiben kam, hat er in Rom Dramaturgie studiert, und sein Lehrmeister war kein Geringerer als Andrea Camilleri.

Das Buch klingt zwar interessant, aber das einzige, was mir nicht behagt, ist der Verlag. Bastei-Lübbe ist eigentlich bekannt für Groschenromane. Sprachlich erwarte ich keinen Krösus :D. Aber da ich in letzter Zeit viele Klassiker gelesen habe auf einem hohen Niveau, so darf es jetzt auch mal etwas Seichtes sein. Mein erstes Buch von Bastei-Lübbe.

Mich interessiert jetzt das Buch nicht, weil Kind und Mutter aus Sizilien kommen, sondern wie Amerika, das Land der Freiheit, mit ImmigrantInnen damals umging, da Amerika hier bei uns als ein Vorzeigestaat deklariert wurde. Ich glaube nicht, dass Amerika damals fremde Leute mit offenen Armen ins Land einreisen ließ.

Das Buch habe ich wieder abgebrochen, es konnte meinen Ansprüchen alles andere als gerecht werden. 
________________
 "Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

SuB:

Di Luca: Der Junge, der Träume schenkte
Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 40






Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (3)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit BD 4


Dritte von sieben Buchbesprechungen zur o. g. Lektüre

Proust langweilt mich zurzeit wieder mal und macht mich müde. Er hat die Wirkung einer Schlaftablette :D. Momentan, auf den folgenden Seiten, ist Swann, der im BD 1 die Hauptrolle spielte, die Gesprächsnummer eins, über den geklatscht wird, aber nicht, weil Swann Männerorientiert, Transvestit oder ein Zwitter ist, nein, weil er der Dreyfuss-Affäre angehört. Swann ist selbst Jude und jetzt wird über ihn geklatscht. In Frankreich galten Juden, ähnlich wie in Russland, nicht als Franzosen, sondern als Ausländer. Unmöglich die Vorstellung, ein Franzose könnte Jude sein... . Und Franzosen, die Anhänger der Dreyfuss-Affäre waren, galten als Landesverräter und wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Es wird also mal wieder im Hause Guermantes viel geklatscht, sowohl Männer als auch Frauen.  Desweiteren wird Swann hintenrum vorgeworfen, eine falsche Ehe eingegangen zu haben, *gähn*, Leut, das Leben ist kurz, was interessieren mich solche privaten Belange anderer Leute? 
Ehrlich gesagt interessiert mich die ganze Homo-Thematik überhaupt nicht, da ich keinerlei Vorurteile gegen diese Leute hege und ich meine Meinung dazu schon lange gebildet habe... . Ich kann mich nur wiederholen, es ist gut, dass nicht jeder Mensch zur Fortpflanzung beiträgt, sonst würde der Planet Erde aus allen Nähten platzen. Und wenn die Natur nicht wollte, dass es solche Wesen gibt, dann hätte sie sie auch nicht erschaffen :).
Ich möchte Proust nicht abwerten, ich habe nach wie vor Achtung vor ihm und ich bin sicher, dass in dem Buch noch vieles passieren wird, wobei Proust eher handlungsarm schreibt, und mehr über die Gespräche der feinen Leute spircht, auch recht kritisch, aber ab und zu passiert auch mal etwas :D.

Ich habe beschlossen, Proust zu vertagen und krame ihn wieder hervor, wenn ich vieeeel Zeit zur Verfügung habe. 

 

 "Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

SuB:


Di Luca: Der Junge, der Träume schenkte

Dickens: Schwere Zeiten
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 40

Sonntag, 3. Juni 2012

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (2)

  Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Bd 4


 Zweite von sieben Buchbesprechungen zur o.g. Lektüre 


Oh, Marcel Proust scheint ein riesen Problem zu haben. Er hegt genaue Vorstellungen davon, wie Frau und Mann sich zu geben haben, ebenso das Verhalten von Menschen aus anderen Nationen, liest sich recht etiketten- und klischeehaft. Würde Proust heute leben, so würde er alle Frauen für Zwitterwesen halten, weil wir mittlerweile nicht nur Hosen tragen... :D. Und trotzdem sind wir fortpflanzungsfähig... . 


ItaliernInnen hält Proust durchweg für raffiniert und Deutsche durchweg für grob. Eine Paarung von beidem ergibt ein Gemisch der Charaktere, eine sog. Anpassung :D. Der Deutsche wird raffiniert, die Italienerin wird grob. Oh, wie gut, dass unsere Natur viel intelligenter ist, die uns eine Welt schenkt, in der  Pflanzen, Tiere, Gesteine, und Menschen in Wirklichkeit vielfältig und bunt ist. Und wie arm wir doch wären, würden die Menschen tatsächlich nur in schwarz- weiß Kategorien existieren. Dann wären alle ItalierInnen gleich und alle Deutschen ebenso... . Aber wer will das schon? Wer will gleich sein wie der Andere, gleich sein wie z.B. der Nachbar? Irgendwo bestehen wir unbewusst auf unsere ureigene Individualität. Ja, und wir haben ein Recht darauf. Weg mit diesen Stereotypen und Klischees :-).


Wer hat nicht schon (…) bemerkt, wie sehr die normalsten Paare sich schließlich einander angleichen, ja zuweilen sogar ihre Eigenschaften vertauschen? Ein ehemaliger deutscher Kanzler, Fürst Bülow, hatte eine Italienerin geheiratet. Auf die Dauer konnte man auf dem Pincio feststellen, wie viele italienische Raffinertheit hat der germanische Gatte und wie viele deutsche Grobheit die italienische Fürstin angenommen hatte.


Aber weshalb Proust diesen Vergleich zieht , damit möchte er auch beweisen, die obige Theorie lasse sich auch auf die  Homosexualität schließen, als müsse diese sich ebenso abfärben :D.


Ich möchte nicht zu hart zu Proust sein, aber emanzipierte Frauen, die es zu dieser Zeit durchaus auch gab, gehen bei ihm mit  Sicherheit mit schlechtem Urteil durch. Frauen, die Bücher gelesen und Zigaretten konsumiert haben, auf Pferden breitbeinig mit Reiterhosen und Stiefeln ritten, die Bücher schrieben und versuchten in die Politik zu gehen, u.v.a.m. damit hatte er sicher seine Probleme:


Im Ministerium sagt man, ohne dass man damit irgendetwas speziell Boshaftes äußern wollte, dass in dieser Ehe der Mann die Weiberröcke, die Frauen die Hosen anhaben. Doch lag darin mehr Wahrheit, als man meinen mochte. Madame de Vaugobert war ein Mann.


Und das nur, weil sie Hosen trug. Solche Frauen verweichlichen ihre Männer, somit bezeichnet er dies als ein Abfärben der Homosexualität bzw. von Zwitterwesen.


Es gibt noch viele, viele Textstellen, gepaart mit Naturbetrachtungen ... . Bitte selber lesen.






 

Marcel Proust / Sodom und Gomorrha (1)

 Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Bd 4


 Eine von sieben Buchbesprechungen zur o.g. Lektüre


Ich habe nun die ersten fünfzig Seiten gelesen und schon auf den ersten Seiten wird recht schnell deutlich, welche Themen mich in diesem Band begleiten werden. Doch manche Handlungen sind mir schon bekannt aus den letzten drei Bänden. In der aristokratischen Gesellschaft, besonders die der Damen, finden Plaudereien schon morgens um 10:00 Uhr statt. Die Männer beginnen erst abends zu plaudern, indem sie gewisse Soirees bilden :D. So kann man ein wenig neidisch werden, dass diese Damen morgens nicht aufstehen um arbeiten zu gehen, oder um ihre Familie zu versorgen, denn auch darum kümmern sich die Hausangestellte, nein, eigentlich müssten sie gar nicht aufstehen :D aber sie stehen auf, um Gesellschaften zu geben und zu halten. Diese täglichen Mattinées :D  enden gegen 12:00 Uhr Mittag.

Wenn ich nur diese viele Zeit zur Verfügung hätte und das viele Geld, was würde ich da nicht alles mit meiner Zeit nur anstellen?

Das Hauptthema in diesem Buch ist die Homosexualität. Proust versucht anhand von Naturbetrachtungen diese den Figuren in seinem Buch zu begreifen, wobei an vielen Stellen deutlich wird, dass für ihn Homosexualität eher etwas Krankhaftes, als etwas Abnormales, in der Natur spricht man von einer Unart, die nicht überlebenswert ist, da Liebende mit demselben Geschlecht nicht fortpflanzungsfähig sind. Der junge Marcel scheint auf der Suche nach der sexuellen Orientierung zu sein. Es ist bekannt, dass der reale Marcel männerorientiert lebte. 

Und getrennt voneinander werden die beiden Geschlechter Zugrunde gehen;
Wobei sich mir die Frage stellt, ob es natürlich ist, wenn alle Menschen der Erde sich fortpflanzen würden? Da ist es doch klug von der Natur geregelt, wenn es auch solche Menschen gibt, die nicht fortpflanzungsfähig sind. Bei sieben Milliarden Erdbewohnern ist der Planet sowieso schon überbevölkert.

Marcel beobachtet allerdings noch, doch manchmal bekomme ich sogar den Eindruck, dass die Homosexualität eher etwas Kriminelles, als ein Verbrechen an die Natur aufgefasst werden könnte. Festgelegt hat sich Marcel noch nicht. 

Um näher bei der Natur zu bleiben - und die Vielzahl dieser Vergleiche ist in sich selbst umso natürlicher, als ein und derselbe Mensch, wenn man ihn ein paar Minuten lang beobachtet, sukzessive ein Mensch, ein Vogelmensch, ein Insektenmensch usw. zu sein scheint-, hätte man auch sagen können, es handele sich um zwei Vögel, ein Männchen und ein Weibchen, von denen das Männchen seine Avancen macht, das Weibchen aber (…) mit keinem Zeichen auf dieses Treiben antwortet, sondern ohne Verwunderung sein Freund anschaut, mit einer achtlosen Lässigkeit, dies bestimmt für verführerischer und, nachdem das Männchen den ersten Schritt getan hat, für das einzig zweckmäßige hält, derweil es sich auf das Glätten seiner Flüge beschränkt.

Marcel spricht hier von einer Romanfigur namens Monsieur de Charlus, ein zwittriges Wesen, körperlich eher Mann als Frau, der sich allerdings damenhaft kleidet und sich mit rotem Lippenstift die Lippen färbt.
Proust teilt die Menschen auch in verschiedene Rassen ein. Unter den verschiedenen Rassen fallen Frauen, Männer, Homosexuelle, Zwitter… .

(…) Er sähe aus wie eine Frau: Er war eine! Er gehörte zu der Rasse jener Menschen (…) deren Ideal männlich ist, gerade weil sie von weiblichem Temperament sind, und die im Leben nur scheinbar den anderen Männern gleichen; da, wo jeder in seinen Augen, durch die er alle Dinge der Welt betrachtet, eine bestimmte Silhouette hätte auf seiner Iris eingezeichnet trägt, schwebt diesen nicht eine Nymphe, sondern ein Ephebe vor.  (Lt. DUDEN - EPHEBEN ein wehrfähiger junger Mann im alten Griechenland, Anm. d. Verf.) 

Wobei er die Homosexuellen als Zwitterwesen bezeichnet. Für mich sind Zwitter eigentlich jene Menschen, die beide Geschlechter besitzen. bei Marcel ist es eher so, dass Monsieur de Charlus wie ein Mann zwar aussehen, sich aber wie eine Frau geben würde. Allerdings ist mir in den letzten drei Bänden gar nicht aufgefallen, dass dieser Monsieur eine Neigung in diese Richtung haben könnte. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Anblick für die damalige Zeit recht schockierend war, das ist es ja heute noch, und ganz besonders in den katholischen Ländern.

Die Homosexualität zu begreifen stellt für den Erzähler Marcel eine große Hürde dar. Homosexualität sei schwerer zu verstehen und zu begreifen, und es sei auch schwerer diese zu verzeihen, als es bei Kriminellen der Fall sei:
Eine Rasse, auf der ein Fluch liegt und die im Glück und Meineid leben muss, dass sie weiß, dass ihr Verlangen, das, was für jedes Geschöpf die höchste Befähigung im Dasein ausmacht, für sträflich und schmachvoll (...) ist.
Dieses Zitat zieht sich noch arg in die Länge, da ich aber niemanden erschlagen möchte mit meinen vielen Textpassagen, so habe ich es einfach abgekürzt, aber das Wesentliche kommt auch abgekürzt gut herüber.

Ich freue mich, dass heute der Begriff Rasse überholt und veraltet ist, auch wenn dies noch nicht bei allen Menschen angekommen ist. Aber was bekümmern mich andere Menschen, solange ich mich um meine Entwicklung schere.

Für den Erzähler erweist sich die Homosexualität als nicht heilbar.

Das Buch ist noch seeeeehr dick und bin recht neugierig, was sich diesbezüglich noch tun wird.





Marcel Proust / Sodom und Gomorrha

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 4




Verlag: Suhrkamp
Frankfurter Ausgabe 2004
TB, Seitenzahl: 886
19,00 €
ISBN-10: 351845644X

Klappentext

"Sodom und Gomorrha" beginnt mit einer spektakulären Szene, der Begegnung zweier Männer, die von der Natur füreinander geschaffen sind: Baron von Charlus und der Westenmacher Jupien. Endlich öffnet Proust seinem Romanhelden die Augen; Marcel erhält Antwort auf die bisher unverstandenen Zeichen der Homosexualität. Nach der mondänen Welt der "Guermantes" tun sich nun neue Welten auf: Sodom, die Welt der männlichen, und Gomorrha, die Welt der weiblichen Homosexualität. Bei der Soiree der Fürstin von "Guermantes" erlebt Marcel einen Höhepunkt seiner gesellschaftlichen Karriere und erkennt, wie die Welt von Sodom jene der Gesellschaft überlagert und unterläuft. Die Ambivalenzen in seiner Beziehung zu Albertine und sein Verlangen nach neuen Liebesabenteuern begleiten ihn von Paris nach Balbec, wo auch der zwielichtige Geiger Morel wieder in Erscheinung tritt.

Autorenportrait

Marcel Proust, geb. am 10. Juli 1871 in Auteuil, starb am 18. November 1922 in Paris. Sein siebenbändiges Romanwerk 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' ist zu einem Mythos der Moderne geworden. Eine Asthmaerkrankung beeinträchtigte schon früh Prousts Gesundheit. Noch während des Studiums und einer kurzen Tätigkeit an der Bibliothek Mazarine widmete er sich seinen schriftstellerischen Arbeiten und einem nur vermeintlich müßigen Salonleben. Es erschienen Beiträge für Zeitschriften und die Übersetzungen zweier Bücher von John Ruskin. Nach dem Tod der über alles geliebten Mutter 1905, der ihn in eine tiefe Krise stürzte, machte Proust die Arbeit an seinem Roman zum einzigen Inhalt seiner Existenz. Sein hermetisch abgeschlossenes, mit Korkplatten ausgelegtes Arbeits- und Schlafzimmer ist legendär. 'In Swanns Welt', der erste Band von Prousts opus magnum, erschien 1913 auf Kosten des Autors im Verlag Grasset. Für den zweiten Band 'Im Schatten junger Mädchenblüte' wurde Proust 1919mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Die letzten Bände der Suche nach der verlorenen Zeit wurden nach dem Tod des Autors von seinem Bruder herausgegeben.

Gelesen habe  ich von Proust BD 1 - BD 3 und zwei Biografien. Proust kann ich nur lesen, wenn ich Urlaub habe ... .

 

 


Mittwoch, 30. Mai 2012

Thomas Mann / Der kleine Herr Friedemann



 Fischer TB-ISBN 978-3-596-51135-8

Eine Novelle von vierundvierzig Seiten!


Ja, mir hat sie gut gefallen, wobei mir der Anfang und der Schluss nicht wirklich realistisch erschienen sind.

Der Protagonist der Erzählung ist der dreißigjährige Johannes Friedemann, Sohn der Konsulin Friedemann, Vater Konsul verstarb durch eine schwere Krankheit kurz nach seiner Geburt. Als Säugling von einem Monat fiel J. Friedemann vom Wickeltisch, weil niemand nach ihm schaute. Er befand sich alleine im Raum, obwohl er noch zwei ältere Schwestern besaß  Und ebenso die Amme war zugegen, aber auch sie verletzte ihre Aufsichtspflicht, da sie wohl mit anderen Dingen beschäftigt war. Der Amme galt der alleinige Vorwurf nach Meinung der Konsulin..






Im Alter von einundzwanzig Jahren verstarb seine Mutter.

 Friedemann war gezeichnet und von Trauer, von einer tiefen inneren Trauer... .

Seine beiden großen Schwestern waren nicht besonders hübsch, auch besaßen sie kein großes Vermögen und hatten sonst keine anderen weiblichen Reize, so dass sie ehelos blieben. Der Erzähler  gebraucht den Begriff "hässlich". Die Schwestern seien recht hässlich.

Friedemann war auch nicht besonders hübsch, ebenso im Knabenalter. (Die Details dazu bitte selber nachlesen.), wobei ich nicht weiß, ob das der Grund sein muss, partnerlos zu bleiben. Menschen besitzen eine Aura, Charme, etc. mit denen man vor anderen Menschen brillieren und Sympathien erwecken kann, selbst wenn man nicht dem Schönheitsideal entspricht. Schönheit / Hässlichkeit sind relative Bezeichnungen und Menschen sind recht oberflächlich, wenn sie andere nur nach Aussehen und Vermögen beurteilen. Demgegenüber scheint der Erzähler auch ein wenig Wert auf das Schönheitsideal zu legen :D.

Wenn ein Säugling vom Wickeltisch fällt, stirbt man da nicht? Frage, Frage, Frage ... .

Freidemann lebte eher zurückgezogen, auch als Kind vermied er Einladungen. Meist trug er schon im jungen Alter so etwas wie eine Trauermiene. lief auch recht gekrümmt, dadurch dass er oft den Kopf nach unten trug... . Er kränkelte auch immerzu... .

Sein Kopf saß tiefer als je zwischen den Schultern , seine Hände zitterten, und ein starker, stechender Schmerz stieg ihm aus der Brust in den Hals hinauf. Aber er würgte ihn hinunter, und richtete sich entschlossen auf, so gut er das vermochte. "Gut", sagte er zu sich, "das ist zu Ende. Ich will mich niemals um das alles bekümmern. Den anderen gewährt es Glück und Freude, mir aber vermag es immer Gram und Leid zu bringen. Ich bin fertig damit. Es ist für mich abgetan. Nie wieder".

Friedemann geht einem musischen Hobby nach, er spielt Violine, aber ich habe immer den Eindruck, dass er über das Gewöhnliche nicht hinauszukommen versucht. Ob das das Hobby ist oder berufliche Leistungen.

Nach der Schule, er war siebzehn Jahre alt, ging er in die Kaufmannslehre und ging einem geregelten Lebensablauf nach. Auch hier war kaum Tiefgang zu spüren.

Als seine Mutter starb, verlor er sich wieder in seinem Pathos, was eigentlich auch verständlich ist, aber Friedemann ging mit Schmerzen nochmals anders um als andere:

Das war ein großer Schmerz für Johannes Friedemann, den er sich lange bewahrte. Er genoss ihn, diesen Schmerz, ergab sich ihm hin, wie man sich einem großen Glücke hingibt, er pflegte ihn mit tausend Kindheitserinnerungen und bedeutete ihm aus als sein erstes starkes Erlebnis.

Der Erzähler hat aber keinerlei Verständnis für den armen Herrn Friedemann, und bringt das Beispiel eines Naturschauspiels, dass ein Spaziergang zur Frühlingszeit draußen in den Anlagen vor der Stadt, der Duft einer Blume, der Gesang eines Vogels - ob man für solche Dinge nicht dankbar sein konnte?

Der Erzähler vergleicht ihn mit einem Epikuräer. So richtig gut kenne ich mich mit Epikur nicht aus, aber ich erinnere mich, dass es etwas mit Selbstgenügsamkeit zu tun hat und dass Menschen, sowohl im ideellen als auch materiellen Sinne, die nicht viel besitzen, die Kunst erwerben könnten, sich auch an Wenigem zu freuen.
Der mangelnde Ehrgeiz Friedemanns würde dazu passen.

Friedemann liebte nicht nur die Musik, sondern er liebte auch das Theater, das er regelmäßig besuchte.

Eines Tages lernt er die hinzugezogenen Herr und Frau Oberstleutnant von Rinnlingen kennen. Frau Rinnlingen zeigt sich Friedemann sehr zugewandt. Es knüpft sich eine recht interessante aber fragwürdige Beziehungen zwischen den beiden. Doch auch in dieser Kontaktknüpfung macht Friedemann eher einen Schritt nach vorne und zwei wieder zurück. Obwohl er sich in Frau Rinnlingen verliebt hat, gibt er sich recht hilflos wie ein Kind. Und doch gibt er sich schließlich nach langem hin und her einen Stoß und suchte die Lady zu Hause auf.

Friedemann habe ich sehr schnell durchschaut aber Frau von Rinnlingen war mir ein wenig rätselhaft, denn einerseits versuchte sie Friedemann zu verführen und andererseits kam es mir so vor, als würde sie mit ihm ihre Spielchen treiben. Als Frau von Rinnlingen vorgibt, sich für Friedemanns Schwächeleien zu interessierten, ich gehe mal davon aus, dass es eher Neugierde als echte Anteilnahme war, da Friedemann, wie oben schon gesagt, von seinem Auftreten her sich wie ein Bündel Elend zeigte, und das reizt Frau Rinnlingen, ihn zu provozieren. Sie nimmt ihn irgendwie auf die Schippe, nach dem Friedemann ihr von seinem Gesundheitszustand Bericht erstattet hatte:

"Auch ich bin viel krank", fuhr sie fort, ohne die Augen von ihm abzuwenden;" aber niemand merkt es. Ich bin nervös und kenne die merkwürdigsten Zustände."

Auf den folgenden Seiten kann man entnehmen, dass in den verschiedenen anderen Szenen Frau von Rinnlingen recht kalte Blicke auf ihn wirft.

Nach einer gesellschaftlichen Veranstaltung der Rinnlingen, an der auch Friedemann teilnahm, fühlte er sich alles andere als wohl. Seine Gefühle zu dieser Frau nehmen immer mehr zu, je mehr sie sich für sein Leid zu interessieren zeigt:

Müde und abgehetzt er sich fühlte, und wie doch alles in ihm in qualvollem Aufruhr war! War es nicht das Beste, noch einmal um sich zu blicken und dann hinunter in das stille Wasser zu gehen, um nach einem kurzen Leiden befreit und hinüber gerettet zu sein in die Ruhe? Ach, Ruhe, Ruhe war es ja, was er wollte! Aber nicht die Ruhe im leeren und tauben Nichts, sondern ein sanft besonderer Friede, erfüllt von gutem, stillen Gedanken.

Eigentlich sehnt er sich nach dem Tod, aber nach einem ganz besonderen Tod, an stillen Gedanken hängen zu dürfen, drückt doch auch ein wenig das Bedürfnis nach Leben aus. Denken bedeutet ja auch Leben…

Die beiden treffen sich an einem Tag und Frau von Rinnlingen gibt sich Friedemann gegenüber, was seine Leiden betreffen, weiterhin recht interessiert:

"Seit wann haben sie ihre Gebrechen, Herr Friedemann?" fragte sie. " Sind Sie damit geboren?"
Er schluckt hinunter, denn die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Dann antwortete er leise und artig:
" Nein, gnädige Frau. Als kleines Kind ließ man mich zu Boden fallen; daher stammt es."
"Und wie alt sind Sie nun?" Fragte sie weiter.
"Dreißig Jahre, gnädige Frau."
" Dreißig Jahre", wiederholte sie. " Und Sie waren nicht glücklich, diese dreißig Jahre?"
           (...)

Nun kommt die Wende, als Friedemann sich ihr ganz in Selbstmitleid auflöst, seinen Kopf jammernd in ihren Schoß legt, so lässt daraufhin die vornehme Dame Friedemann fallen, indem sie ihn sogar noch zum Boden hin, Richtung Fluss, stößt:

Und dann, plötzlich, mit einem Ruck, mit einem kurzen, stolzen, verächtlichen Lachen hatte sie ihre Hände seinen heißen Fingern entrissen, hatte ihn am Arm gepackt, ihn seitwärts vollends zu Boden geschleudert, war aufgesprungen und in der Allee verschwunden.
Er lag da, das Gesicht in Graß, bereut, ist außer sich, und ein Zucken lief jeden Augenblick durch seinen Körper. Er raffte sich auf, tat zwei Schritte und stürzte wieder zu Boden. Er lag am Wasser.-
Was geht eigentlich in ihm vor, bei dem, was nun geschah? Vielleicht war es dieser wollüstuge Hass, den er gefunden hatte, wenn sie ihn mit ihrem Blick gedemütigte, der jetzt, wo er, behandelt von ihr wie ein Hund, am Boden lag, in eine ihr sinnige Wut aussagte, die er betätigen musste, sei es auch gegen sich selbst… ein Ekel vielleicht vor sich selbst, der ihn mit einem Durst erfüllte, sich zu vernichten, sich in Stücke zu reißen, sich auszulöschen…

 Mir kamen heute noch Gedanken, dass Friedemann zu einer reifen Liebe gar nicht fähig war, denn sonst hätte er sich eine Frau gesucht, die noch ungebunden wäre, und in der Bindung der Austausch beidseitig wäre. Doch für solche Bindungen war seine Seele nicht wirklich reif genug. Für ihn war die vornehme Frau Rinnlingen unbewusst ein Mutterersatz. Je mehr diese Frau sich für seine Leiden interessierte, desto stärker fühlte er sich ihr emotional hingezogen. Und dass Frau Rinnlingen ihn so fallen lässt, ist eine unbewusste Reaktion, ihn durch´s Fallenlassen wachzurütteln. Man hat das ja im Leben oft, dass Menschen, die sich nach außen hin wie arme, hilflose Opfer geben, von anderen gerne geneckt und provoziert werden. Opfer suchen sich ihre Täter - im schlimmsten Fall sind solche Menschen empfänglich für jegliche Form von Gewalt. Die Welt ist ja so böse, und ich armer Friedemann bin von ihr immer so schlecht behandelt worden.
__________________
"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:

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Mann. T. Erzählungen (1)
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Muawad: Verbrennungen
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Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 36

Montag, 28. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 7





Ich habe feuchte Augen bekommen, denn ich bin durch mit der Autobiographie und mir ist Fallada und dessen Familie total ans Herz gewachsen. Hans Fallada hat einen großen Platz in meinem Herzen errungen.

Hans Fallada hat genau einen Tag vor mir Geburtstag und ist gerade mal siebzig Jahre und einen Tag vor mir geboren. Aber er selbst wurde leider nur vierundfünfzig Jahre , vielleicht überlebe ich ihn . Wäre er älter geworden, sicher hätte er noch weitere Bücher verfasst. Aber es ist wie es ist. Jeder Todeszeitpunkt ist der richtige. Es gibt keinen falschen, vgl. T. Mann. Der Wille zum Glück.

Zur Erinnerung:

Hans Fallada, ist, wie dies aus dem Klappentext hervorgeht, nur sein Pseudonym, denn ich möchte gerne erinnern, dass er mit richtigem Namen Rudolf Ditzen heißt. Aber für mich bleibt er Hans Fallada, solange auf den Büchern kein anderer Name steht... .

Ich habe heute auf einer anderen Seite gelesen, dass Fallada doch an einer traumatischen Neurose litt, die Krankheitserscheinungen in der vorliegenden Autobiografie allerdings noch keine Rolle spielen. Ich vermute mal, dass sie später im erwachsenem Alter, zum Ausbruch kam, aber wohl in der Kindheit schon latent angelegt war, wie an manchen Textstellen angedeutet wurde.
In seinem Werk "Der Trinker", so glaube ich, lassen sich eigene Erfahrungen ableiten... . Mal sehen.

Ich werde über die Pathologie in der Biografie zu Fallada "Mehr Leben als ein Leben", geschrieben von Jenny Williams, hoffentlich mehr erfahren.

Die Familie zieht nach Leipzig um und Hans das Gymnasium wechseln muss. Für die Eltern stellt sich die Frage, welches Gymnasium das geeignetere wäre. Auf dem einen Gymnasium würde Hans ein halbes Jahr untergestuft werden, in die Obertertia, und würde aber ohne Aufnahmeprüfung an der Schule aufgenommen werden, während er auf dem anderen Gymnasium ein halbes Jahr übergestuft werden würde, käme in die Untersekunda. Der Vater empfiehlt die zweite Alternative, und Hans schließt sich den väterlichen Empfehlungen an, aber es ist sehr viel Schweißarbeit gefordert. Denn Hans muss im Anschluss von vielen Einzelstunden die Aufnahmeprüfung für die Untersekunda bestehen. Der Vater meldet Einzelstunden in der Schule an, so dass Hans keine Zeit mehr bleibt für Hobbys, da er acht Stunden täglich bis zur Prüfung mit Hilfe verschiedener Fachlehrern pauken, pauken, pauken muss, und sich die Paukerei zu Hause fortsetzte.

Nach der Aufnahmeprüfung wartet der Vater vor der Tür auf seinen Sohn, und Hans bemüht sich, eine grimmige Fassade aufzusetzen, doch wer kennt seine Kinder besser als ein Fallada-Vater. Der Vater grinst in die Fassade hinein und ist sich sicher, dass Hans die Prüfung bestanden hat. Tja, Hans Schauspieltalent versagen eben bei solchen Vätern.

Der Vater ist überaus stolz auf seinen Sohn und möchte seinen Eifer belohnen. Er dürfe sich etwas wünschen und er wolle gewiss auch nicht sparen. Hans wünscht sich ein Fahrrad und der Vater ist völlig entsetzt, weil ihm nicht bekannt war, dass Hans Fahrradfahren könne. Sie machen vor einem Fahrradgeschäft Halt:


Nun wohl, mein Sohn, hier ist eine stille Straßen, und so wirst du nun erst einmal eine kleine Prüfung ablegen vor mir und dem Händler. Erst dann wird zum Ankauf geschritten. Du kommst heute aus den Prüfungen nicht heraus , Hans".

Auch hier besteht Hans seine Prüfung und bekommt das beste Rad, das der Händler zu bieten hat.


Das Rad hat einhundertfünfunddreißig Mark gekostet, Vater hat mir etwas Solides, etwas fürs Leben gekauft. Nur die krumm nach unten gebogene Lenkstange hatte er abgelehnt.
"Nein, nein, ich kenne das! Die sitzen so wie Affen auf dem Rade. Ich möchte dich doch nicht in dieser Richtung ermuntern, Hans, ich gebe noch immer nicht die Hoffnung auf, dass du dich mit den Jahren zum Menschen entwickelst. "
Wenn Vater den Sohn neckte, war er immer in allerbester Stimmung.

Diese Szene fand ich einfach auch sehr schön, die Vater-Sohn-Beziehung, die ich unbedingt festhalten wollte, damit sie vielerorts wenigstens auf dem Papier reell bleibt.

Als ich die Szenen mit dem Fahrradkauf gelesen hatte, überkam in mir der der leise Verdacht, ob Fallada mit dem Fahrrad nicht verunglücken werde. Hans Fallada erwies sich in seiner gesamten Kinderzeit als extrem unfallgefährdet, deshalb war mir der Verdacht so nahe, der sich später auch bestätigt hatte.

Hans erlitt einen so bösen Unfall, auf die Details möchte ich nicht eingehen, dass er über einen längeren Zeitraum in der Klinik rehabilitiert und versorgt werden musste und sein Fahrrad ward nie mehr gesehen. Und hier ein kleiner Textauszug aus Falladas Sicht:


Aber, wie schon früher gesagt, ich war damals fast Fatalist, ich nahm auch diesen Unfall hin, wie ich anderes hingenommen hatte. Es war nun einmal so, dass sich ausgesprochenes Pech im Leben hatte, damit musste ich mich eben abfinden. Am Anfang Frühling, Ferien, Untersekunde, neues Rad. Am Ende: Winter, nacharbeiten in der Schule, doch noch Obertertia, das zertrümmerte Rad war verschwunden, und es gab keinerlei Aussicht auf ein neues. Ja, alle Anstrengungen bei Herrn Dr. Dackelmann waren doch umsonst gewesen. Umsonst hatte ich den Verdacht eines Holzkopfes durch übermäßiges Büffeln zu zerstreuen versucht. Umsonst war ich an vielen Winternachmittagen hinterher an Professor Muthesius durch das dunkelnde Schulzimmer gestampft. Umsonst hatte ich die Prüfung >glänzend< bestanden. Ich kam nicht in die Untersekunde, ich wurde in die Obertertiar gesetzt. Ich hatte kein halbes Jahr übersprungen, ich hatte eines verloren!

Szenenwechsel: Hans macht zu Hause eine enttäuschende Entdeckung, als er in der Bibliothek seines Vater ein Buch findet mit dem Titel: Wie erziehe ich unseren Sohn Benjamin - ein Ratgeber für deutsche Eltern.

Hans konnte nicht glauben, dass sich die Eltern solcher Bücher annehmen und schämte sich für seinen Vater bis ins Mark. Fallada geht leider nicht darauf ein, was an dem Buch so skandalös ist, und so bleibt mir einfach wieder mal die Vermutung, mit der ich mich einsam zurückziehen muss. Natürlich geht da auch die Fortpflanzung hervor, und sicher die Erhaltung der Art . ... .

Ich stelle die Hypothese auf, dass der Ratgeber rassistisches Gedankengut hat, und das lässt vermuten, weshalb die Kinder Karl May nicht lesen durften. Nun ja, ich schätze mich als eine recht aufmerksame Leserin ein, ich hätte ja auch die Karl-May -Szene einfach überlesen können. Das habe ich aber nicht gemacht... . Und mich interessiert das nach wie vor brennend.


Das Lesezeichen steckte an einer bestimmten Stelle, und ich las los. Und las. Und dann versteckte ich das Buch scheu an seinem alten Platz, ich schämte mich, dass Vater das gelesen hatte, und ich schämte mich noch mehr, dass ich wusste, Vater hat dies gelesen ...

Hier hat der junge Hans aufgehört, seinen Vater zu idealisieren aber hier beginnt sein Leben als erwachsener Mann ... , und Fallada diese neue Lebensphase als recht schmerzvoll erlebt.

An dieser Stelle mache ich Schluss und ich bleibe weiterhin dran mit einigen Fragen, die mir noch offen geblieben sind. Lücken, die ich gerne noch schließen möchte.

*****************

Ich gebe dem Buch neun von zehn Punkten. Deshalb neun und nicht zehn, weil manche Infos nur angedeutet wurden und ich Vermutungen anstellen musste, die sich bis zum Schluss der Lektüre nicht aufklären ließen.

Neun Punkte und nicht weniger aus dem Grunde, weil Fallada in verschiedene Erzählstränge wechseln konnte, ohne dass die Autobiografie, wie ich schon an anderer Stelle erwähnte, keine Chronologie aufwies, und man trotzdem nicht die Orientierung verliert. Ich fühlte mich als Leserin gut in dem Buch geführt. Das Buch war sehr interessant erzählt und wirkte auf mich recht authentisch. Es hat mich neugierig gemacht, weitere Biografien zu lesen. Ich fange gleich morgen an zu bestellen.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen." (T. Fontane)

SuB:

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Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
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Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Remarque: Der schwarze Obelisk
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 36

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 6




Verlag: Aufbau Tb 2011
Seitenzahl: 383
9,99 €
ISBN-10: 3746627893


Weiter geht´s mit der Buchbesprechung Fallada, und es geht zum Endspurt zu, habe noch sechsunddreißig Seiten vor mir, ich aber das Buch ungern wieder verlassen werde… :). Aber es warten ja noch zwei andere (Auto)Biografien auf mich, die ich allerdings zeitversetzt lesen werden. Und vielleicht erfahre ich ja dort, weshalb die Karl May Bände verboten wurden. Ich gebe ja nicht auf :D. 

In dem vorliegenden Band beschreibt Junior Fallada so viele Familienanekdoten, die recht schön zu lesen sind, wenn sie auch vom Verhalten her was Tanten, Onkel, und Großeltern betrifft, arg eigensinnig und auch ein wenig absurd erscheinen. Aber trotzdem witzig zu lesen, besonders wenn man nur Leserin ist statt Angehörige, und man sich über gewisse Buchszenen mehr amüsiert als ärgert.

Arthur Fallada ist achtzehn Jahre älter als seine Frau Louise. Er lernte sie kennen, als Louise achtzehn Jahre alt war. Louise stammt ebenso aus einer sechsköpfigen Familie, doch als der Vater starb, sie war gerade mal acht Jahre alt, wurde sie von der Mutter zum Onkel gebracht, der sie aufziehen sollte. Ein anderes Geschwisterkind wurde zu anderen Angehörigen gebracht, da die Mutter zu arm war, für alle Kinder zu sorgen. Louises Onkel lernte seine Nichte zwar zu lieben, aber auch dieser war so eigen in seinem Verhalten, das sich stark auf das Kind übertrug, so dass Louise quasi eine Außenseiterin wurde und ohne Freunde aufwuchs… . Eigentlich war Arthur Fallada ihre Rettung, der sie aus dem Hause des Onkels herausholte. Ein großer Altersunterschied, aber der Bund wurde aus Liebe geschlossen. Es war also keine Zweckheirat.

Die Autobiografie liest sich nicht chronologisch. Mal ist Junior Fallada dreizehn, vierzehn Jahre alt, mal wieder zehn und dann wieder achtzehn. Aber das Buch ist keineswegs verwirrend geschrieben. Der rote Faden ist immer leicht erkennbar.

Kurz beschreibt Hans, dass der Vater nun auf Eduard (Ede) seine ganze Hoffnung setzt, Jurist zu werden und in seine Fußstapfen tritt. Aber Ede will Medizin studieren und als es mit dem Studium so weit war, wird er in den Krieg eingezogen. Ede schafft es, die Familie einmal zu besuchen. Ein zweites Mal gab es nicht, Ede fällt im Krieg und die Eltern diesen Verlust für den Rest ihres Lebens nicht verwunden haben. Ede war das Kind, das eher den Vorstellungen des Vaters entsprach, aber die Geschwister es ihm nie nachgetragen hatten, da Ede von seiner Persönlichkeit her sich so gab wie er war. Kein Einschleichen bei den Eltern und den Geschwistern … .

So, nun folgen ein paar Zitate aus den letzten fünfzig Seiten.

Ich möchte eine besonders tragische Jugendszene festhalten, die mich geistig und emotional arg berührt hat.

Hans tritt der Freizeit – Reise – und Jugendgruppe Wandervogel bei. Hans ist zu dieser Zeit vierzehn Jahre alt und entwickelt sich in der Gruppe zu einem totalen Außenseiter. Die Gruppe hatte seine Fähigkeiten nicht anerkannt und verspotteten ihn regelrecht. Hans erträgt es mit großer Tapferkeit, er aber bemüht ist, bei den Jungens anzukommen. Die Jugendgruppe befindet sich in Holland auf Reisen. Ecau ist ein zwanzigjähriger Student und Gruppenführer und versagt aber völlig, die Gruppe zu lenken. Ihm ist es auch zu verdanken, dass Hans verspottet und ausgestoßen wird.

Die Jugendlichen befinden sich gerade am Strand und während die Gruppe eine Exkursion starten will, wird Hans dazu verdonnert, zurückzubleiben und sich um das Essen zu kümmern. Hans fühlte sich nicht wohl, teilte dies aber der Gruppe nicht mit, weil er ihnen nicht noch mehr zur Last fallen wollte. Er fühlte sich ein wenig fiebrig und in seinem ganzen Unwohlsein verschüttete Hans versehentlich das Kochwasser, das auf dem Lagerfeuer brutzelte und nun im Sande verläuft. Hans wusste nicht, wie er aus dieser Lage wieder herauskommen konnte, da kein Wasser mehr zur Verfügung stand. Also begab er sich an den Strand und füllte den Topf mit Meereswasser und kochte darin die Zutaten. Als Hans das Essen kostete, musste er sich erwürgen und es war, als würde er die Galle herausbrechen. Nun versuchte er das Essen zu retten, indem er den Geschmack mit Zucker zu neutralisieren versuchte. Also packte er seinen Zucker und den Zucker seiner Kameraden zusammen und vermischte es mit dem Gekochten. Das Essen schmeckte nach wie vor zum Erbrechen und Hans musste sich geschlagen geben und sich den Jungens stellen. Als die Kameraden von der Exkursion völlig ausgehungert wieder einkehrten, so stürzten sie sich ans Essen und ließen alle ihre Löffel fallen und würgten das Gegessene wieder heraus. Hans musste gestehen und so begab sich die Gruppe in das nächste Dorf, vierzehn Kilometer entfernt, um dort in einer Kneipe einzukehren. Mit Hans sprach keiner mehr, nun erst recht nicht und der Verdacht galt ihnen als bestätigt, dass Hans zu nichts tauge. Am nächsten Tag entfernte sich Acer von der Gruppe, als die anderen Jungens sich bei Hans rächten und sie ihn in das Meer warfen und ihn dort bis zur völligen Ohnmacht ertränkten mit dem Ziel, er solle eine Salzsuppe trinken. Daraufhin wurde Hans noch viel kränker und so musste der Gruppenführer Hans wieder nach Hause fahren und lieferte ihn zu Hause ab. Noch bevor die Eltern die Haustüre öffneten, war Acer schon wieder abgezogen.

Zu dem Erlebnis schreibt Fallada:


Ich habe mein ganzes Leben hindurch solche Menschen getroffen, die mich instinktiv hassten, oft noch ehe sie mich überhaupt kannten. Es ist die alte Geschichte von dem Kurhaus, der zwischen dem einen und dem anderen Samen eingesetzt ist. Ich habe Ihnen diesen Hass aber immer redlich zurückgezahlt!

Welches Nachspiel diese Szene noch hatte, so verweise ich auf das Buch. Aber es stimmt, Fallada konnte sich rächen... .

Wiederholt fällt mir auf, dass Fallada von einem Doppelgänger spricht:


Es hat sich nun herausgestellt, dass es diesen Jungen wirklich gab. Es gab den Jungen, der alles so schwer nahm und immer dachte: mir geht doch alles schief, ich habe nie Glück, und es gab den andern, gewissermaßen amüsiert zuschauenden Jungen, der sagte: Du nimmst aber eigentlich alles fürchterlich tragisch! Warte nur, es kommt noch anders. Und da es mittlerweile wirklich anders gekommen ist, habe ich fast nur vom Gesichtspunkte dieses zweiten Jungen erzählen können.

Frage: haben wir nicht alle so ein doppeltes Ich in uns? Aus meinen Studien und aus meiner Berufspraxis heraus bejahe ich diese Frage, ohne sie zu pathologisieren, solange diese Doppelgänger nicht ins Extreme abdriften, und eine gespaltene Persönlichkeit nach sich ziehen. Dies geht aber aus den Fallada - Büchern (noch) nicht hervor. Ich habe ja nicht alle Bände gelesen. Bekannt ist aber, dass er alkoholabhängig war.

Eine letzte Szene möchte ich auf diesen Seiten noch festhalten, die für den Erlebten zwar tragisch verlaufen ist, aber für mich als Leserin tragisch und amüsiert zugleich.

Hans steht auf dem Balkon, mit dem Kopf zwischen zwei Gitterstäben, er dürfte ca. acht oder neun Jahre alt sein, als er hinunter spuckt genau zu der Zeit, als sein Vater mit einem Juristenkollegen ankommt. Natürlich zeigt sich sein Vater völlig verärgert, da ihm dieser Fehltritt vor dem Kollegen unsagbar peinlich ist. Er schreit dem Jungen hinterher, Hans versucht auszureißen, doch dafür ist es eigentlich schon zu spät:


Da sind schon die Rächer, zur Flucht ist es zu spät, und so stimme ich für alle Fälle ein klägliches Geheul an. Denn einmal bekomme ich den Kopf nicht frei, zum andern droht mir Strafe.

Hans konnte den Kopf nach wie vor nicht wieder hinausziehen. Der Kopf steckte fest und blieb auch stecken. Die Mutter versuchte es mit gutem Zureden, damit Hans sich wieder entkrampfen konnte, doch nichts half. Der Kopf blieb nach wie vor stecken. Die Mutter lockte ihn schließlich mit Schokolade, natürlich nicht im Sinne des Vaters, der ihn ja für die Spuckerei bestrafen wollte. Und nun bekommt er statt der Strafe Schokolade.

Vater stand - ein stummer, aber schreiender Protest - dabei.
Ich aber brüllte nur noch heftiger, wenn das nach den vorangegangenen sehr beträchtlichen Leistungen überhaupt noch möglich war. Denn nun war ich fest überzeugt, dass ich nie wieder aus diesen Stäben befreit werden würde, dass ich mein ganzes Leben lang auf die roten Fliesen des Erdgeschosses werde hinab starren müssen, und ich verweigerte sogar die Schokolade, weil mir schien, Mutter wolle mich an eine Ernährung durch Gitterstäbe gewöhnen.


Die Gitterstäbe mussten durchsägt werden, nur so konnte Hans von seiner Gefangenschaft wieder befreit werden.


Völlig verbrüllt und verschmiert blickte ich blöde lächelnd in lauter freundlich lächelnde Gesichter - Mit einem Schlage war mein Gebrüll verstummt. Dann sammelte ich mich, streckte die die Hand zur Mutter aus und verlangte: „Meine Lade, Mutti!"
Mein Vater, noch des Spuckens eingedenk, machte eine abwehrende Bewegung, aber es war schon zu spät: Ich hatte die Schokolade und aß sie auch schon. Dass hiernach an irgendein Strafgericht nicht mehr zu denken war, versteht sich.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
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Proust: Sodom und Gomorrha
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Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 35

Sonntag, 27. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 5



Verlag: Aufbau Tb 2011
Seitenzahl: 383
9,99 €
ISBN-10: 3746627893

In der Familie Fallada gibt es so viele rührende Szenen, und möchte gerade mit einer beginnen. Hans befindet sich mit seiner Familie im Sommerurlaub an der See. Als die Kinder draußen in der Natur spielten, geriet Hans in eine ganz entsetzlichen Lage. Mit seinen Geschwistern spielte er mit Steinen und ein Stein davon war mehr ein runder Felsen, den Hans durch die Gegend drehte und dabei seine drei Finger der rechten Hand sich unter dem Fels zerquetschte. Er schrie ganz entsetzlich, doch die Geschwister rannten völlig hysterisch und aus purer Hilflosigkeit eher kopflos davon, statt dem Bruder zu helfen, was später durch den Vater ein Nachspiel hatte, ich aber darauf nicht eingehen werde.

Der Vater hörte den Schrei und kam schließlich angerannt, und erlöste seinen Sohn von der schweren Qual. Nun möchte ich den dazu folgenden Dialog zwischen Vater und Sohn gerne festhalten:

"Es tut verdammt weh, Vater", sagte ich. „Aber ich will nicht mehr weinen." Und mit plötzlichem Schrecken: "die Finger werden doch nicht abgenommen werden?"
"Nein, bestimmt nicht!" sagte Vater beruhigend. "Freilich, diese drei Nägel, die jetzt ganz blau - schwarz aussehen, wirst du erst einmal verlieren. Aber ich denke doch, sie werden wieder nachwachsen. Aber, wie ist denn das?" plauderte er fort und zog mich dabei unmerklich gegen das Haus, "es ist ja die rechte Hand, die du dir verletzt hast, Hans! Das ist aber schlimm für dich, da wirst du gar keine Schularbeiten während dieser Ferien machen können! Das ist ja furchtbar traurig für dich!"
Wieder schielte ich nach Vater. Ich sah die Fältchen um seine Augen, und nun brach ich trotz aller Schmerzen doch in ein Lachen aus. " Ja, ich bin schrecklich traurig, Vater", sagte ich lachend. "Ich wollte eigentlich jeden Tag mindestens drei Stunden arbeiten?" :Lachen:
"Daraus wird nun freilich nichts", sagte Vater. "Nun, ich hoffe, du wirst auch das wie ein Mann tragen."

Ich finde diese Textstelle so erheiternd und man merkt regelrecht, wie sehr der Vater seinen Sohn des Schmerzes wegen bemitleidet und er ihn mit den ausbleibenden Schularbeiten aufzubauen und aufzuziehen versucht, um damit seinen Schmerz ein wenig zu lindern.

Natürlich wollte Hans keine drei Stunden am Tag lernen und das wussten sowohl Vater als auch Sohn.

Eine weitere schöne Familienszene spielt sich zur Vorweihnachtszeit und zu Weihnachten ab. Die Kinder wünschen sich wie jedes Jahr einen schönen Weihnachtsbaum, keinen kleinen, sondern einer, der bis zur Decke hoch reichte. Fast tagtäglich begibt sich der Vater auf die Suche nach einem schönen aber billigen Weihnachtsbaum. Die Kinder sind enttäuscht, als er allabendlich ohne den Baum wieder zurückkehrte. Er tröstete sie mit immer neuen Geschichten. Wie gesagt, der Vater hatte großen Respekt vor Geld, und wollte keineswegs verschwenderisch sein. Doch die Gesichter der Kinder wurden immer trauriger. Man schrieb schon den vierundzwanzigste Dezember und immer noch kein Baum in Sicht. Nun begannen die Weihnachtsvorbereitungen und die Kinder wurden zum Spielen raus geschickt und durften nicht vor 18:00 Uhr zu Hause eintrudeln. In anderen Häusern sahen sie durch die Fenster die Weihnachtsbäume schon brennen und die Kinder waren traurig, dass sie dieses Jahr Weihnachten ohne einen Weihnachtsbaum feiern mussten. Als sie nach Hause kamen, klang aus dem Bescherungszimmer hinter der verschlossenen Tür eine raue Stimme: "Seid ihr auch alle artig?"
Wir brüllten begeistert:" Ja!"
Es folgten noch weitere Fragen, bis es hinter der Tür wieder still wurde.

Aber ein Geruch von brennenden Kerzen und Tannennadeln hat sich doch auf dem Flur verbreitet. Unsere Aufregung kann nun nicht mehr höher steigen. Ich tanze auf einem Bein wie ein Irrwisch umher, Ede sieht bleich vor Aufregung aus. Plötzlich geht er, fast finster vor Entschlossenheit, auf die Haushälterin Christa zu, nimmt ihre Hand und küsst sie!
Christa wird rosarot und reißt ihm die Hand fort. Die anderen brechen in ein verblüfftes Lachen aus.
"Warum hast du das denn bloß gemacht, Ede?“ ruft Mutter verwundert.
"Nur so!" Antwortete er ohne alle Verlegenheit. "Irgendetwas muss man doch tun, und mir war grade so! Man wird ja verrückt vor lauter warten!"

Mir hat diese Szene sehr gut gefallen, und ich hier einen Vater vorfinde, den sich wohl viele Kinder wünschen. Eine größere Freude hat der Vater seinen Kindern mit dem Baum gar nicht machen können, und damit so viel Liebe verbreitet, selbst bei dem kleinen Ede, der Christas Hand küsst. Und die Geschenke waren noch nicht mal ausgepackt... .

Jawohl, es ist doch wieder ein Weihnachtsbaum geworden, wie er sein soll, vom Fußboden bis zur Decke. Vater hat uns also doch wieder reingelegt, denn diesen Baum hat er bestimmt nicht erst in den letzten Stunden gekauft! Wo er ihn doch wohl nur so lange versteckt haben mag?! Im nächsten Jahr falle ich aber bestimmt nicht wieder darauf rein!

Aber dem Vater gelang es jedes Jahr, seine Kinder in eine große Spannung zu versetzen. Er war sehr fantasievoll und es fielen ihm immer tolle Ideen und Geschichten ein. Schön fand ich auch, dass die Kinder ihre Geschenke erst erraten mussten, indem der Vater zu jedem Geschenk eine Rätselfrage stelle.

Die Kinder wurden zu ihrem Wohle immer sehr gefordert, und die Fantasie angeregt, das war den Eltern sehr wichtig. Es gab also vor der Bescherung noch ein Vorspiel... . Man stellt sich vor, wie sehr die Beziehung unterhalb der Familienmitglieder in Liebe wuchs.

Es ist wieder Urlaubszeit und diesmal befindet sich Hans allein mit seiner Mutter auf einer kurzen Reise, die zu Hans´Großmutter führte, die Mutter seiner Mutter. Es war aber alles andere als ein Erholungsurlaub. Die Großmutter besaß solche antiquierten Vorstellungen, die recht eigen waren und sie damit nicht nur Hans, sondern auch seine Mutter überforderte... .

Auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung lernte Hans ein sechsjähriges Mädchen kennen, mit dem er auf einem Spielplatz rannte und die Kleine durch eigenes Verschulden von der Wippe fiel und damit ihr rosa Kleidchen beschmutzte. Heulend rannte sie zu ihrer Familie und ließ dabei Hans zurück. Natürlich war Hans nun der Schuldige, der Böse und dies nicht nur in den Augen des Mädchens, sondern auch in den Augen der Erwachsenen. Hans kehrte nicht zu der Gesellschaft zurück, sondern hielt sich aber in deren Nähe auf. Hans´ Mutter ging auf ihn zu und verlangte von ihm, sich sowohl bei dem Mädchen, als auch bei dessen Angehörigen zu entschuldigen, zumindest aus Liebe zur Mutter.

Auf dem Rückweg kämpften Jungenstolz und Liebe zur Mutter in mir. Schließlich aber siegt die Liebe, trotzdem es mich hart ankam, meinen Stolz so vor einer ganzen Kaffeetafel zu demütigen. Unser Erscheinen wie meine ungeschickte Entschuldigung bei der Mutter des Mädchens wurden mit frostigem Schweigen aufgenommen. Großmutter schnüffelte kummervoll und sagte, auf Zustimmung hoffend: "Er ist doch ein lieber Junge!"
Aber niemand stimmte zu. (...)
"Und entschuldige dich doch bei dem Mädchen, Hans!“ sagte Mutter.
Ich gab dem kleinen verdreckten, rosenroten Äffchen die Pfote und sagte mein Verschen. Während ich dies tat, streckte mir der Fratz triumphierend die Zunge heraus. Die anderen konnten es nicht sehen, weil ich vor ihr stand. Ich war völlig davon überzeugt, dass alle Weiber minderwertige Geschöpfe seien, irgend einer Beachtung durch richtige Jungens nicht wert. (Mutter war natürlich ausgenommen. Aber Mutter war auch kein Weib. Mutter war Mutter!) :-) :-) :-)

Ich komme nun wieder auf die Familienbräuche zurück, da Fallada dem ein ganzes Kapitel gewidmet hat. Ich beschränke mich aber auf den Gebrauch von Büchern. Die Familie besitzt knapp fünftausend Bücher, davon dreitausend der Vater, tausend die Tochter Elisabeth, achthundert der Sohn Eduard und der Rest verteilte sich auf die anderen beiden Kinder. Elisabeth war eine eifrige Leserin, sie las so viel, dass andere Pflichten völlig zu kurz kamen, wie zum Beispiel Schule und Familie. Tausend Bücher für eine Jugendliche, das ist schon enorm. Doch nun folgt eine Textpassage über den Umgang und Haltung zu und mit den Büchern, die mir auch recht gut gefallen hat:

Bei uns wurden Bücher nicht nur gesammelt, sondern auch gelesen. Um sie zu diesem Zweck jederzeit auffinden zu können, mussten sie in Reihen übersichtlich aufgestellt werden. Schon Doppelreihen waren verpönt, so sehr auch Platzmangel die Tiefe mancher Regale dazu verlocken mochten. Das Auge musste alle Schätze stets vor sich haben, es genügte nicht, sie im Dunkeln hinter einer anderen Bücherreihe vegetierend zu wissen. Auch Bücher hinter Glas oder gar hinter Schranktüren durften nicht sein, ein Buch wollte nicht gesucht werden, es musste für die Hand bereitstehen. All diese Leitsätze der Bücheraufstellung waren vom Vater praktisch erprobt, er konnte auch sehr fließend darüber sprechen, wie Bücher zu ordnen seien…
infolge dieser etwas weitläufigen Ausstellung breiteten sich auch bei uns die Bücher allmählich über die ganze Wohnung aus, es gab in jedem Zimmer welche, und mein Auge hat sich von Kind auf so daran gewöhnt, dass mir noch heute ein Zimmer ohne Bücher nicht so sehr nackt wie viel mehr unbekleidet vorkommt.

Die Familie hielt auch mehrere Bedienstete im Haus, und eine davon machte sich heimlich an die Bücher heran, die sie aus der Bibliothek ausleihend entwendet hatte, um sie draußen bei Ihren Freunden und Bekannten gegen Entgelt auszuleihen. Sie brachte die Bücher immer wieder zurück, nahm sich dafür wieder andere. Damit sparten diese Leute die Ausleihgebühr in Bibliotheken, die sie ja nun nicht mehr aufzusuchen brauchten. Irgendwann fliegt alles mal auf, so auch hier der Bücherraub auf Raten, als die Familie Verdacht schöpfte, der auf die Bedienstete fiel und sie geschickt aufgelauert wurde. Natürlich hatte diese Frau alle Bücher wieder zurückzugeben und sie wurde fristlos entlassen. Dazu der Vater Fallada:

"Der eine Gedanke aber tröstet mich", sagte Vater nachdenklich. "All diese Leser haben aus unserer Leihbibliothek nicht ein schlechtes Buch bekommen. Damit stehen wir hoch über der ganzen Konkurrenz.

Ich komme wieder auf die verbotene Lektüre Karl Mays zurück. Nicht nur mir, sondern auch Hans ist unverständlich geblieben, weshalb Karl May zu der verbotenen Literatur gehörte. Auch hierzu möchte ich eine längere Textstelle wiedergeben:

Übrigens Karl May - es ist mir heute noch unverständlich, warum ein sanfter, nicht gerne etwas verbietender Vater eine so tiefe Abneigung gerade gegen diesen Autor hatte. Er war darin unerbittlich. Wir durften uns nie einen Karl May ausleihen, und als Onkel Albert dem Ede und mir ein paar Bände Karl May geschenkt hatte, mussten wir sie beim Familienbuchhändler in schicklichere Lektüre umtauschen.
Vater hat damit nur erreicht, dass meine Liebe zu Karl May immer weiter unter der Asche schmierte. Als ich dann ein Mann geworden war und ein bisschen Geld hatte, habe ich mir alle fünfundsechzig Bände Karl May auf einmal gekauft. Während ich dies schreibe, stehen sie grün golden aufmarschiert in der Höhe meines rechten Knöchels. Ich habe sie nun alle gelesen, nicht nur einmal, sondern mehrere Male. Jetzt bin ich gesättigt von Karl May, ich werde sie kaum wieder lesen.
Ich kann nur vermuten, woher dieses Verbot rührt, da ich aber meine Vermutung an keiner Textstelle festmachen kann, und mir dadurch Beweise fehlen, behalte ich diese für mich.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

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Gelesene Bücher 2012: 35

Samstag, 26. Mai 2012

Hans Fallada / Bei uns daheim 4


Verlag: Aufbau Tb 2011
Seitenzahl: 383
9,99 €
ISBN-10: 3746627893

Ich bin nun um einige Seiten weiter gekommen. Mir ist die Fallada Familie total sympathisch, und ganz besonders die Eltern.

Nur eines konnte ich nicht nachvollziehen, dass den Kindern verboten wurde, Karl May zu lesen, wo doch dieses Buch mit eines der wenigen ist, in dem die Indianer mal nicht die Bösen sind, sondern diesmal sind es die Weißen. Leider gehen aus dem Buch die Beweggründe dieses Verbots nicht hervor und so kann ich sie nur vermuten.

Hans Fallada berichtet von der Italienreise, die die Eltern ohne die Kinder unternommen hatten. Die Kinder wurden von einer Bekannten betreut, namens Tatie, die allerdings über keinerlei Durchsetzungsvermögen besaß, und sich die Kinder wie Wilde betrugen. Das ist das erste Mal gewesen, wo die Eltern ohne die Kinder verreisten und es war auch das letzte Mal. Doch erst im erwachsenem Alter wusste Hans Fallada den Charakter jener fremden Tante sehr zu schätzen, als sie verstorben war:

Aber, Tatie, ich muss dich loben: trotz all der Qualen und Ängste, die du durch uns ausstandest, hast du uns nicht bei den Eltern verpetztt. Du hast sie nicht zu Hilfe gerufen, du wolltest es durchhalten. Und wenn die Eltern doch überraschend und sehr viel früher als erwartet aus Italien zurückkamen, herbeigerufen von Unter oder Oberbewohnern, die den Tumult nicht mehr ertragen konnten, du hast uns in Schutz genommen und alles geschehene Unheil nur deinem völligen Mangel an Fähigkeit, mit Kindern umzugehen, zugeschrieben. Du hast es erreicht, dass keinerlei peinliche Fragen an uns gestellt, kein strenges Strafgericht abgehalten wurde.

Auch wenn diese Szene für den einen oder anderen recht banal erscheint, mir hat sie total gut gefallen, denn Banalitäten prägen die Welt. Mir hat Tatie sehr gut getan über sie zu lesen, dass sie doch an das Gute dieser Kinder zu glauben wusste und sie frei von der Gier und Lust war, den Eltern unbedingt von den Untaten berichten zu müssen. Auch wenn Tatie diese Fallada Lobrede nicht mehr erfahren konnte, so bin ich doch sicher, dass sie mit ihrem Verhalten einen Abdruck in der Welt zurückgelassen hat. Und in der Seele der Kinder bleibt dieser Abdruck ebenso zurück. Und das ist das Wesentliche.

Ich komme wieder auf das Sparverhalten der Fallada Eltern zurück, die nicht aus der Habsucht heraus sparsam lebten:

Wer es nicht selbst miterlebt hat, kann es sich gar nicht vorstellen, mit welcher Intensität die Generation um die Jahrhundertwende sparte. Das war nicht etwa Geiz, sondern eine tiefe Achtung vor dem Geld. Geld für Arbeit, oft sehr schwere Arbeit, oft sehr schlecht bezahlte Arbeit, und es war darum sündlich und verächtlich, mit Geld schlecht umzugehen. Auch Vater war gar nicht geizig, ich habe es später oft erfahren, wie großzügig er war, wenn eines seiner Kinder Geld brauchte, wie glücklich er dann war, seine sauer ersparten Hunderte oder gar Tausende einem von uns zu schenken. Aber derselbe Vater konnte sehr, sehr ärgerlich werden, wenn er die Seife im Badezimmer schwimmend fand, so dass sie aufweichte und sich zu rasch verbrauchte. Beim Händewaschen hatte er einen besonderen Trick, die Seife fast trocken zwischen den Händen nur durch rutschen zu lassen, das sparte! (…) So war mein Vater von hundert Ideen, die Ausgaben einzuschränken, und ich muss gestehen, dass keine einzige dieser Sparmaßnahmen die Behaglichkeit des Hauses verminderte oder den Gedanken an Mangel aufkommen ließ (natürlich abgesehen von meinen geflickten Hosen ).

Es folgt nun eine Szene, die mich so sehr amüsierte, dass ich nur schwer aus dem Lachen wieder herausgekommen bin. Die Familie befindet sich im Zug auf dem Weg in den Sommerurlaub. Der Zug war ein ganz gewöhnlicher Personenzug. Als ein D-Zug an ihnen vorbeirauschte, waren die Buben von dem D-Zug völlig angetan. Hans fragte seinen Vater, weshalb sie nicht mit einem D - Zug in den Urlaub fahren würden, so kam folgende Antwort:

"Aber warum denn, mein Sohn? Du sitzt hier wie dort auf Holz, aber du musst es teurer bezahlen und hast weniger davon, denn Du bist drei Stunden eher am Ziel. Warum sollen wir der Eisenbahn drei Stunden schenken?"  

Aus dieser Perspektive habe ich das Fahren mit dem Personenzug noch gar nicht gesehen. Vater Fallada würde heute wahrscheinlich in keine ICEs einsteigen, *grins*.

Hans Fallada war ein hellblondes lockiges Kind, das sein Haar nur wegen der Locken schulterlang tragen musste. Hans war es leid und bettelte bei der Mutter, sich die Haare doch abschneiden lassen zu dürfen, damit er endlich wie ein richtiger Junge aussehen könne. Die Mutter lehnte ab.
Doch eines Sommers, als sich die Familie auf eine Reise vorbereitete und sie zu sehr damit beschäftigt war, ging Fallada alleine zum Friseur, bei dem er sich das Prachtexemplar an Haar und Locken komplett abrasieren ließ. Ganz zum Erstaunen der Eltern:

Mutter mochte ihre Augen noch so sehr reiben. Das Gespenst blieb. Da begriff sie, was geschehen war, sie brach in Tränen aus und rief: "Junge, Junge, was hast du da nur wieder gemacht! Deine schönen Haare! Wie siehst du aus?! Was hast du nur für die Ohren?! Du siehst ja richtig wie ein Topf mit zwei Henkeln aus!

Richtig verletzt darüber zeigte sich noch mehr der Vater von Hans, der in einen Zornesausbruch geriet, als er den kurzgeschorenen Sohn erblickte.

Bei dieser besonderen Gelegenheit, so muss ich sagen, hat mich mein sanfter Vater sehr enttäuscht. Sein Zorn über den Lockenraub schien ihm in keinem Verhältnis zu stehen zu der Größe meines Vergehens. Er behauptete, ich sehe schändlich aus wie ein Zuchthäusler! Nur Zuchthäusler hätten so kahl geschorene Köpfe!! Kein Mensch könne sich mit mir auf der Straße sehen lassen!!! Vor Verwandten und Bekannten müsse ich versteckt werden! Und was die Fahrt in die Sommerfrische angehe, so weigere er sich, mit mir im gleichen Abteil zu fahren! Mutter könne tun, was sie wolle, aber er, setze sich nicht mit ein Zuchthäusler auf die gleiche Bank!! (…)
Wenn ich mir heute diesen sonst ganz unverständlichen Zorn meines Vaters überlege, glaube ich, dies Wort > Zuchthäusler < gibt einen Schlüssel zur Erklärung. Mein Vater war Jurist, er war Richter, er war Strafrichter, und so den von ihm so schwer empfundenem Pflichten eines Richters gehörte es, Todesurteile zu verhängen. (…) Aber mein Vater hatte nicht nur Todesurteile zu fällen, sondern er hatte ihnen auch, wie ich glaube, nach dem Brauch damaliger Zeit gelegentlich beizuwohnen. Welche Qual das für diesen zarten überempfindlichen Menschen gewesen sein muss! Aber so zart er war, so mutig war er auch: er dachte nie daran, sich dieser Folge eines Urteils zu entziehen. Doch hat er bei diesen Gelegenheiten und Zuchthäusler in den abschreckenden Situation gesehen, und das Zeichen des Zuchthäusler war eben der kahl geschorene Kopf!

Auch wenn Hans Fallada ein wenig anderer Meinung ist, so glaube ich doch als neutrale Beobachterin, dass der Vater, der nicht so gerne Todesurteile fällte und unbewusst auch sehr darunter litt, erschrak bei dem Anblick seines Sohnes, indem er den rasierten Kopf automatisch mit einem zum todeverurteilten Sträfling assoziierte. Hans Fallada allerdings ist eher der Meinung, dass der Zornesausbruch aus purer törichter Vatereitelkeit herrührte.
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