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Sonntag, 30. September 2012

Julia Franck / Rücken an Rücken (1)


Eine Buchbesprechung der o. g. Lektüre

Ein tragisches Schicksal zweier ehemaliger DDR-Kinder, die im zweiten Weltkrieg geboren wurden. Ella 1943 und ihr Bruder Thomas 1944. Eigentlich zwei Kinder, die durch  schwere politische Umstände gehen mussten. Im Nationalsozialismus waren sie zwar noch sehr klein, aber die Mutter Käthe war davon geprägt und gab das politische Erbe ihren Kindern mit der Muttermilch weiter, wenn auch beide Kinder unterschiedliche Auffassung haben, wie sie Geschichte begreifen und verarbeiten.

Die Mutter Käthe ist Bildhauerin, die ihren Kindern gegenüber alles andere als Muttergefühle entgegenbringt. Emotional recht kalt und abweisend:
Ich mache doch Muttersein nicht zu meinem Beruf,
ist ihre Auffassung bisher gewesen. Ihre Kinder wurden unehelich geboren und sie bezeichnet diese als Rassenschande. Der leibliche Vater verstarb recht früh, so dass die Kinder ihren Vater nemals haben kennengelernt und ihn idealisierten. Sie entwarfen von ihm ein Bild, das besser ausfiel als das Bild ihrer realen Mutter.
Dann gibt es noch zwei jüngere Zwillingskinder, die im Heim und in Pflegefamilien untergebracht waren, später kehrten sie in das Mutterhaus zurück.

Ella wird von der Mutter  als Diebin beschimpft, da des öfteren Lebensmittel fehlten, ohne Ella dabei ertappt zu haben. Die Diebstähle hätten auch die Untermieter begangen haben können... . Ella bekam zu ihrem Geburtstag von der Mutter einen riesen Berg Zucker geschenkt, den sie aufessen sollte. Ella bekam tagelang keine andere Nahrung, bis der Zuckerberg verzehrt wurde.
Thomas wundert sich und stellte an die Mutter die ironische Frage, dass sie im Kommunismus leben würden, in dem alles miteinander geteilt werden würde. Wie kann Ella dann eine Diebin sein?  Thomas nimmt recht sensibel die Widersprüche seiner Mutter wahr, aber ändern / überzeugen kann er sie nicht.

Käthe befindet sich auf Reisen. Am letzten Tag gaben sich Ella und Thomas alle Mühe, das Haus zu putzen und Ordnung reinzubringen und wollten damit ihre Mutter überraschen.
Doch der Mutter fiel die Fleißarbeit ihrer Kinder nicht auf und schalt sie stattdessen oder erteilte Befehle. Die Kinder hauen ab; es ist Winter und sie scheuten erst mehr der Mutter als die Kälte draußen. Sie begeben sich auf das Boot und kehrten schließlich nach drei Tagen wieder nach Hause zurück. Die Mutter hatte sie nicht mal vermisst:
Du hast uns nicht einen Abend, nicht einen Tag, keinen Augenblick hast du uns vermisst! Erst als wir tropfnass nach Hause kamen, warst du außer dir. Wir mussten dir sagen, dass wir drei Tage da draußen waren, bei null Grad auf dem Müggelsee. Und du hast uns nicht glauben wollen. Für dich existieren Menschen nur, wenn sie da sind. Sorgen kennst du nur um die Armen…
Ihr habt euch selbst eine schöne Lektion erteilt. Eigenverantwortung beginnt…
Ja, sie kümmerte sich um die Armen. Sie hatte ein ausgesprochen politisches Verständnis benachteiligter Menschen gegenüber, da sie geprägt war vom Faschismus.  Merkwürdig ist, dass sie den Nationalsozialismus nicht erwähnte. Ihr Freund, der Vater ihrer Kinder war Italiener. 
Sie favorisierte die Entwicklung der DDR und hoffte auf ein besseres Deutschland. In der DDR sollte alles besser werden. Ein Kollektiv, jeder steht für jeden ein. Es gibt keine Hitlerjugend mehr. Stattdessen die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Die Jugend sollte frei aufwachsen. Doch jeder hatte ein anderes Verständnis von Freiheit.
Häuser, Wohnung und Innenausstattungen waren Staatseigentum. Käthe wohnte mit den Kindern in einem Haus. In dem Haus hatte sie auch ihr Atelier.
 Käthe war äußerst bestrebt, im neuen Deutschland eine Gesellschaft zu mitgründen, in der Faschismus nicht mehr möglich wird und versucht ihren Kindern beizubringen, keine egoistischen Ansprüche zu stellen:
Das Maß entscheidet. Niemand habe ein Recht auf Liebe und Schutz. Sie wird ihrem Sohn nicht helfen, einen Studienplatz zu erhalten. Sie verabscheute die Elite, deren höhere Tochter sie selbst einmal gewesen war. Was zählte, war allein das, was der Mensch aus eigener Kraft schuf, für seine Gesellschaft. Ihre Kinder sollten das Arbeiten lernen wie alle anderen, das forderte sie, das erwartete sie.
(…) Wer die Gesellschaft ändern will, der fange  bei seinen eigenen Kindern an, (…). Weg mit den Studenten! Im Sozialismus soll die Sprache nicht mehr verraten, welchen Wert eine Arbeit hat. Wenn der Sohn vom berlinernden Koch Chemie studiert und der Sohn mit seiner Hochsprache Koch lernt, dann mischt sich unsere Gesellschaft neu, dann haben wir es geschafft. Jeder bringt seinen Beitrag. Mein Vater war Professor und icke  kloppe Steine.
Eigentlich ist ja die Grundidee keine falsche gewesen. Weg vom Faschismus und ein gerechter Umgang mit den Menschen, vor allem mit benachteiligten Menschengruppen. Gerechte Verteilung der Güter und der ideellen  Werte.
Das folgende Zitat hat es mir richtig angetan:
Es muss Mensch heißen. Es geht um das Verständnis dahinter. Den Faschismus aus dem Denken verbannen. Alles mit Augen, Fleisch und Beinen ist Mensch, egal, wie er spricht.
Doch leider entpuppte sich die DDR ganz anders, den Menschen hatte man ein ideales Bild von Deutschland versprochen, in dem alles anders und alles besser werden sollte als im Westen Deutschlands.Für Käthe war Gerechtigkeit das oberste Ziel.

Käthe hatte genaue Vorstellungen, wie sich eine Gesellschaft zu entwickeln habe, damit sie auch funktioniere. Diese hohen Erwartungen übertrug sie auf ihre Kinder:
Die jungen Leute, schimpfte Käthe dann in Hörweite von Ella und Thomas, die müssen Verantwortung für sich übernehmen und lernen, den Mund für andere aufzumachen, sonst wird das nix mit dieser Gesellschaft. Gar nix. Duckmäuser und Mitläufer haben die hier genug, und noch ein paar trübe Tassen.
So anspruchsvoll hoch war ihr Bild von Mensch und Gesellschaft, so sehr übersah sie die Nöte in ihren eigenen vier Wänden.
Käthe hielt Untermieter, wovon sich zwei sexuell an die kleine Ella hermachten. Schutz von ihrer Mutter konnte Ella nicht erwarten und so musste sie den körperlichen und den seelischen Schmerz erleiden und für sich behalten. Thomas war ihr Bruder, mit dem sie eng verbunden stand und sie alles miteinander teilten. Rücken an Rücken wie der Titel schon sagt, gingen sie durch dick und dünn, stärkten sich gegenseitig, hielten fest zusammen. Trotzdem blieben in Ellas Innenleben Spuren haften, Verletzungen, die die psychosexuelle Entwicklung des Mädchens stark beeinträchtigte. Sie bittet ihren Bruder die Natur aufzuhalten, wobei der Bruder nicht verstand, was sie damit meinte:
Ja, halt sie auf. Halt alle Natur auf. Kommt, wir schwören, wir werden nie erwachsen, Ella hielt ihre Finger in die Luft, ihre Augen glänzten. Ich bleibe klein und werde niemandes Frau sein.
Das soll ich schwören? Dass ich niemandes Frau sein werde?
Du natürlich Mann, dass du niemandes Mann sein wirst…
Thomas ist von der Idee alles andere als begeistert und erwiderte seiner Schwester, dass er das nicht könne, ewig Kind bleiben. 

Ella stellte Thomas eine interessante Frage, die mich auch sehr nachdenklich gestimmt hat:
Was glaubst du, was ist schlimmer; nicht lieben zu können oder nicht geliebt zu werden?
Sicher beantwortet jeder diese Frage recht unterschiedlich. Ich habe für mich auch eine Antwort gefunden, die ich aber auch für mich behalten möchte.

Thomas ist ein Musterschüler und hat das Zeug für ein Studium. Doch dadurch, dass seine Mutter nicht zu den Arbeitern zählte, sonder zur Elite, ist ihm ein Studium nicht gewiss. Kthes Vater war Professor. Die Gesellschaft sollte sich neu mischen und Anspruch auf einen Studienplatz hatten vor allem Begabte aus den Arbeiterfamilien.
Thomas möchte Journalismus studieren, doch hierbei mischte sich Käthe ein und verbat ihm das Studium.
Pah, von wegen du könntest! Du willst, du willst, du bist ganz blind in deiner Schwärmerei. Keiner kann das. Und ich sag dir mal was: Es ist obszön, den Menschen von den Riesenschildkröten auf den Galapagosinseln zu erzählen, während sie hier in der Fabrik stehen und für dich die Schnürsenkel drehen.
Warum? Thomas sah sie an. Käthe runzelte die Augenbrauen. Ihr Michelangelo glaubte sie aus Florenz nach Ostberlin transportieren zu können, glaubte an das Bild vom Menschen, den Menschen selbst - nicht aber an ihren Sohn. Ihr Sohn sollte nichts wollen, nicht an ihr vorbei und bestimmt niemals etwas außerhalb ihres Koordinatensystems. Ihre Liebe war unbarmherzig, aber es war Liebe, daran mochte er nicht zweifeln. Grimmig verzog sie ihr schönes Gesicht: was weißt du schon von der Welt?
 Sie warf ihrem Sohn vor, dass er nichts von Journalismus wissen würde. (Nun, wenn das der Fall sein sollte, dann ist ja dafür ein Studium da, um diese Kenntnisse sich anzueignen.)
Hier gibt es eine Chance. Wenigstens das. Darauf kommt es an. Käthe atmete durch, sie schloss die Augen. Ungern ließ sie einem anderen das letzte Wort. Thomas soll ihr nur nicht die Welt erklären. Besessen wirkte sie von der Neugeburt einer Gesellschaft. Thomas glaubte nichts von dem, und er schämte sich, als er ihrer Hand auf seiner Schulter spürt.
Thomas entwickelte in der DDR ein anderes politisches Verständnis und denkt oft daran, auszureißen, dem neuen Deutschland mit den vielen Versprechen den Rücken zu kehren. Käthe kündigte Thomas  die Familienmitgliedschaft, sollte er seine Absichten wahr machen:
Dann trennen sich unsere Wege hier, klipp und klar. Und bilde dir nicht ein, dass du so ohne weiteres zurück kannst. Wer geht, ist feige, ist ein Verräter. Jedem steht es frei abzuhauen, drüben kann er bequem leben.
Auch Ella leidet unter dem System, allerdings auf ihre Art, anders als Thomas das tut. Sie litt unter unter dem mütterlichen System...und nennt dies Gefängnis im Mund, das Brennen.  Gefängnis im Mund bedeutet ja nichts anderes als eine Andeutung auf das Verbot von Meinungsfreiheit, auch im Mutterhaus. Doch Ella fühlt sich schon frei, wenn sie das Mutterhaus verlassen hat, ohne die Mauern um sich herum permanent ins Gedächtnis holen, während Thomas stark unter den Mauern leidet:

Die mittlerweile neunzehnjährige Ella hat eine Wohnung für sich bezogen und drückt somit ihre Freiheit aus, sie könne nun machen was sie wolle, während Thomas verständnislos erwidert:
Das nennst du frei sein? Ella interessierte sich nicht für die Mauer, sie war ein paar hundert Meter entfernt, nicht einmal in Sichtweite - was sie interessierte, war die Nähe, das Nächste.
Immer wieder überlegte Thomas sich einen Ausweg daraus:
Vielleicht gab es eine Lösung, die ein Onkel aus Amerika sehen konnte, während man hier, aus dem Inneren der Mauer, so, wie sie war, kaum noch die Sterne erkannte. Thomas` Entwürfe begann stets mit Fragesätzen. Nicht etwa nach seinem Befinden. Sondern solchen, die zu Klagen gerieten: Warum sieht die Welt uns zu? So lautete einer dieser Seite. Wie können ihr da draußen vorbeigehen und uns dabei zuschauen, wie wir auf-und abgehen am Gitter unseres sozialistischen Traumes?
Berechtigte Fragen, so finde ich. Wie konnte die Welt bei dem Judenverbrechen zuschauen?

Fragen, auf die es keine Antwort gibt, so finde ich. Zumindest keine befriedigende.

Ich mache nun hier Schluss, ohne das Ende zu verraten. Vor allem was Thomas und seine erste große Liebe mit Marie betrifft. Das Ende stimmt recht betroffen. Marie, auch eine schwierige Figur, die von ihrem Mann als sexuelles Schauobjekt für seine Kollegen benutzt wird und er sich dies bezahlen lässt. Marie hat eine kleine Tochter von zwei Jahren, die sich wegen ihrer Tochter nicht scheiden lassen möchte, da sonst das Sorgerecht auf den Vater fallen würde. Demgegenüber verstehe ich am Schluss ihr freiwilliges Ausscheiden aus dem Leben nicht, da das Kind nun erstrecht ohne Mutter aufwachsen wird.

Manche Szenen in dem Buch waren mir nicht wirklich authentisch dargestellt aber ich respektiere sie trotzdem, da die Kernbotschaft gut getroffen ist. 

Fettdruck: Durch mich hervorgehoben!


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„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)

Gelesene Bücher 2012: 70
Gelesene Bücher 2011: 86

Donnerstag, 27. September 2012

Julia Franck / Rücken an Rücken

Fischer Verlag Hardcover
Preis €  19,95
382 Seiten 
ISBN: 978-3-10-022605-1
Klappentext
Nach dem internationalen Erfolg von ›Die Mittagsfrau‹ erzählt Julia Franck in ihrem großen neuen Roman eine ergreifende Familiengeschichte im Deutschland der 50er und 60er Jahre.

Ostberlin, Ende der 50er Jahre. Die Geschwister Ella und Thomas wachsen auf sich allein gestellt im Haus der Bildhauerin Käthe auf. Sie sind einander Liebe und Gedächtnis, Rücken an Rücken loten sie ihr Erwachsenwerden aus. Ihre Unschuld und das Leben selbst stehen dabei auf dem Spiel.

Käthe, eine kraftvolle und schroffe Frau, hat sich für das kommunistische Deutschland entschieden. Leidenschaftlich vertritt sie die Erfindung einer neuen Gesellschaft, doch ihr Einsatz fordert Tribut. Im Schatten scheinbarer Liberalität setzen Kälte und Gewalt Ella zu. Während sie mal in Krankheit flieht und mal trotzig aufbegehrt, versucht Thomas sich zu fügen, doch nur schwer erträgt er die Erniedrigungen und flüchtet in die unglückliche Liebe zu Marie.

Autorenportrait im Klappentext

Julia Franck wurde 1970 in Berlin geboren. Sie studierte Altamerikanistik, Philosophie und Neuere Deutsche Literatur an der FU Berlin. 1997 erschien ihr Debüt ›Der neue Koch‹, danach ›Liebediener‹ (1999), ›Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen‹ (2000) und ›Lagerfeuer‹ (2003). Sie verbrachte das Jahr 2005 in der Villa Massimo in Rom. Für ihren Roman ›Die Mittagsfrau‹ erhielt Julia Franck den Deutschen Buchpreis 2007. Der Roman wurde in 34 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien der Roman ›Rücken an Rücken‹ (2011).
Im Oktober 2012 starten die Dreharbeiten für ›Lagerfeuer‹ unter der Regie von Christian Schwochow.

Von Julia Franck habe ich noch nichts gelesen. Der vorliegende Band wurde mir wärmstens empfohlen von einer Literaturfreundin aus dem Forum.
Insgesamt befinden sich von der Autorin noch zwei Bände in meiner Sammlung, die sich auf  dem großen SuB stapeln.
Die ersten fünfzehn Seiten habe ich schon probegelesen und die ersten Eindrücke fand ich vielversprechend.