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Dienstag, 10. Juli 2012

Anna Seghers / Jans muss sterben

Jans muß sterben

ISBN-10: 3763251650 

Verlag: Büchergilde Gutenberg 

4,99 € statt 11,50 

70 Seiten

 

Klappentext

 "Martin und Marie Jansen - er ruhig und gutmütig, sie kräftig und lebhaft - haben längst ihre Zärtlichkeit und Liebe füreinander verbraucht. All ihre Hoffnungen und verzweifelten Erwartung knüpfen sie an Jan, ihr Kind, unfähig, die Heftigkeit ihrer Gefühle auszudrücken, die sie fast zerreißt. Aber dann geschieht das Unglück: der kleine Körper zerfällt in einer unerklärlichen Krankheit."

Das Buch habe ich bei Jokers sehr preisgünstig entdeckt, s. o. gebundene Ausgabe, wahrscheinlich noch eine Restauflage. Anna Seghers ist als eine anspruchsvolle Autorin recht bekannt. Dennoch ist es das erste Buch von ihr, das ich lesen werde... .

 

Autorinnenportrait

Die Autorin wurde 1900 in Mainz geboren, starb 1983 in Berlin. Dt. Schriftstellerin jüdischer Herkunft... .

Donnerstag, 14. Juni 2012

Erzählungen von Thomas Mann BD 1

  Der Bajazzo, eine Erzählung von 54 Seiten


ISBN-10: 3596512255
Nach allem zum Schluss und als würdiger Ausgang, in der Tat, alles dessen ist es nun der Ekel, den mir das Leben - mein Leben -den mir >alles das< und  >das Ganze< einflößte. 

So beginnt die Erzählung von Thomas Mann, ob es nun Zufall ist oder nicht, aber irgendwie passt der Anfang, überhaupt das gesamte Thema, ein wenig zu meiner letzten Lektüre. Auch hier habe ich es mit einem Erzähler zu tun, der über sein Leben voll Abscheu und Ekel spricht.


Die Novelle handelt von einem Ich - Erzähler, zu einer Lebenszeit, als er dreißig Jahre alt war. Man erfährt auf den ersten Seiten ein wenig von dessen Familie. Zwei ältere Schwestern, die aber nach meinem Empfinden als Nebenfiguren keine außergewöhnliche Rolle spielen, bleiben in meiner Buchbesprechung unerwähnt. Der Vater ist in der Öffentlichkeit ein recht angesehener und geachteter Kaufmann, während die Mutter klein, zierlich und recht mädchenhaft wirkt und sie als nicht besonders hübsch beschrieben wird. Sie ist auf dem Gebiet der Literatur und dem Theater sehr bewandert. Das große Interesse für Literatur und Theater machte sich auch recht bald in dem Jungen, dem Erzähler, bemerkbar. Zu Weihnachten bekommt er ein Spieltheater geschenkt, mit dem er leidenschaftlich seine Fantasien auslebt und darin sogar auch Opern erfand… . Er beherrschte recht früh die Fabulierkunst.
In der Schule zeigt er sich dadurch eher verträumt und desinteressiert, und er brachte nicht die Leistungen zustande, die der Vater von ihm erwartete. Mit siebzehn Jahren wurde er somit in die Kaufmannslehre geschickt, und die Schule wurde vorzeitig beendet.

Der Vater zeigt sich nicht gerade entzückt über seine Entwicklung und das Interesse und der Liebe zu den literarischen Künsten. Er bezeichnet seinen Sohn als einen Bajazzo.

Bajazzo, eine Spaßfigur, mit nicht ernstzunehmenden Chraktereigenschaften und Vorlieben, entlehnt aus dem italienischen Volkstheater. Wobei mir der Protagonist gar nicht so erscheint. Auf mich wirkt er, nachdem ich die Novelle durch hatte, ein wenig ernst und nachdenklich, ein Bajazzo würde gar nicht so sehr sein Leben reflektieren. Er wäre durch und durch ein Lebemensch.

Der Junge wirkte außerhalb der Literatur und dem Theater nicht besonders ehrgeizig, aber er begab sich brav und widerstandslos in die Lehre bei dem Holzhändler Schlievogt. Es gelang ihm, sich dort gut anpassen und machte sich bei seinem Meister auch recht beliebt. Mit der Zeit lernte er ein geregeltes und sicheres Leben zu führen, das sich in feste Bahnen bewegt. Diese Lebensform würde aus meiner Sicht partout nicht zu einem Bajazzo passen… . Doch als der Vater verstarb und kurze Zeit darauf auch seine Mutter, erbte er eine fünfstellige Summe, so dass er gut damit seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, ohne weiter seinen Beruf als Kaufmann nachgehen zu müssen.
Er zog in eine andere Stadt, und begann dort ein neues Leben.


Meine Tage vergingen fortab in Wirklichkeit dem Ideale gemäß, das von mir mein Ziel gewesen war. Ich erhob mich von etwa um 10:00 Uhr, frühstückte und verbrachte die Zeit bis zum Mittag am Klavier und mit der Lektüre einer literarischen Zeitschrift oder eines Buches. Dann schlenderte ich die Straße hinauf zu dem kleinen Restaurant, in dem ich mit Regelmäßigkeit verkehrte, speiste und machte darauf einen längeren Spaziergang durch die Straßen, durch eine Galerie, in die Umgegend, auf den Lerchenberg. Ich kehrte nach Hause zurück und nahm die Beschäftigungen des Vormittags wieder auf: Ich las, musizierte, unterhielt mich manchmal sogar mit einer Art von Zeichenkunst oder schrieb mit Sorgfalt einen Brief. Wenn ich mich nach dem Abendessen nicht in ein Theater oder ein Konzert begab, so hielt ich mich im Caffée auf und las bis zum Schlafengehen die Zeitung.


Welche Literaturinteressierten träumen nicht von solch einem Luxusleben?, selbst wenn dieses Leben durch den Erzähler letztendlich doch infrage gestellt wird... . Je mehr er sich der Kunst zuwandte, desto mehr kehrte er der Welt und den Menschen den Rücken. Er hob sich auch von den anderen Menschen deutlich ab:


Die Tage aber verstrichen, und es wurden Wochen und Monate daraus- Langeweile? Ich gebe zu: Es ist nicht immer ein Buch zur Hand, das eine Reihe von Stunden den Inhalt verschaffen könnte; übrigens hast du ohne jedes Glück versucht, auf dem Klavier zu fantasieren, du sitzest am Fenster, rauchst Cigaretten, und unwiderstehlich beschleicht dich ein Gefühl der Abneigung von aller Welt und dir selbst; die Ängstlichkeit befällt dich wieder, die übelbekannte Ängstlichkeit, und du springst auf, machst dich davon, um die auf der Straße mit dem heiteren Achselzucken des Glücklichen die Berufs-und Arbeitsleute zu betrachten, die geistig und materiell zu unbegabt sind für Muße und Genuss.


Eigentlich nimmt der Erzähler schon recht deutlich wahr, dass sein Leben trotz der  vielseitigen Kunst recht einsam verläuft, doch er wagt sich nicht sich dem zu stellen, und wertet sich auf, indem er die arbeitende Bevölkerung, verglichen zu ihm und seinen Möglichkeiten, als unbegabt hinstellt. Letztendlich ist dieses Urteil eher ein Selbstschutz, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass ihm im Leben doch auch etwas ganz Wesentliches fehlt.

Auf den folgenden Seiten erfährt man schließlich doch, dass er hin und wieder ein wenig müde von der Einsamkeit ist. Seine Unzufriedenheit nimmt immer mehr zu, so dass er schließlich sich doch eingestehen muss, dass er keinem bestimmten Gesellschaftskreis angehört, indem er Bekanntschaften hätte knüpfen können.


 Übrigens hatte ich hier wohl mit der Gesellschaft gebrochen und auf sie verzichtet, als ich mir die Freiheit nahm, ohne ihr in irgendeiner Weise zu dienen, meine eigenen Wege zu gehen, und wenn ich, um glücklich zu sein, der Leute bedurft hätte, so muss ich mir erlauben, mich zu fragen, ob ich in diesem Falle nicht zur Stunde damit beschäftigt gewesen wäre, mich als Geschäftsmann größeren Stils gemein nützlich zu bereichern und mir den allgemeinen Neid und Respekt zu verschaffen.


Als Geschäftsmann? Wen muss er neidisch machen... ?. Hat er es nötig? Vielleicht hätte er sich im Elternhaus besser durchsetzen müssen, um seine Begabungen in der Kunst weiter zu entfalten. Aber auf einem professionellen Gebiet, auf dem sich noch andere Künstler tummeln, und mit ihnen im Austausch bleiben würde. Aber er besänftigt sich immer wieder mit nicht ganz aufrichtigen Gedanken:


Ah, ich habe aber mein Leben zu meinem Wohlgefallen eingerichtet! Bin ich vielleicht nicht glücklich? Eine Lächerlichkeit, diese Frage, und weiter nichts. (…) Es ist wahr, dass ich allerhand vermag! Ich kann (…) mich am Flügel niederlassen, um mir im stillen Kämmerlein meine schönen Gefühle voll auf zum Besten zu geben, und das sollte mir billig genügen; denn wenn ich, um glücklich zu sein, der Leute bedürfte - dies alles! Allein gesetzt, dass ich auch auf den Erfolg ein wenig Wert legte, auf den Ruhm, die Anerkennung, das Lob, den Neid, die Liebe?
 
Schließlich versucht er >Glück< zu definieren, wobei ich den Eindruck bekomme, dass er >Glück< auch erzwingen will, um sein Leben damit als geglückt rechtfertigen zu können:


 Ich will und muss glücklich sein! Die Auffassung des "Glückes" als eine Art von Verdienst, Genie, Vornehmheit, Liebenswürdigkeit, die Auffassung des "Unglücks" als etwas Hässliches, Lichtscheues, Verächtliches und mit einem Worte lächerliches ist mir zu tief eigentlich, als dass ich mich selbst noch zu achten vermöchte, wenn ich unglücklich wäre. 

Ich denke, dass es nicht so einfach ist zu verkraften, wenn man plötzlich die Erkenntnis machen muss, dass man im Leben etwas ganz Wesentliches versäumt hat, obwohl der Protagonist noch sehr jung ist, und sein Leben durchaus noch umlenken könnte:
 
Was dürfte ich mir gestatten, um glücklich zu sein? Welche Rolle müsste ich vor mir spielen? Müsste ich nicht als eine Art von Fledermaus oder Eule im Dunkeln hocken und neidisch ich zu den Lichtmenschen hinüberblinzeln, den liebenswürdigen Glücklichen? Ich müsste sie hassen, mit jenem Hass, denn nichts ist als eine vergiftete Liebe, - und mich verachten!


Ja, er hat sich auch in eine Frau verliebt, eine hübsche junge Dame, eine Theaterbesucherin, die aber leider einem anderen Bewerber versprochen ist, wie er enttäuscht feststellen musste. Aber zumindest lernt er das Gefühl der Liebe kennen..., selbst wenn er nach dieser Enttäuschung auch die Liebe letztendlich in sich völlig verwirft und sie als eine bloße, lästige Eitelkeit abtut:


Liebte ich, wenn endlich einmal diese Frage erlaubt ist, liebte ich dieses Mädchen denn eigentlich? Vielleicht… aber wie und warum? Weil diese Liebe nicht eine Ausgeburt meiner längst schon gereizten kranken Eitelkeit, die beim ersten Anblick dieser unerreichbaren Kostbarkeit reinigend aufbegehrt war und Gefühle von Neid, Hass und Verachtung hervorgebracht hatte, für die dann die Liebe Vorwand, Ausweg und Rettung war?
Ja, das alles ist Eitelkeit! Und hat mich nicht mein Vater schon einst einen Bajazzo genannt?
 
Sicherlich haben ihn die väterlichen Urteile geprägt, von denen er sich nicht hat lösen können, vielleicht, weil er diese nicht ausreichend genug hinterfragt hat. Ein kleiner Dialog zwischen den Eltern über den Sohn. Der Vater:


Seine Begabung, von der du sprichst, ist eine Art von Bayazzobegabung, wobei ich mich beeile, hinzuzufügen, dass ich dergleichen durchaus nicht unterschätze. Er kann liebenswürdig sein, wenn er Lust hat, er versteht es, mit den Leuten umzugehen, sie zu amüsieren, ihnen zu schmeicheln, er hat das Bedürfnis, Ihnen zu gefallen und Erfolge zu erzielen; mit derartiger Veranlagung hat bereits mancher sein Glück gemacht, und mit ihr ist er angesichts seiner sonstigen Indifferenz im Handelsmann größeren Stils relativ geeignet."
 
Ich denke, dass es genau das ist, was den Jungen beeinflusst hat, weshalb aus ihm nicht mehr geworden ist. Er genießt seine Kunst im Stillen, obwohl er die Fähigkeiten hätte, unter Menschen zu gehen, und im Austausch mit anderen Künstlern diese dort weiter zu entfalten und die Welt mit seinen künstlerischen Fähigkeiten zu bereichern.


Wohlüberlegt, ich kann nicht umhin, mir diese so friedliche und lächerliche Begriffsunterscheidung zugestehen: Die Unterscheidung zwischen >innerem und äußerem Glück< ! >Das äußere Glück<, was ist das eigentlich?- Es gibt eine Art von Menschen, Lieblingskinder Gottes, wie es scheint, deren >Glück< das Genie und deren Genie das >Glück< ist, nicht Menschen, die mit dem Widerspiel und Abglanz der Sonne in ihren Augen auf eine leichte, anmutige und liebenswürdige Weise durchleben, pendeln, während alle Welt sie umringt, während alle Welt sie bewundert, belobt, beneidet wird und liebt, weil auch der Neid unfähig ist, sie zu hassen. :-). 


Zu diesem Zitat muss man gar nichts mehr hinzufügen, ich schreibe gewisse Textstellen eigentlich nur heraus, weil sie mir so gut gefallen. Eigentlich hätte ich in vier Sätzen sagen können, worum die Erzählung handelt, und was die Quintessenz von ihr ist.

Aber was den Erzähler für mich so sympathisch macht, ist die Auseinandersetzungen mit seinem Leben, das Abwägen von Für und Wider, auch wenn die Erzählung nicht gerade optimistisch endet, aber sie keineswegs unrealistisch macht. Er setzt sich auseinander, denkt kritisch über sein Leben nach, aber als Ekel habe ich sein Leben gewiss nicht empfunden.

Mit einem Zitat begonnen, schließe ich mit einem Zitat ab:

Scheint es nicht, dass sich die inneren Erlebnisse eines Menschen desto stärker und angreifender sind, je dégagierter, weltfremder, und ruhiger er äußerlich lebt? Es hilft nichts: Man muss leben; und wenn du dich wehrst, ein Mensch der Aktion zu sein, und dich in die friedlichste Einöde zurückziehst, so werden die Wechselfälle des Daseins dich innerlich überfallen, und du wirst deinen Charakter in ihnen zu bewähren haben, seist du nun ein Held oder ein Narr.
                                                                          ENDE !

Nachgedanke:

Es gibt einsame Menschen, die nach ihren Möglichkeiten nichts unversucht gelassen haben, sich in das gesellschaftliche Leben zu mischen, und brachten Projekte auf die Beine, die jedoch allesamt gescheitert sind. Auch in der Gesellschaft fühlen sich diese Menschen recht einsam, einsamer als die Kunst hinter ihren vier Wänden… .

Mir hat die Novelle gut gefallen und gebe ihr sieben von zehn Punkten. Sieben Punkte und nichtzehn aus dem Grund, da das Thema nicht wirklich authentisch ausgearbeitet war. Den Bajazzo habe ich in dem Protagonisten keinesfalls erkennen können. Dafür war er zu ernst und zu reflektiert. Am Anfang der Novelle wird man auf ein Leben vorbereitet, das von dem Erzähler als recht ekelhaft empfunden wird. Auch das kommt nicht wirklich gut zur Geltung. Ich finde das Leben, das der Erzähler uns mitteilt, alles andere als ekelhaft und abstoßend. 

Ich gebe der Novelle sieben von zehn Punkten. Sieben und nicht mehr, weil mir der Ich-Erzähler als Bajazzo nicht wirklich authentisch wirkte. Sieben und nicht weniger, weil man sich gut in die Erzählung einfinden kann und der sprachliche Ausdruck recht gehoben ist.

____________________________
„Die rechte Vernunft liegt im Herzen“ (Theodor Fontane)


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Mittwoch, 30. Mai 2012

Thomas Mann / Der kleine Herr Friedemann



 Fischer TB-ISBN 978-3-596-51135-8

Eine Novelle von vierundvierzig Seiten!


Ja, mir hat sie gut gefallen, wobei mir der Anfang und der Schluss nicht wirklich realistisch erschienen sind.

Der Protagonist der Erzählung ist der dreißigjährige Johannes Friedemann, Sohn der Konsulin Friedemann, Vater Konsul verstarb durch eine schwere Krankheit kurz nach seiner Geburt. Als Säugling von einem Monat fiel J. Friedemann vom Wickeltisch, weil niemand nach ihm schaute. Er befand sich alleine im Raum, obwohl er noch zwei ältere Schwestern besaß  Und ebenso die Amme war zugegen, aber auch sie verletzte ihre Aufsichtspflicht, da sie wohl mit anderen Dingen beschäftigt war. Der Amme galt der alleinige Vorwurf nach Meinung der Konsulin..






Im Alter von einundzwanzig Jahren verstarb seine Mutter.

 Friedemann war gezeichnet und von Trauer, von einer tiefen inneren Trauer... .

Seine beiden großen Schwestern waren nicht besonders hübsch, auch besaßen sie kein großes Vermögen und hatten sonst keine anderen weiblichen Reize, so dass sie ehelos blieben. Der Erzähler  gebraucht den Begriff "hässlich". Die Schwestern seien recht hässlich.

Friedemann war auch nicht besonders hübsch, ebenso im Knabenalter. (Die Details dazu bitte selber nachlesen.), wobei ich nicht weiß, ob das der Grund sein muss, partnerlos zu bleiben. Menschen besitzen eine Aura, Charme, etc. mit denen man vor anderen Menschen brillieren und Sympathien erwecken kann, selbst wenn man nicht dem Schönheitsideal entspricht. Schönheit / Hässlichkeit sind relative Bezeichnungen und Menschen sind recht oberflächlich, wenn sie andere nur nach Aussehen und Vermögen beurteilen. Demgegenüber scheint der Erzähler auch ein wenig Wert auf das Schönheitsideal zu legen :D.

Wenn ein Säugling vom Wickeltisch fällt, stirbt man da nicht? Frage, Frage, Frage ... .

Freidemann lebte eher zurückgezogen, auch als Kind vermied er Einladungen. Meist trug er schon im jungen Alter so etwas wie eine Trauermiene. lief auch recht gekrümmt, dadurch dass er oft den Kopf nach unten trug... . Er kränkelte auch immerzu... .

Sein Kopf saß tiefer als je zwischen den Schultern , seine Hände zitterten, und ein starker, stechender Schmerz stieg ihm aus der Brust in den Hals hinauf. Aber er würgte ihn hinunter, und richtete sich entschlossen auf, so gut er das vermochte. "Gut", sagte er zu sich, "das ist zu Ende. Ich will mich niemals um das alles bekümmern. Den anderen gewährt es Glück und Freude, mir aber vermag es immer Gram und Leid zu bringen. Ich bin fertig damit. Es ist für mich abgetan. Nie wieder".

Friedemann geht einem musischen Hobby nach, er spielt Violine, aber ich habe immer den Eindruck, dass er über das Gewöhnliche nicht hinauszukommen versucht. Ob das das Hobby ist oder berufliche Leistungen.

Nach der Schule, er war siebzehn Jahre alt, ging er in die Kaufmannslehre und ging einem geregelten Lebensablauf nach. Auch hier war kaum Tiefgang zu spüren.

Als seine Mutter starb, verlor er sich wieder in seinem Pathos, was eigentlich auch verständlich ist, aber Friedemann ging mit Schmerzen nochmals anders um als andere:

Das war ein großer Schmerz für Johannes Friedemann, den er sich lange bewahrte. Er genoss ihn, diesen Schmerz, ergab sich ihm hin, wie man sich einem großen Glücke hingibt, er pflegte ihn mit tausend Kindheitserinnerungen und bedeutete ihm aus als sein erstes starkes Erlebnis.

Der Erzähler hat aber keinerlei Verständnis für den armen Herrn Friedemann, und bringt das Beispiel eines Naturschauspiels, dass ein Spaziergang zur Frühlingszeit draußen in den Anlagen vor der Stadt, der Duft einer Blume, der Gesang eines Vogels - ob man für solche Dinge nicht dankbar sein konnte?

Der Erzähler vergleicht ihn mit einem Epikuräer. So richtig gut kenne ich mich mit Epikur nicht aus, aber ich erinnere mich, dass es etwas mit Selbstgenügsamkeit zu tun hat und dass Menschen, sowohl im ideellen als auch materiellen Sinne, die nicht viel besitzen, die Kunst erwerben könnten, sich auch an Wenigem zu freuen.
Der mangelnde Ehrgeiz Friedemanns würde dazu passen.

Friedemann liebte nicht nur die Musik, sondern er liebte auch das Theater, das er regelmäßig besuchte.

Eines Tages lernt er die hinzugezogenen Herr und Frau Oberstleutnant von Rinnlingen kennen. Frau Rinnlingen zeigt sich Friedemann sehr zugewandt. Es knüpft sich eine recht interessante aber fragwürdige Beziehungen zwischen den beiden. Doch auch in dieser Kontaktknüpfung macht Friedemann eher einen Schritt nach vorne und zwei wieder zurück. Obwohl er sich in Frau Rinnlingen verliebt hat, gibt er sich recht hilflos wie ein Kind. Und doch gibt er sich schließlich nach langem hin und her einen Stoß und suchte die Lady zu Hause auf.

Friedemann habe ich sehr schnell durchschaut aber Frau von Rinnlingen war mir ein wenig rätselhaft, denn einerseits versuchte sie Friedemann zu verführen und andererseits kam es mir so vor, als würde sie mit ihm ihre Spielchen treiben. Als Frau von Rinnlingen vorgibt, sich für Friedemanns Schwächeleien zu interessierten, ich gehe mal davon aus, dass es eher Neugierde als echte Anteilnahme war, da Friedemann, wie oben schon gesagt, von seinem Auftreten her sich wie ein Bündel Elend zeigte, und das reizt Frau Rinnlingen, ihn zu provozieren. Sie nimmt ihn irgendwie auf die Schippe, nach dem Friedemann ihr von seinem Gesundheitszustand Bericht erstattet hatte:

"Auch ich bin viel krank", fuhr sie fort, ohne die Augen von ihm abzuwenden;" aber niemand merkt es. Ich bin nervös und kenne die merkwürdigsten Zustände."

Auf den folgenden Seiten kann man entnehmen, dass in den verschiedenen anderen Szenen Frau von Rinnlingen recht kalte Blicke auf ihn wirft.

Nach einer gesellschaftlichen Veranstaltung der Rinnlingen, an der auch Friedemann teilnahm, fühlte er sich alles andere als wohl. Seine Gefühle zu dieser Frau nehmen immer mehr zu, je mehr sie sich für sein Leid zu interessieren zeigt:

Müde und abgehetzt er sich fühlte, und wie doch alles in ihm in qualvollem Aufruhr war! War es nicht das Beste, noch einmal um sich zu blicken und dann hinunter in das stille Wasser zu gehen, um nach einem kurzen Leiden befreit und hinüber gerettet zu sein in die Ruhe? Ach, Ruhe, Ruhe war es ja, was er wollte! Aber nicht die Ruhe im leeren und tauben Nichts, sondern ein sanft besonderer Friede, erfüllt von gutem, stillen Gedanken.

Eigentlich sehnt er sich nach dem Tod, aber nach einem ganz besonderen Tod, an stillen Gedanken hängen zu dürfen, drückt doch auch ein wenig das Bedürfnis nach Leben aus. Denken bedeutet ja auch Leben…

Die beiden treffen sich an einem Tag und Frau von Rinnlingen gibt sich Friedemann gegenüber, was seine Leiden betreffen, weiterhin recht interessiert:

"Seit wann haben sie ihre Gebrechen, Herr Friedemann?" fragte sie. " Sind Sie damit geboren?"
Er schluckt hinunter, denn die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Dann antwortete er leise und artig:
" Nein, gnädige Frau. Als kleines Kind ließ man mich zu Boden fallen; daher stammt es."
"Und wie alt sind Sie nun?" Fragte sie weiter.
"Dreißig Jahre, gnädige Frau."
" Dreißig Jahre", wiederholte sie. " Und Sie waren nicht glücklich, diese dreißig Jahre?"
           (...)

Nun kommt die Wende, als Friedemann sich ihr ganz in Selbstmitleid auflöst, seinen Kopf jammernd in ihren Schoß legt, so lässt daraufhin die vornehme Dame Friedemann fallen, indem sie ihn sogar noch zum Boden hin, Richtung Fluss, stößt:

Und dann, plötzlich, mit einem Ruck, mit einem kurzen, stolzen, verächtlichen Lachen hatte sie ihre Hände seinen heißen Fingern entrissen, hatte ihn am Arm gepackt, ihn seitwärts vollends zu Boden geschleudert, war aufgesprungen und in der Allee verschwunden.
Er lag da, das Gesicht in Graß, bereut, ist außer sich, und ein Zucken lief jeden Augenblick durch seinen Körper. Er raffte sich auf, tat zwei Schritte und stürzte wieder zu Boden. Er lag am Wasser.-
Was geht eigentlich in ihm vor, bei dem, was nun geschah? Vielleicht war es dieser wollüstuge Hass, den er gefunden hatte, wenn sie ihn mit ihrem Blick gedemütigte, der jetzt, wo er, behandelt von ihr wie ein Hund, am Boden lag, in eine ihr sinnige Wut aussagte, die er betätigen musste, sei es auch gegen sich selbst… ein Ekel vielleicht vor sich selbst, der ihn mit einem Durst erfüllte, sich zu vernichten, sich in Stücke zu reißen, sich auszulöschen…

 Mir kamen heute noch Gedanken, dass Friedemann zu einer reifen Liebe gar nicht fähig war, denn sonst hätte er sich eine Frau gesucht, die noch ungebunden wäre, und in der Bindung der Austausch beidseitig wäre. Doch für solche Bindungen war seine Seele nicht wirklich reif genug. Für ihn war die vornehme Frau Rinnlingen unbewusst ein Mutterersatz. Je mehr diese Frau sich für seine Leiden interessierte, desto stärker fühlte er sich ihr emotional hingezogen. Und dass Frau Rinnlingen ihn so fallen lässt, ist eine unbewusste Reaktion, ihn durch´s Fallenlassen wachzurütteln. Man hat das ja im Leben oft, dass Menschen, die sich nach außen hin wie arme, hilflose Opfer geben, von anderen gerne geneckt und provoziert werden. Opfer suchen sich ihre Täter - im schlimmsten Fall sind solche Menschen empfänglich für jegliche Form von Gewalt. Die Welt ist ja so böse, und ich armer Friedemann bin von ihr immer so schlecht behandelt worden.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

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Mittwoch, 23. Mai 2012

Thomas Mann / Der Tod

Eine Erzählung von Thomas Mann

Fischer TB-ISBN 978-3-596-51135-8


Thomas Mann wurde 1875 in Lübeck geboren und wohnte seit 1894 in München. 1933 verließ er Deutschland und lebte zuerst in der Schweiz am Zürichsee, dann in den Vereinigten Staaten, wo er 1938 eine Professur an der Universität in Princeton annahm. Später hatte er seinen Wohnsitz in Kalifornien, danach wieder in der Schweiz. Er starb in Zürich am 12. August 1955.
Thomas Mann zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns umfangreiches und vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Für seinen ersten großen Roman Die Buddenbrooks erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur.





 Eine Novelle von elf kurzen Seiten, und trotzdem gibt es viel nachzudenken. Mir ist sie am Schluss ein wenig rätselhaft geblieben und vielleicht schaltet sich der Literaturfreund mephisto ein, ein THOMAS MANN - Kenner, und kommt mit mir ins Gespräch.

Diese Novelle habe ich gestern Abend noch gelesen und was mir bei Thomas Mann auffällt, ist, er lässt in mir immer irgendwelche Gefühle zurück, was ich bei Fontane beim Stechlin so gar nicht erlebt habe. Mich hat emotional bei dem Stechlin und in Stechlin gar nichts wirklich berührt. Als der alte Stechlin gestorben ist, hat es mich ziemlich kalt gelassen.

Damit möchte ich eigentlich sagen, dass Thomas Mann alles andere als gefühlsarm ist. Ich schätze trotzdem seine Neutralität als Autor sehr. Als Mensch fände ich es allerdings nicht passend, immer neutral sein zu müssen. Im Leben muss man oftmals auch parteiisch sein, wenn man sich für etwas einsetzen möchte.

So, nun zurück zu der Erzählung, die ich gestern Abend nachdenklich abgeschlossen hatte, da sie einen Ausgang zeigte, mit dem ich absolut nicht gerechnet habe.

Die Novelle beschreibt das Leben eines Philosophen, der recht sicher mit den letzten Monaten seines Lebens rechnet. Er weiß auch sein exaktes Todesdatum, als sei er mit dem Tod verabredet, und der Tod keinerlei Flexibilität und Erbarmen zeigt, das Datum zu verschieben.

Nun ist der Herbst da, und der Sommer wird nicht zurückkehren; niemals werde ich ihn wieder sehen …
Das Meer ist grau und still, und ein feiner, trauriger Regeln geht hernieder. Als ich das heute Morgen sah, habe ich vom Sommer Abschied genommen und den Herbst begrüßt, meinen vierzigsten Herbst, der nun wirklich unerbittlich herangezogen ist. Und unerbittlich wird er jenen Tag bringen, dessen Datum ich manchmal leise vor mich hin spreche, mit einem Gefühl von Andacht und stillem Grauen …

Der Tod ist für den zwölften Oktober angesagt, zu seinem vierzigsten Geburtstag... .

Der Protagonist ist Graf, und lebt am Meer, zuletzt befand er sich mit einem kleinen Mädchen namens Asuncion spazierend nach Kronshafen. Ein Diener lebt mit im Haus, das Mädchen ist eine Nachbarin, die dem Grafen wohlwollend zugewandt ist.

Der Graf lebt recht zurückgezogen und ihm ist nach Stille zu Mute, möchte eigentlich so wenig wie nur möglich mit Alltäglichkeiten konfrontiert werden. Er möchte seine letzten Tage sinnvoll abschließen können, als er sich von seinem Diener gestört fühlt, der zu nicht verabredeter Zeit sich im Hause des Grafens nützlich macht, als sich der Graf daraufhin bei seinem Diener beschwert:

Wie könnte er mich verstehen? Er weiß es ja nicht. Ich will nicht, dass Alltäglichkeit und Langeweile an meine letzten Tagen rühre. Ich ängstige mich davor, dass der Tod etwas Bürgerliches und Gewöhnliches an sich haben könnte. Es soll um mich her fremdartig und seltsam sein an jenem großen, ernsten, rätselhaften Tage - am zwölften Oktober …

Der Graf hatte sich schon in jungen Jahren viel über den Tod Gedanken gemacht, denn im Alter von neunzehn Jahren überkam ihn eine Ahnung, als müsse er zu seinem vierzigsten Geburtstag sterben. Aber weshalb der vierzigste Geburtstag?

Ich wusste mit neunzehn (...), dass ich mit vierzig sterben müsste, und irgend eines Tages, als ich mich eindringlich fragte, an welchen Tages geschehen werde, da wusste ich auch den Tag! (...) Tage, an denen ich zurückdenken kann und in Erinnerungen mich verlieren, sind selten. Wie viele Jahre sind es, dass ich nur vorwärts zu denken vermag, nur zu warten auf diesen großen und schauerlichen Tag, auf den zwölften Oktober meines vierzigsten Lebensjahres!

Wie kann ein Mensch leben, ständig den Tod vor Augen zu haben? Selbst, wenn man dieses Thema philosophisch betrachtet.

Die Novelle scheint auch etwas Magisches zu haben, dass der Mensch durch seinen eigenen Einfluss den Todestag hervorzurufen in der Lage sei:

Oh, es ist eine stete Verbindung zwischen dem Menschen und dem Tode! Du kannst mit deinem Willen und deiner Überzeugung an seiner Schwere saugen, du kannst ihn herbeiziehen, dass er zu dir tritt, zu der Stunde, an die du glaubst …

Mit diesem Zitat lässt es mich vermuten, dass der Graf nicht älter als vierzig Jahre werden wollte. Man kann die Gründe erahnen, weshalb er die Grenze nicht auf fünfzig und höher  angesetzt hat, aber man weiß es nicht wirklich. Vielleicht fühlt er sich mit vierzig Jahren alt genug um zu sterben, wobei ich mich frage, ob er überhaupt gelebt hat? In der letzten Novelle wurde ja auch noch einmal deutlich, dass nicht die Anzahl der Jahre bedeutend sind, um sterben zu können. Es geht ein wenig um ars moriendi, die Kunst zu sterben.

Die kleine Asuncion befindet sich wieder bei dem Grafen auf Besuch und er stellt dem Kind eine recht persönliche Frage zu seinem möglichen Ableben:

Meine kleine Asuncion! Wenn du wüsstest, dass ich dich werden verlassen müssen. weinst du, weil ich > krank< sei? Ach, was hat das damit zu tun! Was hat das mit dem zwölften Oktober zu tun!…

Weshalb ist es dem Grafen so wichtig zu wissen, ob das Kind nach seinem Tod um ihn trauern wird?

Auch Gedanken um den Suizid beschäftigen den Grafen, ob der Mensch das Recht hat, freiwillig aus dem Leben zu scheiden? Irgendwie weiß ich nicht so recht, zu welcher Meinung ich mich entschließen soll? Denn mal spricht er davon, dass er als Jugendlicher seinen Todestag heraus bekommen konnte, in Form einer nach festgelegten schicksalshaften Fügung, und ein andermal spricht er davon, dass er seinen Tod selbst bestimmen könnte... .

Was ist Selbstmord? Der freiwillige Tod? Aber niemand stirbt unfreiwillig. Das Aufgeben des Lebens und die Hingabe an den Tod geschieht ohne Unterschied aus Schwäche, und diese Schwäche ist stets die Folge einer Krankheit des Körpers oder der Seele, oder beider. Man stirbt nicht, bevor man einverstanden damit ist …
Bin ich einverstanden? Ich muss es wohl sein, denn ich glaube, dass ich wahnsinnig werden könnte, wenn ich am zwölften Oktober nicht stürbe …

Am zehnten Oktober schien wohl der Tod, als sei er personifiziert, in der Nacht bei dem Grafen gewesen. Obwohl der Graf den Tod nicht gehört und auch nicht gesehen hat, habe er mit ihm gesprochen:

Es ist lächerlich, aber er benahm sich wie ein Zahnarzt!  - "Es ist am besten, wenn wir es gleich abmachen", sagte er. Aber ich wollte nicht und wehrte mich. Mit kurzen Worten habe ich ihn fortgeschickt.
"Es ist am besten, wenn wir es gleich abmachen!" Wie das klang! Es ging mir durch Mark und Bein. So nüchtern, so langweilig, so bürgerlich! Nie habe ich eine Kälte und hohnvolleres Gefühl von Enttäuschung gekannt.

Auch diese Textstelle fand ich ein wenig absurd. Das Bedürfnis zu haben, ohne Langweile sterben zu  müssen, den Tod als etwas Interessantes, Spektakuläres zu erleben, empfand ich wie ein Zwang. Sicher kann das Sterben interessant sein, aber ich glaube nicht daran, dass der Tod metaphysisch beeinflussbar ist.

Es kommt zu einer Wende, es ist der elfte Oktober, dreiundzwanzig Uhr, eine Stunde vor dem zwölften Oktober. Was passiert da? Das möchte ich nicht verraten. Lest einfach selbst.




Ich mache nun eine kleine Thomas Mann Pause und nehme mir nächste Woche die Erzählung vor: Der kleine Herr Friedman

Es ist eine sehr schöne Erzählung, die auch etwas länger als nur zehn Seiten ist und deshalb möchte ich mir gerne Zeit dafür nehmen. Außerdem benötige ich nun auch etwas Abstand.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

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Gelesene Bücher 2012: 35

Dienstag, 22. Mai 2012

Thomas Mann / Der Wille zum Glück

Fischer TB- SBN-978-3-

Eine Erzählung von Thomas Mann

Die Novelle ist recht kurz, hat knapp fünfundzwanzig Seiten aber sie hat mich .
trotzdem wieder zum Nachdenken angeregt.

Der Protagonist der Erzählung ist Paolo Hofmann. Sein Vater betrieb in Südamerika eine Plantage und lernte eine Eingeborene kennen, die er zur Frau nahm. Ganz schön mutig für die damalige Zeit kann ich nur sagen. Gemeinsam mit seiner Braut kehrte er wieder nach Norddeutschland zurück und dort bekamen sie ihr einziges Kind namens Paolo.

Paolo schwächelte, kränkelte von Kindesbeinen an und konnte sich nicht wirklich davon erholen. Einige Male musste er aus der Schule genommen werden, um gesundheitlich wieder stabilisiert zu werden.

Freundschaftlich schloss Paolo sich mit dem Erzähler zusammen, die beide gemeinsam eingeschult wurden und bis ins erwachsene Alter in Kontakt blieben.

Ein kleines Zitat aus deren Schulzeit möchte ich gerne einfügen:

Unsere Kameradschaft dauerte während all der Schuljahre ungefähr aus demselben Grunde fort, aus welchem sie entstanden. Es war der >Pathos der Distanz< im größten Teile unserer Mitschüler gegenüber, das jeder kennt, der mit fünfzehn Jahren heimlich Heine liest und in Tertia das Urteil über Welt und Menschen entschlossen fällt.

Das fand ich ganz spannend, mit welchen ernsten literarischen Gedanken sich diese Jugendlichen damals befasst haben, kaum vorstellbar auf die heutige Zeit bezogen. Und ich bin sicher, dass Paolo auch davon geprägt wurde.

Nach der Schulzeit schlägt Paolo künstlerische Wege ein, die eines Malers... Er verliebt sich in die Baronesse Ada von Stein. Die Eltern des Mädchens halten große Stücke auf Paolo, doch als er um Adas Hand anhielt, verweigerten die Eltern die Zustimmung. Paolo sei sehr krank und sie könnten sich keine glückliche Zukunft für die Tochter vorstellen mit diesen erschwerten Umständen.

Paolo ergreift die Flucht, indem er eine Weltreise unternimmt, aber ohne sich von seiner Liebsten verabschiedet zu haben. Ada wendet sich vertrauensvoll an Paolos Freund. Sie lernte den Freund durch Paolo kennen und ihm teilt sie mit, dass sie nur Paolo lieben werde und keinen anderen... .

Paolo trifft fünf Jahre später seinen Freund durch Zufall wieder in Rom. Er sah noch kränker aus als vor fünf Jahren, und Paolo es selbst als ein Wunder betrachtet, dass er überhaupt noch lebe. Die Ärzte verordneten ihm die die Heimreise und strengste Bettruhe. Eigentlich war das so gemeint, er solle zum Sterben nach Hause fahren und sich ins Bett legen. Paolo hält sich nicht an die Verordnung, und trotzdem lebt er noch... .

Ich lebe doch noch immer. Ich bin beinahe täglich am Ende. Ich liege abends im Dunkeln,-auf der rechten Seite, wohl gemerkt! Das Herz klopfte bis in den Hals, es schwindelt mir, dass mit der Angstschweiß ausbricht, und dann plötzlich ist es, als ob der Tod mich anrührte. Es ist wie ein Augenblick, als stehe alles still in mir, der Herzschlag setzt aus, die Atmung versagt. Ich fahre auf, ich mache Licht, ich atme tief auf, Blicke um mich, verschlinge die Gegenstände mit meinen Blicken. Dann trink ich einen Schluck Wasser und lege mich wieder zurück; immer auf die rechte Seite! Allmählich schlafe ich ein.

Eine bestimmte Krankheit geht aus dem Text nicht hervor, aber ich vermute mal, dass Paolo eine sehr zartbesaitete Person ist, die für das Leben nicht stark genug ist.

Mit seinem Freund geht er an den Römerbrunnen, Fontana Trevi und trinken aus der Quelle. denn wer aus dieser Quelle trinken würde, der konnte sicher sein, dass dieser Mensch Rom wieder sehen würde. Als Paolo sein Glas Wasser an den Mund setzt, zerspringt das Glas und bricht in Scherben. Spätestens hier an dieser Stelle, ahnte ich, dass Paolo wohl nie wieder nach Rom zurückkehren würde.... .

Paolo erfährt durch seinen Freund die Liebestreue Adas. Als er Adas Worte über seinen Freund vernahm, so erwiderte er:

Ich - halte diese Worte.

Das hat mir auch recht gut gefallen. Worte festhalten... und niemals mehr verlieren... . Sie nicht fallen lassen... . Vorsichtig damit umgehen... , sind dazu meine Assoziationen.

Der Freund ist skeptisch, da mittlerweile so viel Zeit vergangen ist und sich beide verändert haben könnten, war er nicht sicher, ob die Zuneigung noch die selbe geblieben ist wie vor fünf Jahren. Schleißlich packt Paolo daraufhin einen Brief heraus, der von Adas Vater geschrieben war mit der Bitte, wieder nach Norddeutschland zurückzukommen und Ada zur Frau zu nehmen. Die Adresse bekamen die Eltern wiederum über Paolos Eltern. Ada lehnte neue Bewerber ab, und der Vater wurde einsichtig, und wusste nun endlich, dass Ada ohne Paolo unglücklich bleiben würde. Also willigte er jetzt der Vermählung ein.

Das junge Paar heiratete schließlich und am Morgen der Hochzeitsnacht ist Paolo gestorben. Ich bekomme als Leserin den Eindruck, als konnte er nicht früher sterben, als habe er alle seine Kraft aufgespart für diesen einzigen besonderen Tag.

Er ist tot; gestorben am Morgen nach der Hochzeitsnacht, - beinahe in der Hochzeitsnacht. Es musste so sein. War es nicht der Wille, der Wille zum Glück allein, mit dem er so lange den Tod bezwungen hatte? Er musste sterben, ohne Kampf und Widerstand sterben, als seinem willen zum Glück Genüge geschehen war; er hatte keinen Vorwand mehr zu leben.

Keine Vorwand mehr zu leben zu haben, das finde ich auch einen interessanten Gedanken, den ich jetzt nicht weiter ausführen möchte, ich ihn aber im Stillen in mir weitertragen möchte.

Ada war auch wie befreit durch die Hochzeit mit Paolo, als der Erzähler uns noch an dem Begräbnis teilhaben lässt:

Ich habe mich gefragt, ob er schlecht gehandelt, bewusst schlecht an der, welcher es sich verband. Aber ich habe sie gesehen bei seinem Begräbnis, als sie zu Häupten seines Sarges stand; und ich habe auch in ihrem Antlitz den Ausdruck erkannt, den ich auf seinem gefunden: den feierlichen und starken Ernst des Triumphes.

Als Leserin bekomme ich den Eindruck, dass alles gut ist so wie es ist, ohne zu hadern.

********************

Mir hat diese Erzählung auch wieder sehr gut gefallen, und ich glaube, dass mir Thomas Manns Schreibstil sehr liegen wird. ich suche die Novellen nicht irgendwie nach Gusto aus, sondern nach der Reihenfolge aus dem Inhaltsverzeichnis. Die nächsten Novellen sind alle noch viel kürzer, so dass ich am überlegen bin, ob ich nicht eine Thomas Mann Werktag- Lese-Woche einlegen soll. Dadurch, dass ich das Gelesene schriftlich festhalte, muss ich gar nicht die Befürchtung haben, dass mir der Inhalt der jeweiligen Novellen aus meinem Gedächtnis wieder verloren geht.

Die nächste Novelle wird sein: Der Tod
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 35

Montag, 21. Mai 2012

Thomas Mann / Der kleine Herr Friedmann und andere Erzählungen BD 1

Fischer TB-ISBN 978-3-596-51135-8

Klappentext

Der kleine Herr Friedemann und andere ErzählungenIm Werk Thomas Manns stehen die Erzählungen gleichberechtigt neben den großen Romanen. Ihre formale Klarheit und sprachliche Präzision zeichnen sie ebenso aus wie ihr Humor und ihr psychologischer Scharfblick.Bereits der junge Thomas Mann hat die kurze Prosa als seine Form entdeckt und früh zur Meisterschaft entwickelt. Über Jahrzehnte hinweg hat der Autor immer wieder Erzählungen geschrieben, die zu den bedeutendsten nicht nur des 20. Jahrhunderts gehören.Noch vor Buddenbrooks waren einige berühmte Novellen erschienen und wurden 1898 bei S. Fischer unter dem Titel Der kleine Herr Friedemann gesammelt. Diese Zusammenstellung wird hier um einige in Zeitschriften erschienene Texte ergänzt, darunter die musikalische Episode 'Tristan' (1903).

  Autorenportrait im Klappentext

Thomas Mann wurde 1875 in Lübeck geboren und wohnte seit 1894 in München. 1933 verließ er Deutschland und lebte zuerst in der Schweiz am Zürichsee, dann in den Vereinigten Staaten, wo er 1938 eine Professur an der Universität in Princeton annahm. Später hatte er seinen Wohnsitz in Kalifornien, danach wieder in der Schweiz. Er starb in Zürich am 12. August 1955.
Thomas Mann zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Mit ihm erreichte der moderne deutsche Roman den Anschluss an die Weltliteratur. Manns umfangreiches und vielschichtiges Werk hat eine weltweit kaum zu übertreffende positive Resonanz gefunden. Für seinen ersten großen Roman Die Buddenbrooks erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur.

Parallel zu meinen Hauptlektüren möchte ich mich mit den Erzählungen von Thomas Mann befassen. Ich besitze alle vier Bände, so dass auch für mich Passendes zu finden ist. "Der kleine Herr Friedmann" z.B. finde ich eine so wunderare Erzählung, die ich aus der Hörbuchfassung kenne.

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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:

Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

 

Gelesene Bücher 2012: 35