Sonntag, 27. Dezember 2015

Emile Zola / Das Paradies der Damen (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Auf den ersten Seiten hatte mich das Buch ein wenig an Charles Dickens erinnert. Aber dieser Eindruck täuschte nur, konnte schon recht bald nicht bestätigt werden.

Es ging um das Schicksal dreier Kinder, das sie durch den Tod ihrer Eltern zu Vollwaisen machte. Das älteste Kind, die zwanzigjährige Denise Baudu, nahm die hohe Verantwortung, für ihre jüngeren Geschwister zu sorgen, auf sich. Sie wurde zum Mutterersatz. Die Lebensumstände waren zum Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich recht hart. Es gab nicht genug Arbeitsplätze und die Mieten für eine Wohnung waren recht hoch ...  Jean, ca. vierzehn Jahre alt, sollte in die Lehre gehen und der kleine Pépé war noch ein Kleinkind. Sie lebten auf dem Land. In Paris gab es einen Onkel, der ein kleines Modegeschäft innehatte, und der seinen kleinen Verwandten brieflich den Vorschlag gemacht hatte, bei ihm und seiner kleinen Familie unterzukommen. Doch Denise konnte sich dazu nicht sofort entschließen, als sie dann schließlich einige Zeit später doch aufbrachen, und zu dem Onkel reisten. Der Onkel war erstaunt, als Denise und ihre Geschwister vor seiner Türe standen, ohne sich zuvor erst angekündigt zu haben. Sein Modegeschäft lief immer schlechter, sodass er Mühe hatte, seine eigene Familie über die Runden zu bringen, und er die Kinder wieder wegschicken musste.
Doch in Paris erhoffte Denise für sich und für ihren größeren Bruder mehr Möglichkeiten, Arbeit zu finden als auf dem Land. Denise war von Beruf Verkäuferin.

Zur Erinnerung gebe ich erneut den Klappentext rein:
Immer weiter breitet sich das Paradies der Damen, eines der ersten großen Pariser Modehäuser, im Viertel aus. Immer größer wird die Batterie von Angestellten - zuletzt sind es über 3000 -, die dort von den frühen Morgenstunden bis spät in die Nacht beschäftigt sind, um mit prunkvollen Auslagen und verführerischen Angeboten die Damenwelt zu locken. Octave Mouret, Gründer und Besitzer dieses neuzeitlichen Konsumtempels, weiß, wie man Frauen erobert und verführt. Der Kaufrausch, in den er die Frauen versetzt, richtet die Einzelhändler, die weder mit dem Glanz noch mit den Preisen des ständig expandierenden Moloches mithalten können, langsam, aber sicher zugrunde. Ganz im Gegensatz zu Denise Baudu, einer jungen Verkäuferin aus der Provinz, deren wechselhaftes Schicksal eng mit dem des Modehauses verwoben ist … In groß angelegten und mit viel Liebe zum Detail ausgeführten Tableaus lässt Zola die prächtige Warenhauswelt des 19. Jahrhunderts mit all ihren Facetten wieder auferstehen: von der Architektur über das Sozialgefüge der Angestellten und den ausführlichen Mode- und Interieurbeschreibungen, von den Umkleideräumen und der Kantine über die einzelnen Verkaufsabteilungen bis hin zur Chefetage und einer Verkaufsausstellung von weißen Stoff- und Seidenarten, Tülls und Musselin. 
Als ich dann schließlich ein wenig in Zolas Geschichte drin war, bekam ich anschließend eines der größten Pariser Modehäuser vorgestellt, in dem Denise durch die Empfehlung ihres Onkels angestellt wurde. Sehr detaillierte, sehr langatmige Beschreibungen, was das Modehaus betrifft. Und jede Menge Namen von Angestellten, von denen ich noch nicht wissen konnte, welche Figur wichtig war und welche nicht. Ich war nah dran, das Buch abzubrechen. Der Schreibstil an sich hat mir recht gut gefallen, wären nicht diese ausschweifenden Beschreibungen gewesen. Dazu kam, dass mir manche Szenen ein wenig zu sentimental erschienen sind.

Dickens habe ich dann schließlich aus den Augen wieder verloren.

Zola ist es aber gelungen, die sozialen und die gesellschaftlichen Missstände eines Modehauses aufzudecken und darüber zu schreiben. Man konnte sich gut hineinversetzen. Zwischendrin durchlief ich allerdings immer mal wieder neue Durststrecken, die bis zum Ende hin sich wiederholten ...
Diese modernen Modehäuser verdrängten die kleinen Geschäfte, zu denen auch das Geschäft des Onkels zählte, der immer mehr Kundschaft verloren hatte …

Denise hatte es sehr schwer, in dem Modehaus anzukommen. Sie entsprach auch nicht dem Schönheitsideal einer jungen, Pariser Dame. Sie war dürr, sie hatte lange und schwere blonde Haare, die noch schlecht frisiert waren, da sich diese Mähne schwer zähmen ließ. Sie bekam von den Kolleg/innen den Spitznamen Die Unfrisierte verpasst. Auch ihre Kleider sahen recht ärmlich aus und so wurde sie oft zum Gespött ihrer Kolleg/innen, die sich hinter ihrem Rücken über sie das Maul zerrissen haben. Denise war auf diese Arbeit angewiesen und tat alles, um ihre Stellung zu behalten. Der kleine Pépé wurde einem Kloster übergeben, und Denise musste für die Unterkunft und die Verpflegung viel Geld bezahlen. Ihr pubertierender Bruder Jean musste sich selbst durchbringen, da Denise in einer kleinen Bedienstetenkammer logierte, die zum Modehaus zählte und für den Bruder nicht ausreichend Platz vorhanden war. Jean bekam aber regelmäßig Geld von seiner Schwester. Er lebte recht verschwenderisch …

In dem Modehaus war auch ein Inspektor angestellt, der alle Mitarbeiter/innen überwachte. Ebenso die Kund/innen, und wer beim Stehlen erwischt wurde, so musste der jeweilige Verkäufer, sollte sich der Diebstahl innerhalb seiner Kundschaft zugetragen haben, zusammen mit seinem Kunden die Konsequenzen tragen ...

Gemobbt wurde nicht nur innerhalb der Angestellten, nein, auch Kund/innen richteten Mobbing gegenüber bestimmten Mitarbeiter/innen, die ihnen nicht passten. Denise war für sie alle das gefundene Fressen. Unglaublich, welche Intrigen die vornehmen Damen sich haben einfallen lassen. In dieser Hinsicht waren sie ungeheuer kreativ.

Auch die Kaufsucht der wohlhabenden Damen, die einem massiven Kaufrausch verfallen sind, da sie durch das übermäßig große Angebot dazu verführt wurden, greift Zola auf … Das Modehaus heißt nicht umsonst Das Paradies der Damen.

Und die Nöte der weiblichen Angestellten, denn   Frauen, die schwanger waren, wurden fristlos entlassen, thematisierte der Autor.Viele Schwangeren wollten ihren Job nicht riskieren, und schnürten ihren Bauch mithilfe des Korsetts fester zu als üblich, sodass sie eine Fehlgeburt erleiden mussten. Sie haben das Kind verloren anstelle ihrer Arbeitsstelle. Das sind nur ein paar von vielen unmenschlichen Missständen, die Zola hier einführt.

Doch Denises Schicksal fand eine Wende, die mir recht gut gefallen hat. Ihr Chef namens Mouret hat sich in sie verliebt und hat immer wieder um ihre Hand angehalten. Denise hatte ihren Brüdern geschworen, immerzu für sie dazusein und sich keinem Mann mit einer Heirat hinzugeben, wobei Jean ein paar Jahre später selbst geheiratet hat, weshalb ich nicht verstanden habe, weshalb sich Denise für ihn noch immer verantwortlich gefühlt hat. Für Mouret beginnt eine schwere Zeit von Liebeskummer. Denise konnte seine Gefühle, obwohl sie ihn heimlich ebenfalls anbetete, des Versprechens wegen nicht erwidern ... Nachdem Denise einmal zu Unrecht entlassen wurde, wurde sie kurze Zeit darauf wieder eingestellt, nachdem das Unrecht aufgedeckt wurde, sodass sie recht bald zur zweiten Verkäuferin ernannt wurde. Das bedeutete, sie genoss dadurch jede Menge Privilegien und sie hatte zahlreiche Verkäufer/innen unter sich stehen ... Aber Denise erwies sich nie als ungerecht ihren KollegInnen gegenüber. Sie besaß einen starken und fairen Charakter.

Selbst Kundinnen, die sich emotional zu Mouret hingezogen gefühlt haben, platzten fast vor Neid, als sich diese Liebschaft im Haus herumgesprochen hat. Eine Dame versuchte Denise mit bösen Intrigen vor Mouret bloßzustellen. Und das folgende Zitat möchte ich hier unbedingt festhalten. Sie, Henriette, arrangiert zu Hause einen Treff; sie lädt Mouret und Denise zu einer Maßänderung ihres bei ihnen kürzlich gekauften Mantels ein. Bei der Anprobe und in Anwesenheit Mourets demütigte sie Denise immerfort und stellte sie als eine absolute Versagerin hin, die nicht einmal in der Lage sei, Stecknadeln zu setzen. Die Kundin zickte richtig rum:
Henriette wollte Monsieur Mouret eine Äußerung erpressen, die das junge Mädchen verdammte; und da er, noch schwankend, stumm blieb, versetzte sie ihm mit ihren Peitschenhieben eine höchste Beleidigung.  >>Das ist ja schön, Monsieur Mouret, wenn ich mir in meinem eigenen Hause die Unverschämtheiten ihrer Geliebten gefallen lassen muss!-Einer in irgendeiner Gosse aufgelesenen Dirne!<< Zwei schwere Tränen stürzten aus Denises Augen. Sie hatte sich schon lange zurückgehalten; aber bei dieser Beschimpfung schwand ihre ganze Kraft. Als Mouret sie so weinen sah, ohne dass sie ein heftiges Wort erwidert hätte, in stummer und verzweifelter Würde, zögerte er nicht mehr, sein Herz zog ihn in unermesslicher Zärtlichkeit zu ihr. Er ergriff ihre Hände, er stammelte: >>Gehen Sie schnell fort, mein Kind, vergessen Sie dieses Haus.<< Völlig verblüfft, fast erstickt vor Zorn, betrachtete Henriette die beiden. >>Warten Sie<<  fuhr er fort, selber den Mantel zusammenlegend, >>nehmen Sie dies Kleidungsstück wieder mit. Die gnädige Frau wird sich anderswo etwas anderes kaufen. Und ich bitte Sie, weinen Sie nicht mehr. Sie wissen, wie sehr ich Sie achte.<< Er begleitete sie bis an die Tür, die er dann wieder schloss. (…)
Henriette, die vor Zorn barst, hatte ihr Taschentuch gezogen und presste es sich gegen den Mund. Alle ihre Berechnungen waren über den Haufen geworfen, sie selber war in der Falle gefangen, die sie gestellt hatte. Sie war untröstlich darüber, dass sie, von Eifersucht geplagt, zu weit gegangen war. Um einer solchen Kreatur willen verlassen zu werden! Sich vor ihr verschmäht zu sehen! Ihr Stolz litt ärger als ihre Liebe. 
Während dieser Szene habe ich mich wirklich amüsiert. Ich fand es schön, dass diese vornehme Henriette am Ende diejenige war, die gefoppt wurde. Ich weiß, dass es im wirklichen Leben kaum eine solche ausgleichende Gerechtigkeit dieser Art gibt, desto mehr genieße ich sie auf Zolas fiktive Weise.

Das Buch erhält von mir acht von zehn Punkten.

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Auch nach der schwärzesten Nacht geht immer wieder die Sonne auf.
(Agatha Christie)

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