Montag, 28. Juli 2014

Anthony McCarten / Hand aufs Herz (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Anfangs wusste ich nicht, was ich von dem Buch halten sollte. Mir kam die Idee dieses Wettkampfes ein wenig absurd vor. Ein Autohändler schreibt einen Wettbewerb aus, an dem sich vierzig Leute beteiligen können. Der Autohandel läuft schlecht und mit Hilfe des Wettbewerbs soll das Geschäft wieder angekurbelt werden, indem neue Kundschaft angeworben werden soll. Mit dem Wettbewerb will der Autohändler über die Presse die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machen. Folgende Spielregeln werden vorgegeben: Wer ein neues Auto gewinnen wollte, durfte dieses neue ausgestellte Auto mit nur einer Hand berühren und bis zur kurzen Pause nicht loslassen, sonst wird man disqualifiziert ...
 Die Vorstellung, bzw. dieses Bild vor sich zu haben, wie vierzig Hände sich am Auto festhalten, wirkt für meinen Geschmack ein wenig fad und banal.

Man könnte daraus eine Komik machen oder eine Satire ...

Doch später wurde mir klar, dass der Autor mit dieser Idee etwas ausdrücken wollte.

Zur Erinnerung gebe ich noch einmal den Klappentext rein:
Brauchen Sie ein neues Auto? Oder vielleicht gar ein neues Leben? Hier ist Ihre Chance: ein Ausdauerwettbewerb, bei dem ein glänzendes neues Auto zu gewinnen ist. Doch für zwei der vierzig Wettbewerbsteilnehmer in Anthony McCartens Roman geht es nicht ums Gewinnen, sondern ums nackte Überleben. Was anfängt wie ein Kampf jeder gegen jeden, wird zu der Geschichte eines ungewöhnlichen Miteinanders.
Natürlich habe ich die Frage verstanden, die der Autor an seine LeserInnen stellt, obwohl er sich die Antwort schon selbst gegeben hat, wie diese aus dem Kontext hervorgehen wird: Ist der Mensch zu allem bereit, wenn es darum geht, etwas materiell Kostbares zu erwerben?

Ja, die Menschen sind zu allem bereit. Sie riskieren damit sogar ihr Leben, und ihre Menschenwürde. Natürlich gibt es auch Ausnahmen ...

Ansonsten fand ich den Inhalt ganz angenehm. Die Figuren wurden psychologisch unter die Lupe genommen. Sie wurden von der Tiefe her analysiert.

Ein wenig hat mich der Autor von seinem Schreibstil her an Martin Suter erinnert. Beide bearbeiten in ihren Büchern psycho-soziale Themen, in denen sie im Mittelpunkt eine „VersagerIn“ setzen. 

Von den beiden ProtagonistInnen war mir niemand wirklich sympathisch. Weder die verwitwete Politesse Jessica mit ihrer im Rollstuhl sitzenden behinderten Tochter Natalie, obwohl sie Anerkennung verdient hätte; noch der über Nacht verarmte Tom, der zu dem einen Prozent der Gesellschaft gehört, der über einen überdurchschnittlichen IQ verfügt. Tja, was nützt einem so eine hohe Intelligenz, wenn der Mensch sie nicht wirklich zu nutzen weiß? Eigentlich gibt er mit seinem hohen IQ nur einen ganz gewöhnlichen Durchschnittsmenschen ab, der sich gerne über die anderen stellt, die er als Pöbel bezeichnet.
Was für eine Demütigung, dachte er, wenn man über Nacht zum Nichts wurde, zu einem, der nichts hatte, wo das Haben doch für ihn immer eine Selbstverständlichkeit gewesen war. (28) 
Aber keine Sorge, sowohl Jess als auch Tom durchlaufen im Laufe dieses Geschehens einen Entwicklungsprozess.

Allerdings muss ich erwähnen, dass Tom auch keine besonders schöne Kindheit hatte. Die Eltern geschieden, und die Mutter, die nicht wirklich für Ihren Sohn da war, befindet sich mittlerweile im Seniorenheim und stellt an den Sohn hohe Ansprüche:
Seine Mutter, die ihn jetzt vom Altersheim aus anrief und ihm Vernachlässigung vorwarf, war eine widerwärtige Mutter gewesen, eine selbstsüchtige Frau, seine ganze Jugend hindurch. Erst jetzt, wo sie alt und einsam war, ließ sie von sich hören. Tag für Tag rief sie ihn an, und mittlerweile nahm er die Gespräche die meiste Zeit überhaupt nicht mehr entgegen. Sein ganzes Leben lang hatte sie nur das Allernötigste als Mutter getan, jetzt tat er nur das Allernötigste als Sohn. (30)
Jessica hatte es auch nicht leicht und kämpft seit jeher mit ihrem Leben. Als Politesse geht sie einem schier undankbaren Job nach, muss täglich Beschimpfungen von falschen AutoparkerInnen hinnehmen, und wird zudem noch schlecht bezahlt. Sie ist jemand, die diese von außen auf sich wirkenden Aggressionen stoisch hinnimmt. Auch von Tom empfängt sie eine Hasstirade während des falschen Parkens. Welch ein Zufall, dass sich beide an dem Wettbewerb wieder begegnen, (lol).
Jess ist seit zwei Jahren Witwe. Ihren Mann verlor sie durch einen Autounfall, in dem die Tochter Natalie als Beifahrerin mitverwickelt war, und sie ihre Querschnittslähmung dem Unfall zu verdanken hat.

Jess und Tom lernen sich nun besser kennen und Tom versucht sie zu analysieren, durchzieht ihren Menschentyp sozusagen einer Charakteranalyse … und warnte sie vor Gesundheitsgefahren wie z:B. dass sie extrem krebsgefährdet sei durch die Unterdrückung von Aggressionen Dritter. Sie solle demnach mehr in die Offensive gehen, sich wehren, wenn Kundschaften sie beschimpfen, denn im Grunde sei sie ja ganz o. k, lol ...

... Denn Tom ist jemand, der sich gegen Angriffen anderer sehr wohl zu wehren weiß und man sieht am Ende, ob seine Taktik die weit aus Klügere ist als die von Jess ...

Jess nimmt an dem Wettbewerb teil, da sie das Auto unbedingt gewinnen möchte mit dem Ziel, ihre behinderte Tochter zur Schule zu fahren. Das Auto sei groß genug, um auch den Rollstuhl hinten einladen zu können.

Jess ist katholisch, die Mutter polnischer Herkunft. Sie hält also mit der einen Hand das Auto fest und mit der anderen Hand hält sie den Rosenkranz und betet:
Lieber Gott, wenn es wahr ist, dass es nur die gibt, die gesegnet sind, und die, die leer ausgehen, dann lass mich doch einmal, nur dies eine Mal, auf der richtigen Seite stehen … (35)
Jess wird durch die Presse berühmt und die Öffentlichkeit zeigt großes Verständnis an dem Mitwirken dieses Wettbewerbs, und nimmt mitleidig an dem Schicksal der behinderten Tochter teil. Jess tut es für ihre Tochter, die Anderen nur für sich selbst. Als Jess aus dem Rennen ausscheidet, reagiert die Öffentlichkeit mit Empörung.

Zum Schluss geht Tom als Sieger hervor, aber wie er den Sieg errungen  hat, ist dem Buch zu entnehmen.

Die Ernüchterung kam zum Schluss zwischen dem Autohändler und dem Sieger … Fand ich gut … Denn der Autohändler hat sich indirekt nicht korrekt verhalten …

Tom allerdings durchläuft eine seelische Entwicklung, wie ich oben schon angekündigt habe. Er erkennt selbst die Absurdität seiner Handlung, an dem Wettbewerb mitgewirkt zu haben:
Tom erkannte, dass er ein Idiot gewesen war, der über fünf Tage lang herumgestanden und die Hand an ein Auto gehalten hatte, war jetzt offiziell dokumentiert. Er hatte die Tür des Hühnerstalls zugezogen mehr denn je. (274)
Der Hühnerstall ist als eine psychologische Metapher zu verstehen.

Das hat mir eigentlich recht gut gefallen. Die Selbstreflektion, die ihn nicht nur zu sich selbst näher brachte …

Ein letztes Zitat, als Tom immer mehr über sich selbst erkennt:
Für einen Mann mit einem Verstand von Mensa-Qualitäten hatte er sich wirklich wie ein Dummkopf aufgeführt. Ein wirklich intelligenter Mensch geht immer davon aus, dass er auch unrecht haben kann. Unrecht! Wer klug ist, weiß um seine Fehlbarkeit und verbirgt sie nicht - das stand fest. Doch wenn man das als Maßstab nahm, wie wenige weise Menschen gab es dann auf der Welt? Ein halbes Dutzend pro Jahrhundert, das waren die, die Schlagzeilen machten. Und was den Rest angeht, die Millionen, die nicht weise waren, die konnten sich nur selbst belügen, weil sie die Kraft zum Leben aus dieser Lüge bezogen. Und damit nicht genug, verteidigen sie diese Lüge auch noch, dabei ist die Selbsttäuschung nichts weiter als die Maxime, mit der wir am besten durchs Leben kommen.
Tom erkannte seine eigene Einfalt ebenso wie die Einfalt von Millionen, in kohlschwarzen Lettern stand sie für ihn an den grauen Londoner Himmel geschrieben. Am Ende richten nicht die Lügen, die wir anderen erzählen, den größten Schaden an, sondern die Bären, die wir uns selbst aufbinden, (295f).
Diese Selbsterkenntnis fand ich toll und glich somit die Banalität aus, der man anfangs so sehr ausgesetzt war.

Nun habe ich ein paar Fakten verraten, aber in der Geschichte gibt es noch ganz viel zu entdecken. Das Verhalten der MitstreiterInnen fand ich auch interessant und die Art, wie sich Jess und Tom näher kommen, grenzte schon etwas an Hass-Liebe, wobei die Liebe am Ende überwiegt. Allerdings war ich darauf vorbereitet, da mir schon auf den ersten Seiten klar wurde, dass Jess und Tom ein Paar bilden werden und ich rechnete auch damit, dass Tom seinen Gewinn an Jess abtreten wird. Das konnte ich mir sehr schnell selbst zusammenreimen, deshalb kommt mir der Ausgang dieser Geschichte nicht überraschend vor.

Ein wenig erinnert mich der Roman auch an Jojo Moyes Buch Ganz nah und ganz fern; auch ein psychosoziales Thema und was die Beziehungsdynamik der beiden ProtagonistInnen betrifft.
______
Siehe das Gute im Menschen, dann tust du dich leichter.
 Sicherlich gibt es Dummköpfe. Aber bist du selbst immer klug?
(Tuomas Kyrö)

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