Freitag, 28. März 2014

Zsuzsa Bánk / Der Schwimmer (1)

Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Das Buch hat mir auch ganz gut gefallen. Das zweite, das ich von der Autorin gelesen habe. Ein schöner und poetischer Schreibstil, wenn auch der Stoff recht traurig und relativ heftig ist.

Zu Erinnerung noch einmal der Klappentext:
Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, dass die Welt eine andere hätte werden können. Ohne ein Wort verlässt Katalin ihre Familie und flüchtet über die Grenze in den Westen. Ihr Mann Kálmán verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit den Kindern Kata und Isti durch das Land. Während Kálmán in Schwermut ...
Kata ist die Icherzählerin dieses Romans. Sie erzählt aus der Perspektive eines kleinen Mädchen, das sie damals war, als ihre Mutter sie, ihren Bruder und den Vater ohne Abschied verließ. Ein schweres Trauma vor allem für den kleineren Bruder Isti. Und durch den Verlust der Mutter haben die Kinder auch ihre Heimat verloren. Sie waren mittellos und zogen mit dem Vater zu den Verwandten. Doch auch dort durften sie nicht bleiben, und so zogen die Kinder und der Vater immer wieder um, immer wieder zu anderen Verwandten. Ein wenig hat mich das Buch von Jeanette Walls Das Schloss aus Glas erinnert, in der auch ein schweres Kinderschicksal beschrieben wird, die ebenso von Gegend zu Gegend zogen.
Aber die Kinder versuchen, wie Lebenskünstler auch ohne Mutter weiter zu leben.

Auf den ersten Buchseiten beschreibt Kata die Mutter anhand der Fotos, die ihr geblieben waren. Ihre Mutter floh in den Westen, und die Kinder keine Vorstellung davon hatten, was Ost und West sei:
Wir fragten uns, wo der Osten aufhörte, wo unsere Mutter aus dem Zug gestiegen war und warum sie nicht den nächsten Zug zurückgenommen hatte. Wir fragten uns, warum unsere Mutter ausgerechnet mit Vali gegangen war, mit Vali, die als einzige Frau geraucht hatte, (…) Váli, die keinen Mann, keine Kinder hatte, nur einen alten Vater, der sonntags in der Kirche neben meiner Großmutter saß und lauter sang als alle anderen, der im Sommer barfuß ging, im Winter einen Mantel trug, der bis zum Boden reichte und mit dem er im Dorf seine Spuren hinterließ wie mit einem Besen. (228f)
Doch auch die Mutter hatte falsche Vorstellungen von dem Westen und nahm dadurch große Strapazen auf sich.

Die Mutter wird mit schwarzen Augen beschrieben, worunter sie als Kind sehr gelitten haben soll. Sie versuchte, damals die Augen mit Seife heller zu waschen.

Ein interessantes Bild, finde ich.

Wie die Kinder den Verlust ihrer Mutter verarbeiten, das muss man selber lesen.

Der Schwimmer? Wer ist damit gemeint? Der Vater der Kinder kümmert sich nicht sonderlich viel um sie. Er verhindert sogar, dass die Kinder für die Schule angemeldet werden. Schule sei sinnlos, würde nichts bringen, und so lernen die Kinder Lesen und Schreiben über einen Verwandten. Nicht sehr lang, da sie wieder umziehen mussten, vieles haben sich die Kinder später selbst angeeignet. Aber das Schwimmen. Das bringt ihnen der Vater bei. Vor allem Isti ist dadurch ganz dem Wasser verfallen. Wie mondsüchtig fühlt Isti sich dem Wasser magnetisch hingezogen, als er alle Schwimmkünste zu beherrschen wusste.
Unser Vater kaufte feste Schuhe für mich und eine Tasche mit zwei Schnallen für Isti, aber es kümmerte ihn nicht, ob wir etwas lernten oder nicht, wenn wir sagten, wir müssten aber, fragte er uns, für was? Selbst hier am See, wenn Àgi ihm vorwarf, er ziehe seine Kinder schlimmer auf als ein Zigeuner, jeder Zigeuner sorgt sich mehr um seine Kinder, zuckte mein Vater mit den Schultern, stieß den Stuhl weg, auf dem er seine Füße gelegt hatte, stand auf und blies Àgi Rauch ins Gesicht. Ich habe nie verstanden, warum wir nicht geblieben waren, an irgendeinem Ort, warum mein Vater nicht ein Haus bezogen, warum er keinen Garten bestellt hatte, warum er nicht, wie alle anderen, wie jeder, dem wir begegneten, den wir kannten, einfach irgendwo geblieben war und gesagt hatte, hier leben wir. Das einzige Gefühl, das mich in diesen Zeiten nicht verließ, ganz gleich, was mit uns geschah oder wo und bei wem wir waren, war meine Angst um Isti. Sie war wie eine Sicherheit, diese Angst, wie etwas, das nicht verloren gehen konnte, vielleicht, weil es sonst nichts gab, das mir sicher war, nichts, von dem ich wusste, sie gehört zu mir und wird bleiben. Seit dem Herbst, in dem meine Mutter in einen Zug gestiegen war, seit mein Bruder Stunden und Tage damit verbrachte, auf dem Bett zu liegen und zu dämmern, seit er angefangen hatte, Dinge ohne Ton zu hören, hatte ich Angst um ihn, und ich wurde diese Angst nicht mehr los. (132f)
Die Angst um ihren kleineren Bruder war berechtigt, wie sich am Ende des Romans zeigte.

Ich hatte gesagt, die Autorin hat einen schönen, literarischen und poetischen Schreibstil, so schreibe ich folgendes Zitat heraus, weil mir das Bild so sehr gefallen hat:
Der Wind blies und pfiff auch die nächsten Tage, zerrte an den Läden, peitschte den Regen gegen die Fenster, und Virág sagte, ohne Blätter sehen die Bäume aus wie Besen, als könne man den Himmel mit ihnen kehren. (142)
Das Buch zeigt viele Menschenschicksale, nicht nur das der Kinder, sondern auch der Erwachsenen, die durch die verschiedenen Kriege geprägt und gebeutelt waren. Diese Ereignisse konnte eine ganze Nation verändern, von denen selbst die Kinder geprägt wurden, obwohl sie keinen Krieg erlebt hatten, aber die Auswirkungen der Erwachsenen unbewusst deutlich zu spüren bekamen. Belastende, traumatische Ereignisse, die nicht ausreichend bearbeitet wurden, weil sie zu schmerzhaft waren, sich psychogenetisch auf die Kinder der Nachkriegsgeneration abfärbte.

Ich setze hier meinen Punkt. Das Buch ist sehr lesenswert und es erhält von mir zehn von zehn Punkten.

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In der Musik spricht man mit Gott
(Erik Fosnes Hansen)

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