Samstag, 28. September 2013

Fjodor Dostojewski / Die Sanfte (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre

Der Ich-Erzähler dieses Buches ist mir eine recht unsympathische Person. Merkwürdige Vorstellungen von Liebe machen sich breit. Er heiratet ein junges Mädchen von gerade mal sechzehn Jahren. Das Mädchen ist mittellos, hat nicht einmal Geld für die Aussteuer. Von Beruf ist der Erzähler Pfandleiher und ist recht knauserig seiner jungen Frau gegenüber. Er denkt groß ans Sparen und verweigert jegliche kulturelle Aktivitäten. Attraktiv ist das nicht für die jugendliche Frau. Schließlich gibt der Pfandleiher nach und erlaubt einmal im Monat einen gemeinsamen Theaterbesuch.
Er spricht recht wenig, seine Sprache ist eigentlich eher das Schweigen. Und je mehr das Paar frustriert wird, desto mehr wird geschwiegen. Das Mädchen wird immer unglücklicher. Er versucht sie zu unterwerfen. Unter Liebe versteht der Pfandleiher die Unterwerfung durch die Frau... .

Die sanfte Frau, die eigentlich noch ein halbes Kind ist... versucht dieser Starre ihres Mannes zu entrinnen und hält ihm eines frühen Morgens, als dieser noch schlief, die Pistole an die Schläfe. Aber sie knallt ihn nicht ab als er durch das metallene Ding wach wird. Er reagiert nicht und stellt sich schlafend... .
Über diese Szene wird auch nicht geredet, sondern durchweg hinweggeschwiegen und nur durch symbolische Zeichen gibt er ihr zu verstehen, dass er sehr wohl die Pistole an der Schläfe gespürt habe, die seine Frau auch verstand. Sie hoffte erst, er hätte diese Bedrohung nicht mitbekommen.

Zu Beginn der Erzählung erfährt man schon auf den ersten Seiten, dass seine junge Frau sich das Leben genommen hat. Der Mann ist fassungslos und betrachtet sein Leben und das Leben seiner Frau aus der Retrospektive. Ein wenig zynisch und selbstkritisch geht er mit sich ins Gericht und seine Deutungen zu seiner Persönlichkeit fand ich recht passend. Ein Typ Mensch, der sich zwar nach Liebe sehnt, aber gar nicht weiß, was Liebe ist. Sucht er einen Freund? Ein Kind? Eine Geliebte? Oder eine Frau? Warum eine so junge? Will er sie zähmen? Was will er? Das sind Fragen, die sich mir in der kurzen Erzählung stellten... .
Jedenfalls glaubte ich, als ich sie in mein Haus führte, in ihr einen Freund gewonnen zu haben. Einen Freund brauchte ich aber notwendiger als irgendetwas. Zugleich wusste ich schon damals, dass ich mir diesen Freund erst vorbereiten, erziehen und sogar besiegen müsse. Hätte ich denn dieser Sechzehnjährigen, die noch alle Vorurteile ihres Alters hatte, überhaupt etwas erklären können? Wie hätte ich sie zum Beispiel ohne die zufällige Hilfe der Katastrophe mit dem Revolver überzeugen können, dass ich kein Feigling bin und dass das gegen mich ergangene Urteil der Regimentskameraden ungerecht war? Indem ich dem gegen mich gerichteten Revolver standhielt, rächte ich meine ganze finstere Vergangenheit, und wenn es auch kein anderer Mensch erfuhr, so erfuhr es doch sie. Das bedeutete für mich alles, denn sie selbst war mein alles, die ganze Hoffnung meiner Zukunft! Sie war der einzige Mensch, den ich an meiner Seite haben wollte. Ich wollte sie mir zu einem Freund erziehen, und eines anderen Menschen bedurfte ich nicht. (54f)
Aus der Textstelle geht sehr deutlich hervor, dass der Mann ein recht einsamer Mensch ist mit merkwürdigen Vorstellungen, was die Betrachtung eines Freundes betrifft. Erst als seine Frau sich ihm schließlich unterwarf, überschwemmte er sie mit Zärtlichkeiten und Küssen... .

Dieser Typ Mensch ist nichts anderes als selbstsüchtig, regelrecht egoman. Beobachtet sehr genau das Verhalten seiner Frau, das ganz nach ihm gerichtet sein sollte. Er hört sie zum ersten Mal singen, was ihn regelrecht irritiert, da er es nicht gewohnt ist, sie singen zu hören:
Man wird wohl über meine Aufregung lachen, doch niemand wird sie begreifen können, warum mich diese Aufregung überkam! Nein, es war noch kein Mitleid mit ihr, es war etwas ganz anderes. Zuerst, wenigstens in den ersten Minuten, stand ich dieser neuen Tatsache ganz verständnislos gegenüber. Ich war erstaunt und bestürzt, es war ein unheimliches, seltsames und krankhaftes Gefühl, beinahe etwas wie Rachsucht, das sich in mir regte: >Sie singt und dazu noch in meiner Gegenwart! Hat sie mich etwa vergessen?< (60)
Mir hat erst im Nachhinein das Buch gut gefallen. Zuvor konnte ich nicht richtig warm werden mit der Erzählung, oder viel mehr mit der Persönlichkeit des Erzähler, von dem ich nicht einmal den Namen kenne. Nun bin ich aber froh, sie doch gelesen zu haben. Ein dünnes Büchlein, recht ungewöhlich für einen Dostojewski... .
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Der Mensch ist erst dann verloren, wenn er sich selbst aufgibt.
(Erich Maria Remarque)

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