Samstag, 10. August 2013

Leo Tolstoi / Die Kreutzersonate



















Klappentext
Auf einer nächtlichen Bahnreise durch das winterliche Russland entspinnt sich zwischen wechselnden Fahrgästen ein Gespräch über Liebe, Ehe, Moral und Gesellschaft. Gegen Ende erzählt der ehemalige Gutsbesitzer Posdnyschew einem Mitreisenden vom tragischen Verlauf seiner Ehe und legt ein erschütterndes Geständnis ab: Zunehmend enttäuscht und von unbegründeter Eifersucht zerfressen hat er seiner Frau das Leben genommen. Meisterhaft setzt Leo Tolstoi die authentische Geschichte in Literatur um und entfaltet subtil das innere Drama seiner Figuren. Zugleich ist dieses bedeutende Alterswerk Ausdruck der eigenen sozialkritischen und moralischen Positionen. 

Autorenportrait
Leo Tolstoi wurde 1828 in Jasnaja Poljana als Sohn eines Grafen und Großgrundbesitzers geboren. 1847 brach er sein Studium ab, um sich um die Verwaltung des elterlichen Gutes zu kümmern. Durch Landreformen versuchte er die Situation der Leibeigenen zu verbessern. Nach Militärdienst und diversen Reisen durch Europa zog er sich schließlich nach Jasnaja Poljana zurück, wo er seine großen Romane schrieb. Tolstois lebenslange Suche nach der geeigneten Lebensform kulminierte 1910 darin, daß er seine Frau verließ, da diese nicht bereit war, sich von den gemeinsamen Besitztümern zu trennen. Er starb kurze Zeit darauf an einer Lungenentzündung.
Von Tolstoi habe ich gelesen:
Der Tod von Iwan Iljitsch
Kindheit und Jugend      
Anna Kararina vor mehr als zwanzig Jahren

Aus meinem Blog musste ich einige Titel russischer Autoren löschen, da ich mir ein Schadprogramm eingefangen hatte.
Aus diesem Grunde habe ich hier auf dieser Seite sowohl die Buchvorstellung als auch die Buchbesprechung stehen. Die separate Buchvorstellung musste ich wieder löschen.


Buchbesprechung

Das Buch hat mir recht gut gefallen. Ich bewerte sie als eine Erzählung, stand zwar im Buchband nicht dabei, liest sich aber aus dem Kontext heraus. Und nicht nur das. Die Erzählung hatte einen dramatischen Hintergrund. Kann demnach zusätlich auch als Drama durchgehen.

Was typisch für Leo Tolstoi ist, er macht sich viele, viele Gedanken zur Ehe, darüber, ob die Ehe etwas taugt, macht sich jede Menge Gedanken über die Liebe, über das gesellschaftliche Verhalten dazu, s. Klappentext oben.

Ich schreibe mir die wichtigsten Szenen heraus. Im Zug treffen ein paar Fahrgäste zueinander und sie dadurch ins Gespräch kommen. Man nimmt an der Konversation über die Liebe teil. In diesem Abschnitt erlebe ich die Liebe in idealisierter Form. Ein weiblicher Fahrgast ist z.B. der Meinung, dass nur die Liebe die Ehe heiligen würde. Das klingt recht nett, doch man stellt sich automatisch die Frage, was sie unter Liebe versteht?
Die wahre Liebe... Ist diese Liebe zwischen Mann und Frau, dann ist auch die Ehe möglich. 
Die wahre Ehe nur die ist, die von der Liebe geheiligt wird. (13)
Interessant finde ich die These, wenn auch sie nicht ganz neu für mich ist, dass viele Männer sich von Äußerlichkeiten blenden lassen. Kann daraus denn wahre Liebe entstehen, die eher körperorientiert ist und der Mann sich einbildet, dass er die Frau lieben würde?
Merkwürdig, wie vollkommen die Täuschung ist, dass das Schöne und das Gute ist. Eine schöne Frau mag Dummheiten schwatzen, wir lauschen ihr und hören nichts Dummes, hören sogar Gescheites heraus. Sie spricht, sie macht hässliche Dinge, und wir sehen etwas Anmutiges darin. Spricht sie aber weder Dummes noch Hässliches und ist sie schön, gleich bilden wir uns ein, sie sei Wunder wie gescheit und tugendhaft. (27)
Die Frauen spüren jene Erwartungen der Männer und reagieren darauf:
Ihr wollt, wir sollen nur Gegenstand der Sinnlichkeit sein? Gut, wir sind ein Gegenstand der Sinnlichkeit und machen euch zu Sklaven. (35)
Ich finde schon, dass Tolstoi sehr kritisch mit dem eigenen Geschlecht umgeht. Wer kann das schon? Wer schafft es schon, sich ein paar Meter von sich selbst zu entfernen und Gedanken so objektiv zu äußern, als wäre man  davon gar nicht betroffen:
Gehen Sie alle Fabriken durch. Ein ungeheurer Teil von ihnen fertigt unnützen Schmuck, Möbel, Equipagen, Spielereien für die Frauen. Millionen von Menschen, Geschlechter von Sklaven gehen zu Grunde in dieser Galeerenarbeit der Fabriken, nur um die Launen der Weiber zu befriedigen. Wie Fürstinnen auf dem Throne halten die Frauen neun Zehntel des Menschengeschlechts in den Fesseln der Knechtschaft und schwerer Arbeit. Und alles nur, weil man sie erniedrigt hat, weil man ihnen die Gleichberechtigung mit den Männern genommen hat. Und dafür rächen sie sich, indem sie auf unsere Sinnlichkeit einwirken und uns in ihren Nutzen zu fangen suchen. (36)
Ich wusste gar nicht, dass die Frau jemals gleichberechtigt zum Manne stand.

Manchmal triften die Gedanken darüber, was wahre Liebe ist, stark ins Philosophische. Gedanken darüber, ob es sich lohne, das Menschengeschlecht aufrecht zu erhalten, bzw. es weiter fortleben zu lassen, sind auch oft Inhalt der Gespräche. Stark pessimistische Figuren sehen darin keinen Sinn.
" Warum muss es denn fortleben, das Menschengeschlecht?"
" Wie, warum? Dann wären wir doch nicht."
" Warum müssen wir denn sein?"
" Wie, warum? Nun, damit wir leben."
" Und warum leben? Wenn wir kein Ziel haben, wenn uns das Leben ward um des Lebens willen, so ist kein Grund da zum Leben." (42)
Aus meiner Sicht ist der Mensch da, um Erfahrungen zu machen. Und die Erfahrungen sind es, die zur Weiterentwicklung führen.

Der Protagonist der Erzählung ist der ehemalige Gutsbesitzer Posdynschew, der über ein sehr negatives Weltbild verfügt. Auch emotional scheint er recht unreif zu sein, aber auch dieser bekennt sich später zu seinen Handlung mit seiner Frau. Lernt aus seinen Handlungen... .

Kaum waren sie verheiratet, geriet die Frau in eine Depression, da die Ehe etwas Endgültiges dargestellt. Sich bewusst zu werden, dass man sich auf einen Mann für den Rest des Lebens festgelegt hat, kann einen mürbe machen. Wer kann schon sicher sein, dass dies gelingt? Normen und Gesetze diktieren den Menschen Regeln auf.
Was das Widerwärtigste an der Sache ist, (…) ist, dass man in der Theorie annimmt, die Liebe sei etwas Ideales, Erhabenes; in Wirklichkeit ist die Liebe etwas Gemeines, Schweiniches; von ihr zu reden, an sie zu denken ist eine Gemeinheit und eine Schande. Nicht umsonst hat die Natur es so eingerichtet, dass es gemein und hässlich ist. Weckt die Liebe aber Abscheu und Scham, so muss man sie auch so auffassen. Indessen reden sich die Menschen ein, dass das Hässliche und Unsaubere - schön und erhaben ist. (49)
Dadurch, dass der Mensch zu sehr mit Alltagspflichten behaftet ist, so habe er keine Chance, sich wirklich mit seinem eigenen Ich auseinanderzusetzen.
Wir leben in der Stadt. In der Stadt kann der Mensch hundert Jahre leben und merkt es gar nicht, dass er längst tot und verfault ist. Man hat gar keine Zeit, sich mit seinem Ich auseinanderzusetzenn -immer ist man beschäftigt. Geschäfte, geselliger Verkehr, die Gesundheit, die Künste, die Gesundheit der Kinder, ihre Erziehung. Bald muss man diesen und jenen empfangen, bald diesen und jenen besuchen; bald muss man diese sehen oder diese oder jene hören. (69)
Worauf sich in der Erzählung das Dramatische bezieht, möchte ich nicht verraten. Auf den ersten achtzig Seiten, das Büchelchen hat gerade mal 143 Seiten, wunderte ich mich noch immer über den Titel. Erst später lernt man einen Geiger kennen, der Bekanntschaft mit Posdynschews Frau macht, die selbst auch Musikerin ist, und beide eine musikalische Beziehung zu einander entwickeln, zu der Posdynschew recht eifersüchtig reagiert. Eigentlich hat mir die Erzählung erst ab hier gefallen. Das davor war mir zu intellektuell und über die Liebe zu reden empfinde ich als recht mühsam, da jeder eine andere Vorstellung davon hat. Ich bin sicher, dass es eine Liebe gibt, tief im Inneren, die frei von Zwängen ist, und die bei allen gleich ist. Diese aber kann man mit Worten nicht ausschmücken, man würde sie zerreden, aber man muss sich dort hin entwickeln können, sonst bleibt diese Form von Liebe verschüttet.
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Wir lernen auf Erden eine Menge Menschen kennen, aber am wenigsten uns selber!
(Erwin Strittmatter)

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