Samstag, 1. Juni 2013

Steve Tesich / Der letzte Sommer (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Das Buch hat mir sehr gut gefallen und ich gebe ihm zehn von zehn Punkten. Die Charktere der Literaturfiguren sind psychologisch fundiert und gut getroffen. Der Ausdrucksstil ist spitz und sehr fantasievoll.

Der Roman spielt im Jahre 1961 in Indiana, in East Chicago. Der Protagonist nennt sich Daniel Price, wobei Price eher eine Metapher ist, die ich nicht verraten möchte. Daniel Price ist 17 Jahre alt und steht zusammen mit seinen beiden Freunden Billy Freund und Larry Misiora vor dem High - Scool Abschluss. Auf die Beziehung dieser drei Jugendliche gehe ich nicht im Besonderen ein, ist aber auch bemerkenswert...

Auf den ersten Seiten bin ich über das Musikinstrument der Geige gestolpert. Die Geige sei der Aristokrat unter den Musikinstrumenten. Irgendwie ist da was dran. Der Vergleich hat mir zumindest gut gefallen. Mit Musik hat das Buch ansonsten wenig zu tun... . East Chicago ist eher eine Arbeitergegend, in der es viele Fabriken gibt... . Daniels Vater ist Fabrikarbeiter, die Mutter Reinemachefrau... .

Die Mutter ist Einwanderin und kommt aus Jugoslawien, ist serbisch orthodox, und spricht gebrochen amerikanisch... . Sie mag keine Katholiken und auch keine Deutschen. Sie befragt ihren Sohn, ob er schon eine Freundin habe, und hofft, dass sie keine Deutsche sei. Daniel negiert ihre Frage. Daraufhin die freudige Reaktion der Mutter:
Ah gut. Du bist schlauer Junge. Gott im Himmel, der hat großes Herz. Er liebt alle Leute... Er liebt sogar Katholiken und Deutsche. Deshalb brauche ich sie nicht zu lieben.
Natürlich gefällt mir dieses Pauschalurteil nicht, aber ihre Antwort ist recht originell. Am Ende des Buches erfährt man schließlich den Grund ihrer Abneigung den Deutschen gegenüber. Sie habe im zweiten Weltkrieg alle Brüder im Kampf gegen die Deutschen verloren... . Mir selbst ist jemand bekannt, der alle Franzosen verhasst sind, da ihr Großvater in eines der beiden Weltkriege, welchen Weltkrieg, den habe ich mir nicht genau gemerkt, in Frankreich gekidnappt und dort hingerichtet wurde.

Daniel Price und seine beiden Freunde gehen in die selbe Abschlussklasse und bekommen von der Lehrerin die Aufgabe, ein Gedicht zu verfassen, da in jedem Menschen ein Dichter wohnen würde. Sein Freund Billy scheibt ein Gedicht darüber, dass jeder Mensch eine Insel sei. Price gefällt das Gedicht, merkt sich aber nur eine Zeile und geht damit zu seiner erst kürzlich kennengelernten Freundin Rachel. Er erzählt ihr von der Hausaufgabe mit dem Gedicht und Rachel will natürlich wissen, was er für ein Gedicht geschrieben habe und antwortet ihr, dass er die Verse wieder vergessen habe und erzählte ihr, dass der Mensch eine Insel sei... .

Daniel Price hat endlich eine Freundin und wünscht sich Sex mit ihr. Noch ist er Jungfrau... . Er macht die Erfahrung, dass es nicht ausreicht, ein Mädchen zu lieben, nein, und dass die Art von Liebe Gegenliebe verlangt. Wenn Daniel mit Rachel zusammen ist, gebraucht er ständig den Begriff Liebe und will immer wieder bestätigt haben, dass Rachel ihn auch liebt. Rachel spricht nicht gerne über Liebe und gibt ihm zu verstehen, dass er zu oft den Begriff gebrauchen würde und ob er nicht spüren könne, wenn er geliebt werde... . In der Tat wirkt der Begriff Liebe ein wenig inflationär, obwohl Daniel es ernst mit ihr meint... . Doch Daniel ist mit seinen 17 Jahren noch recht unerfahren und meint zu glauben, dass die wahre Liebe darin bestehen würde, unaufhörlich und immer aufs Neue über die Liebe sprechen zu müssen... .Rachel wirkt reifer als Daniel. Sie weiß, dass Liebe sich verändern kann... . Wahrscheinlich ist Rachel geprägt durch ihre geschiedenen Eltern... . Doch auch Daniel kommt nicht aus einem harmonischen Elternhaus.

Daniels Vater hat Krebs. Diesen Schicksalsschlag kann er nun gar nicht gebrauchen, zu sehr ist er mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Die Krankenhausbehandlungen sind recht teuer, die Krankenversicherung für Arbeitnehmer greift nur begrenzt. Die Mutter, die über ein Ersparnis von knapp zehntausend Dollar verfügt, berät sich mit ihrem Sohn, wie sie sich verhalten solle, zumal der Vater entschlossen war, zu Hause sterben zu wollen. Die Krebserkrankung sei sehr fortgeschritten, eine Heilung sei nach Angaben der Ärzte ausgeschlossen. Wenn keine Heilungsaussichten mehr bestehen, dann sieht die Mutter nicht ein, die stationäre Behandlung fortzusetzen und sie damit unnötige Kosten weiter auf sich nimmt. "Keine Hoffnung ist sehr teuer in Amerika, Daniel, was sollen wir tun?" Daniel möchte seinen Vater nicht zu Hause haben. Am liebsten hätte er der Mutter geantwortet, sie solle das Geld ausgeben und den Vater von ihm fernhalten. Er hat Angst, der Vater könne ihn mit der Krankheit anstecken, oder ihn gar mit der Problematik belasten. In Gedanken, weit in die Zukunft gereicht, liebte Daniel seinen Vater dafür, dass er gestorben ist.

Daniel ist ein Träumer. Verwandelt die Realität in eine Wunschvorstellung. Selbst nachts in seinen Träumen versucht er Menschen, und ganz besonders seine Freundin, mit seinen Suchtideen psychologisch zu manipulieren:
Ich schlief und träumte, dass Wörter, die ich hinschrieb, das Blatt Papier verließen, und in die Herzen von Menschen, die ich kannte, eindrangen. Das Wort >anbeten< flog von der Seite direkt in Rachels Herz.
Desweiteren ist er zu sehr eingenommen was die Vorstellung von Liebe betrifft. Verhält sich Rachel gegenüber recht besitzergreifend, glaubt zu wissen, wie ein Liebespaar sich zueinander zu verhalten habe. Nervend ist, dass er immer wieder versucht, in Rachel einzudringen, sie auszufragen, was sie über ihn denken und wie sehr sie ihn lieben würde. Ein Paar, das sich wahrhaftig lieben würde, so Daniel, täten verrückte Dinge und sie würden alles voneinander wissen, und pflegten auch keine Geheimnisse, doch Rachel erwidert dazu, dass Menschen, die sich lieben, tatsächlich verrückte Dinge tun würden, "aber das Einzige, was sie nicht tun, ist, sich alles zu sagen."

Dass Daniel ständig nach Liebesbeweisen aus ist, ist sicher auch auf das Verhalten seines Vaters zurückzuführen. Der Vater, der von seiner Familie geliebt werden will, ist nicht in der Lage, seinem Sohn die Liebe zu geben, die ein Kind braucht, um gesund aufzuwachsen. Hier werden die Rollen vertauscht. Vater sucht beim Sohn Liebesbesteuerungen, Sohn versucht sie ihm zu geben, gelingt ihm aber nicht, ist überfordert. Eigentlich ist es die Aufgabe des Vaters, dem Sohn Liebe zu zeigen, nicht nur, weil er der Vater ist, nein, sondern auch weil er der Ältere und der Reifere ist. Der Vater als eine Vorbildfunktion versagt hier vollkommen. Er traktiert stattdessen den Sohn mit üblen Vorwürfen und leisen Beschimpfungen über die mangelnde Sohnesliebe. Er quält seinen Sohn mit üblen psychologischen Manipulationen, ähnlich macht Daniel dies mit Rachel. Er manipuliert sie auch permanent. Beide, sowohl Vater als auch Sohn, tun dies völlig unbewusst, um zu erfahren, wie sehr sie geliebt sind. Der Vater vom Sohn, der Sohn von seiner Freundin.

Was ist denn Rachel für ein Typ Mensch? Sie ist ein verspieltes aber auch ein verschlossenes Mädchen. Je mehr Daniel versucht in sie einzudringen, desto weniger gibt sie ihre Gefühle preis... . Sie erzählt Daniel von einem Freund, der ihr ein Päckchen schenkte. Es war ein Geschenk, das sie nie geöffnet hatte. Und dadurch, das sie das Päckchen geschlossen hielt, war es für sie das schönste Geschenk in ihrem ganzen Leben. Rachel liebt Überraschungen und hütet sie so, als dürften diese mit der Wirklichkeit nicht in Berührung kommen, vielleicht um nicht desillusioniert zu werden. Diese Szene fand ich auch recht originell.
Rachel pflegt eine enge Beziehung zu ihrem Vater, zu eng, so dass für Daniel kein Platz ist, kommt sich in dieser Vater-Tochter Beziehung wie ein Eindringling vor.

Beide, sowohl Daniel, als auch Rachel haben an ihren Vätern zu knabbern. Der eine liebt zu stark, der andere ist zu abweisend... . Am Ende des Buches erfährt man eine Überrraschung aus Rachels Familie... .

Daniels Mutter spürt den Liebeskummer ihres Sohnes und konfrontiert ihn mit folgender Ansicht:
Wenn man zu sehr liebt, wenn der Mann nichts liebt als die Frau, nicht mal Gott, nicht mal sich selbst, nicht mal seine Seele, wenn der Mann nur die Frau liebt, legt er Ziegelsteine aufeinander, jeden Tag legt er Ziegelsteine aufeinander mit seiner Liebe, jeden Tag bringt er wieder einen Ziegelstein, und jeden Tag sieht die Frau, dass der Mann eine Mauer um sie baut, ein Gefängnis, um sie zu beschützen und zu behalten. So sehr lieben, das ist, wenn er sie tot macht. (…) Und also die Frau, sie bricht aus dem Gefängnis aus. Sie ist nicht tot. Sie lebt. Also rennt sie zu einem anderen Mann, zu einem Haus, wo sie wieder eine Frau sein kann. Ja Daniel. Ich bin eine Mutter. Ich bin eine Ehefrau. Aber immer bin ich eine Frau. Es ist etwas, was Gott mir gegeben hat, und es ist etwas, was ein Mann lieben kann, aber nie fort nehmen kann.(386)
Daniels Mutter ist schon ein Original, ein Unikat, das man nur mit sich selbst vergleichen kann. Das ist positiv gemeint. Sie taugt nicht nur als Mutter besonderer Art...

Sie führt gegenüber ihrem Mann mit viel Weisheit die Sterbebegleitung durch. Eine besonders glückliche Ehe habe sie zwar nicht geführt, dennoch ist sie frei von Hass und Hader dem Mann gegenüber, dadurch, da sie in der Lage ist, ihr vergangenes Leben mit ihm so anzunehmen und zu akzeptieren wie es war... .

Als sie und ihr Sohn sein Grab aufsuchen und es pflegen, ist sie empört über die vielen ungepflegten Gräber, ausgefüllt mit Wucherpflanzen und Unkraut. Sie macht sich auf zusammen mit ihrem Sohn und ihren vielen serbischen Freundinnen das Unkraut auf diesen Gräbern zu rupfen... .

Ich beende nun meine Aufzeichnung und habe mir die für mich wichtigsten und originellsten Szenen notiert. Viele andere bedeutende Szenen musste ich im Buch zurücklassen, um nicht zu viel vom Inhalt vorwegzunehmen.


Mein Fazit: 

Unter dem Buchtitel Der letzte Sommer hatte ich mir erst etwas ganz anderes vorgestellt...  Insgesamt hat das Buch meine ganze Neugier gefasst, so dass der Autor an mir eine neue Leserin gewonnen hat, und halte Ausschau nach weiteren Büchern von ihm.

Mich hat das Buch sehr stark an Elfriede Jelineks Werk Die Klavierspielerin erinnert. Auch dieses Buch kann ich sehr empfehlen. Allerdings ist Jelineks Buch um einiges härter was Inhalt und Handlungen der Personen betreffen.




Das Buch wurde verfilmt, und hier die DVD



Und hier ein Filmausschnitt zur DVD




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Im Herzen der Menschen gibt es leere Orte,
und in sie dringt das Leid ein,
damit sie fühlbar zu existieren beginnen.
                      Léon Loy
(Steve Tesich)


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