Sonntag, 12. Mai 2013

Helene Hanff / 84, Charing Cross Road (1)

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Eine Buchbesprechung zur o. g. Lektüre


Dieses kleine Büchelchen von gerade mal 158 Seiten hatte ich in ca. drei Stunden durch und es enthält dennoch recht viel Fülle und Inhalt. Interessant fand ich zu lesen, dass Helene Hanff als eine absolute Buchliebhaberin keine Romane gelesen hatte, bis sie schließlich Jane Austen entdeckt hatte, von der sie mehr als begeistert war.
Sie lebte in einer recht kleinen Wohnung, bewohnte wohl eher ein Zimmer, besaß nur drei Bücherregale, und Bücher, die für sie keinen geistigen Wert besaßen, schmiss sie fort und stößt dabei auf Missmut bei anderen LeserInnen ihres Bekanntenkreises:
Ich besitze nur drei Bücherregale und nur noch sehr wenige Bücher, die ich wegwerfen kann. Jedes Jahr im Frühjahr mache ich Bücher-Großputz und werfe die hinaus, die ich nie wieder lesen werde, so wie ich alte Kleider, die ich nie wieder tragen werde, wegwerfe. Alle Welt ist darüber schockiert. Meine Freunde sind komisch mit Büchern. Sie lesen alle Bestseller, und das so schnell wie möglich, ich glaube, sie überspringen viel. Und sie lesen nie etwas zweimal, weshalb sie sich ein Jahr später an kein einziges Wort mehr erinnern können. Aber sie sind tief schockiert, wenn ich ein Buch in den Papierkorb werfe oder es fort gebe. Wie sie mich dabei ansehen: man kauft ein Buch, man liest es, man stellt es ins Regal, man öffnet es nie wieder im ganzen Leben, aber man wirft es nicht weg! Nicht, wenn es ein gebundenes Buch ist! Warum nicht? Ich für meine Person kann mir nichts weniger heiliges vorstellen als ein schlechtes oder auch ein mittelmäßiges Buch. (87f)
Helene Hanff schrieb auch in Büchern rein, die aus der Bibliothek geliehen waren... . Die Frau hatte echt Selbstbewusstsein. Die freundschaftliche Beziehung zu dem englischen Buchhändler und Antiquar Frank Doel fand ich recht spannend, zeugte von gegenseitiger hoher Achtung und Respekt... . Eine Freundschaft, die zwischen New-York und England keine Entfernung kennt...
 Helene Hanff berichtet in einem Brief von dem Dilemma der ausgeliehenen Bibliotheks - Bücher, wenn ihr die Zeit zu lange wird, bis die bestellten Bücher aus England eintreffen:
Sie lassen mich hier sitzen und lange Randbemerkungen in Bibliotheksbücher schreiben, die mir nicht gehören. Eines Tages wird das herauskommen, und sie werden mir den Bibliotheksausweis wegnehmen. (19)
Auf der selben Seite bittet Helene Hanff um Bücher von Dichtern, die Liebe machen können. Fand ich originell ausgedrückt, obwohl es auf den zweiten Blick eher ein gewöhnlicher Gedanke ist.

Helene Hanff würde sehr gut in das Zeitalter des Internets passen:
Bitte schicken Sie mir auch die "Oxford Gedichte". Kümmern Sie sich niemals darum, ob ich etwas bereits aufgetrieben haben könnte. Ich sehe mich nirgendwo anders mehr um. Warum soll ich den ganzen Weg bis zur 17. th Street hinunter laufen, um schmutzige, schlecht gemachte Bücher zu kaufen, wo ich bei Ihnen saubere, schöne Exemplare kaufen kann, ohne mich von meiner Schreibmaschine fortzubewegen? Von meinem Stuhl aus ist mir London viel näher als die 17. th Street. (28)
Helena Hanff kauft nur gebrauchte Bücher. Neue kommen für sie nicht in Frage. Je mehr Gebrauchsspuren ein Buch aufweist, desto mehr Leben strahlt es für sie aus.
Ich liebe Widmungen auf dem Vorsatz und Randnotizen; ich mag das Gefühl von Verbundenheit, das entsteht, wenn ich Seiten umschlage, die jemand vor mir bereits umblätterte, und Abschnitte lese, auf die jemand, der schon lange nicht mehr lebt, meine Aufmerksamkeit gelenkt hat. (48)
Ich selbst achte immer darauf, und dies ganz besonders bei den Taschenbüchern, dass ich sie beim Lesen nicht zu sehr knicke, denn ich bekomme dabei das Gefühl, Ihnen das Rückgrat zu brechen. Helene Hanff scheint dies gar nicht stören, und so hat jeder seine Art, wie er seine Bücher kultiviert.

Helene Hanff zeigt sich den Engländern gegenüber recht großzügig, schickt jede Menge Fresspackete, was ich so sehr sympatisch fand. In England waren die Lebensmittel zu der Zeit noch immer stark rationiert. Man schreibt das Jahr 1951 und die Engländer leiden noch immer unter der Nachwirkung des Zweiten Weltkrieges. Wer kann das schon, so natürlich großzügig zu sein? In der Regel gibt man immer schnell zurück, was man bekommen hatte. Helene Hanff konnte würdevoll geben, während die Engländer würdevoll nehmen konnten.
Ich schicke Ihnen Grüße aus Amerika - das ein treuloser Freund ist, der Millionen ausgibt, um Japan und Deutschland wieder aufzubauen, während er England verhungern lässt. Eines Tages, so Gott will, werde ich herüber kommen und mich persönlich für die Sünden meines Landes entschuldigen (und wenn ich nach Hause komme, wird sich mein Land sicher für die meinen zu entschuldigen haben). (49)
Interessant zu lesen, dass es Amerika für den Wiederaufbau Deutschlands zu verdanken war.

Sie entdeckt in der Bücherei New-Yorks Jane Austen und ist, wie oben schon gesagt, völlig hingerissen von dem Buch. Schmunzeln musste ich darüber, dass sie der Bibliothek das Buch so lange vorenthält, bis ihr ein Exemplar aus England zugekommen ist:
Es wird Sie begeistern zu erfahren, (von mir, die ich Romane hasse!),dass ich mich endlich an Jane Austen gemacht habe und über Stolz und Vorurteil ganz aus dem Häuschen geraten bin, über ein Buch, das ich nicht zur Bücherei zurückbringen kann, ehe Sie ein Exemplar für mich aufgetrieben haben. (82)
Humor hatte Helene Hanff auch jede Menge. Mehrmals wurde sie von Frank Doel auf einen Besuch nach England eingeladen. Es kam wiederholt nicht dazu, und diesmal da ihre Zähne saniert werden mussten, die mit einem hohen Kostenaufwand verbunden waren. Zu der Zeit, 1952, sollte die englische Königin Elisabeth II gethront werden. Dazu Helene Hanff:
Habe ich Ihnen erzählt, dass (mein Zahnarzt) mir letztes Frühjahr sagte, ich müsse alle meine Zähne überkronen oder ziehen lassen? Ich entschied mich für die Kronen, da ich mich an Zähne gewöhnt habe. Aber die Kosten sind einfach astronomisch. Deshalb wird Elisabeth den Thron ohne mich besteigen müssen. Zähne sind das einzige, was ich in den nächsten Jahren gekrönt sehen werde. (88)
Es ist nie zu der Reise nach England gekommen. Sie fand immer ein Hindernis, weshalb es shcließlich nicht zu der Reise kam. Als man in England versuchte sich von Helene Hanff ein Bild zu machen, boykottierte sie. Man sah eine junge, talentierte Akademikerin vor sich, mit gestylten Klamotten, so machte sie das Bild zunichte, indem sie schriftlich ein gegenteiliges Bild von sich gab, das absolut nicht diesen Vorstellungen entsprach. Schlechte Kleidung, schlichte Frisur, eine gewöhnliche Frau ohne akademische Ausbildung. Im Nachwort entnimmt man folgendes:
Jahr für Jahr werden Reisepläne geschmiedet, und mit gleicher Regelmäßigkeit tun sich Hindernisse auf, die die Verwirklichung des Traums vereiteln. Vielleicht schreckte Helene Hanff insgeheim sogar davor zurück, ihren Freunden real zu begegnen, aus der Angst heraus, dass die Realität mit der herrlichen Leichtigkeit der Korrespondenz nicht mithalten könnte. (157)
Sie selbst war schon auch neugierig auf England  speziell auf das Antiquariat und überlegte sich doch zu reisen, in der Buchhandlung zu erscheinen, die Bücher zu durchwühlen, ohne sich zu erkennen zu geben. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, dass eine Freundschaft allein von der Korrespodenz lebt, weil sie aus dem Geistigen heraus entsteht. Ich finde solche Freundschaften auf ihre Weise sehr schön, weil sie auf Äußerlichkeiten nicht angewiesen ist.
Was als nüchterne Geschäftskorrespondenz begann, entwickelte sich zum Wechselspiel der Gedanken und Gefühle zwischen Menschen, die sich nie begegnet waren und die dennoch zu Freunden wurden. Natürlich tauschen sich Helene Hanff und ihr Gegenüber, der findige Antiquar Frank Doel, über Bücher aus: über das Gefühl, seltene Editionen anfassen, die Seiten als erster aufschneiden oder eine brillante Goldprägung bewundern zu dürfen. Die Büchernärrin Helene Hanff weiß mit den Schätzen umzugehen, die ihr Frank Doel und seine Mitarbeiterinnen ans Herz legen; sie ist eine kritische Leserin, weist mit Empörung hässliche Ausgaben oder missratene Übersetzungen zurück und kann schon im nächsten Augenblick ihre Begeisterung über ein exquisites Fundstück aus den unerschöpflichen Beständen der Charin Cross Road kaum zähmen.(155 f)


Mein Fazit:

Da es keine reine oder gewöhnliche Geschäftsverbindung zwischen Helene Hanff und Frank Doel war (Kunde und Verkäufer), und die Korrespondenz der beiden aus meiner Sicht sehr charismatisch wirkte, in der nicht nur der Verkauf und nicht nur die Bücherliebe im Vordergrund stand, sondern in gleicherweise auch die Liebe zum Menschen, wenn auch in erster Linie über die Bücher ausgedrückt, was ein gemeinsames Hobby zwischen Helene Hanff und dem Antiquar Frank Doel ausmachte. Viele Geschäftspartner bleiben den Kunden gegenüber distanziert, wo einzig und allein das Kaufen und Verkaufen im Vordergrund stehen bleibt.

Das Buch erhält von mir zehn von zehn Punkten... .
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Manchmal muss die Wahrheit erfunden werden
(Siegfried Lenz)

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