Sonntag, 20. Mai 2012

Theodor Fontane / Der Stechlin 5

Fischer TB / ISBN-10: 359690115

Also, meine Lieblingslektüre ist Der Stechlin absolut nicht. Das Buch ist recht gefühlsarm geschrieben, zu kopflastig würde ich mal sagen. Ich finde zu keiner Figur einen wirklichen Bezug, dennoch schätze ich Fontane sehr. Seine Gedankenwelt ist so reich und er war seiner Zeit um einiges voraus. Deshalb bewundere ich ihn auch gleichzeitig. In meinen Augen war Fontane ein Weltmensch, während andere seiner Zeit an ihren Dörfern, Städten kleben blieben... .

Es zeigt mir doch auch, wie viel ein Mensch zwischenmenschlich, sozial und gesellschaftlich auch lernen muss, und wir so vielen Lernprozessen ausgesetzt sind. Was jeder einzelne nicht mehr schafft, wird an die nächste Generation herangetragen. 

Haben viele Menschen heute eine Abneigung gegen AusländerInnen, und diese mit Stereotypen und Vorurteilen besetzt werden, ähnlich denen wie Fontane sie in seinem Buch verlauten lässt, so galten zu Fontanes Zeit schon die nächste Stadt als fremd, und ein anderes Bundesland als exotisch, wie z.B. Bayern, das als Ausland zählte. Das gibt doch Hoffnung, dass wir eines Tages doch mit allen Menschen der Erde verbunden sein werden, wenn die Grenzen immer weiter aufgelöst werden. Auch wenn dies noch ein langer Weg und noch kaum vorstellbar zu sein scheint. 

Im Buch kleben wieder jede Menge Zettelchen, ich mir aber jetzt vorgenommen habe, nur die letzten zu bearbeiten, denn sonst gäbe es ein zweites Buch.

Dafür liefere ich jetzt ein paar Zitate zu obigen Gedanken. Woldemar ist noch immer Junggeselle und Tante Adelheid macht sich darüber Gedanken und beratschlagt ihren Neffen: 
"Das Junggesellenleben, Woldemar, taugt nichts. Dein Vater war auch schon zu alt, als er sich verheiratete. Ich will nicht in deine Geheimnisse eindringen, aber ich möchte doch fragen dürfen: Wie stehst du dazu?"" Nun, ein Anfang ist gemacht. Aber doch erst oben hin."" Berlinerin?"" Ja und Nein. Die junge Dame lebt seit einer Reihe von Jahren in Berlin und liebt unsre Stadt über Erwarten. Insoweit ist die Berlinerin. Aber eigentlich ist sie doch keine; sie wurde drüben in London geboren, und ihre Mutter war eine Schweizerin."" um Gottes willen!"" Ich glaube, liebe Tante, du machst die falsche Vorstellungen von einer Schweizerin. Du denkst sie dir auf einer Alm und mit einem Milchkübel."" Ich denke sie mir gar nicht, Woldemar. Ich weiß nur, dass es ein wildes Land ist."
Diese falschen Vorstellungen über Herkunft kenne ich selbst aus eigener Erfahrung, da ich auch bikulturell und bilingual groß geworden bin, ich aber eine deutsche Identität entwickelt habe, so werde ich trotzdem oft als Stellvertreterin auf die Herkunftskultur meiner Eltern reduziert. 

Tante Adelheid schickt Woldemar noch einen Brief, aus dem folgender Wortlaut zu entnehmen ist: 

Ich nehme an, mein lieber Woldemar, dass du meine letzten Worte noch in Erinnerung hast. Sie liefen auf den Rat und die Bitte hin aus: gib auch in dieser Frage die Heimat nicht auf, halte dich, wenn es sein kann, an das nächste. Schon unsere Provinzen sind so sehr verschieden. Ich sehe dich über solche Worte lächeln, aber ich bleibe doch dabei. (…) Das sind zum Beispiel die rheinischen jungen Damen, also die von Köln und Aachen; nun ja, die mögen ganz gut sein, aber sie sind katholisch, und wenn sie nicht katholisch sind, dann sind sie was anderes, wo der Vater erst geadelt wurde. Neben den rheinischen haben wir dann die westfälischen. Über diese ließe sich reden. Aber Schlesien. Die schlesischen Herrschaften, die sich mitunter auch Magnaten nennen, sind alles so gut wie polnisch  und leben von Jeu und haben die hübschesten Erzieherinnen; immer ganz jung, da machte sich am leichtesten und dann sind da noch weiterhin die preußischen, d.h. die ostpreußischen, wo schon alles aufhört. Nun, die kenne ich, die sind ganz wie ihre Litauer Füllen und schlagen aus und beknabbern alles. Und die reicher sie sind, desto schlimmer. (…) Heiratete heimisch und heiraten lutherisch. Und nicht nach Geld (Geld erniedrigt) und halte dich dabei versichert der Liebe deiner dich herzlich liebenden Tante und Patin Adelheid von St.  

Dass Geld erniedrigt, das finde ich ein sehr schöner Gedanke, wo sich doch die Reichen eher erhöht fühlen. Aber wahrscheinlich vertritt Adelheid das aus dem religiösen Standpunkt heraus. 

_______________________ 

"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen." (T. Fontane)

UB: 
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Fontane: Der Stechling
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis 
Gelesene Bücher 2012: 34

Keine Kommentare: