Montag, 28. Mai 2012

Hans Fallada / Damals bei uns daheim 6




Verlag: Aufbau Tb 2011
Seitenzahl: 383
9,99 €
ISBN-10: 3746627893


Weiter geht´s mit der Buchbesprechung Fallada, und es geht zum Endspurt zu, habe noch sechsunddreißig Seiten vor mir, ich aber das Buch ungern wieder verlassen werde… :). Aber es warten ja noch zwei andere (Auto)Biografien auf mich, die ich allerdings zeitversetzt lesen werden. Und vielleicht erfahre ich ja dort, weshalb die Karl May Bände verboten wurden. Ich gebe ja nicht auf :D. 

In dem vorliegenden Band beschreibt Junior Fallada so viele Familienanekdoten, die recht schön zu lesen sind, wenn sie auch vom Verhalten her was Tanten, Onkel, und Großeltern betrifft, arg eigensinnig und auch ein wenig absurd erscheinen. Aber trotzdem witzig zu lesen, besonders wenn man nur Leserin ist statt Angehörige, und man sich über gewisse Buchszenen mehr amüsiert als ärgert.

Arthur Fallada ist achtzehn Jahre älter als seine Frau Louise. Er lernte sie kennen, als Louise achtzehn Jahre alt war. Louise stammt ebenso aus einer sechsköpfigen Familie, doch als der Vater starb, sie war gerade mal acht Jahre alt, wurde sie von der Mutter zum Onkel gebracht, der sie aufziehen sollte. Ein anderes Geschwisterkind wurde zu anderen Angehörigen gebracht, da die Mutter zu arm war, für alle Kinder zu sorgen. Louises Onkel lernte seine Nichte zwar zu lieben, aber auch dieser war so eigen in seinem Verhalten, das sich stark auf das Kind übertrug, so dass Louise quasi eine Außenseiterin wurde und ohne Freunde aufwuchs… . Eigentlich war Arthur Fallada ihre Rettung, der sie aus dem Hause des Onkels herausholte. Ein großer Altersunterschied, aber der Bund wurde aus Liebe geschlossen. Es war also keine Zweckheirat.

Die Autobiografie liest sich nicht chronologisch. Mal ist Junior Fallada dreizehn, vierzehn Jahre alt, mal wieder zehn und dann wieder achtzehn. Aber das Buch ist keineswegs verwirrend geschrieben. Der rote Faden ist immer leicht erkennbar.

Kurz beschreibt Hans, dass der Vater nun auf Eduard (Ede) seine ganze Hoffnung setzt, Jurist zu werden und in seine Fußstapfen tritt. Aber Ede will Medizin studieren und als es mit dem Studium so weit war, wird er in den Krieg eingezogen. Ede schafft es, die Familie einmal zu besuchen. Ein zweites Mal gab es nicht, Ede fällt im Krieg und die Eltern diesen Verlust für den Rest ihres Lebens nicht verwunden haben. Ede war das Kind, das eher den Vorstellungen des Vaters entsprach, aber die Geschwister es ihm nie nachgetragen hatten, da Ede von seiner Persönlichkeit her sich so gab wie er war. Kein Einschleichen bei den Eltern und den Geschwistern … .

So, nun folgen ein paar Zitate aus den letzten fünfzig Seiten.

Ich möchte eine besonders tragische Jugendszene festhalten, die mich geistig und emotional arg berührt hat.

Hans tritt der Freizeit – Reise – und Jugendgruppe Wandervogel bei. Hans ist zu dieser Zeit vierzehn Jahre alt und entwickelt sich in der Gruppe zu einem totalen Außenseiter. Die Gruppe hatte seine Fähigkeiten nicht anerkannt und verspotteten ihn regelrecht. Hans erträgt es mit großer Tapferkeit, er aber bemüht ist, bei den Jungens anzukommen. Die Jugendgruppe befindet sich in Holland auf Reisen. Ecau ist ein zwanzigjähriger Student und Gruppenführer und versagt aber völlig, die Gruppe zu lenken. Ihm ist es auch zu verdanken, dass Hans verspottet und ausgestoßen wird.

Die Jugendlichen befinden sich gerade am Strand und während die Gruppe eine Exkursion starten will, wird Hans dazu verdonnert, zurückzubleiben und sich um das Essen zu kümmern. Hans fühlte sich nicht wohl, teilte dies aber der Gruppe nicht mit, weil er ihnen nicht noch mehr zur Last fallen wollte. Er fühlte sich ein wenig fiebrig und in seinem ganzen Unwohlsein verschüttete Hans versehentlich das Kochwasser, das auf dem Lagerfeuer brutzelte und nun im Sande verläuft. Hans wusste nicht, wie er aus dieser Lage wieder herauskommen konnte, da kein Wasser mehr zur Verfügung stand. Also begab er sich an den Strand und füllte den Topf mit Meereswasser und kochte darin die Zutaten. Als Hans das Essen kostete, musste er sich erwürgen und es war, als würde er die Galle herausbrechen. Nun versuchte er das Essen zu retten, indem er den Geschmack mit Zucker zu neutralisieren versuchte. Also packte er seinen Zucker und den Zucker seiner Kameraden zusammen und vermischte es mit dem Gekochten. Das Essen schmeckte nach wie vor zum Erbrechen und Hans musste sich geschlagen geben und sich den Jungens stellen. Als die Kameraden von der Exkursion völlig ausgehungert wieder einkehrten, so stürzten sie sich ans Essen und ließen alle ihre Löffel fallen und würgten das Gegessene wieder heraus. Hans musste gestehen und so begab sich die Gruppe in das nächste Dorf, vierzehn Kilometer entfernt, um dort in einer Kneipe einzukehren. Mit Hans sprach keiner mehr, nun erst recht nicht und der Verdacht galt ihnen als bestätigt, dass Hans zu nichts tauge. Am nächsten Tag entfernte sich Acer von der Gruppe, als die anderen Jungens sich bei Hans rächten und sie ihn in das Meer warfen und ihn dort bis zur völligen Ohnmacht ertränkten mit dem Ziel, er solle eine Salzsuppe trinken. Daraufhin wurde Hans noch viel kränker und so musste der Gruppenführer Hans wieder nach Hause fahren und lieferte ihn zu Hause ab. Noch bevor die Eltern die Haustüre öffneten, war Acer schon wieder abgezogen.

Zu dem Erlebnis schreibt Fallada:


Ich habe mein ganzes Leben hindurch solche Menschen getroffen, die mich instinktiv hassten, oft noch ehe sie mich überhaupt kannten. Es ist die alte Geschichte von dem Kurhaus, der zwischen dem einen und dem anderen Samen eingesetzt ist. Ich habe Ihnen diesen Hass aber immer redlich zurückgezahlt!

Welches Nachspiel diese Szene noch hatte, so verweise ich auf das Buch. Aber es stimmt, Fallada konnte sich rächen... .

Wiederholt fällt mir auf, dass Fallada von einem Doppelgänger spricht:


Es hat sich nun herausgestellt, dass es diesen Jungen wirklich gab. Es gab den Jungen, der alles so schwer nahm und immer dachte: mir geht doch alles schief, ich habe nie Glück, und es gab den andern, gewissermaßen amüsiert zuschauenden Jungen, der sagte: Du nimmst aber eigentlich alles fürchterlich tragisch! Warte nur, es kommt noch anders. Und da es mittlerweile wirklich anders gekommen ist, habe ich fast nur vom Gesichtspunkte dieses zweiten Jungen erzählen können.

Frage: haben wir nicht alle so ein doppeltes Ich in uns? Aus meinen Studien und aus meiner Berufspraxis heraus bejahe ich diese Frage, ohne sie zu pathologisieren, solange diese Doppelgänger nicht ins Extreme abdriften, und eine gespaltene Persönlichkeit nach sich ziehen. Dies geht aber aus den Fallada - Büchern (noch) nicht hervor. Ich habe ja nicht alle Bände gelesen. Bekannt ist aber, dass er alkoholabhängig war.

Eine letzte Szene möchte ich auf diesen Seiten noch festhalten, die für den Erlebten zwar tragisch verlaufen ist, aber für mich als Leserin tragisch und amüsiert zugleich.

Hans steht auf dem Balkon, mit dem Kopf zwischen zwei Gitterstäben, er dürfte ca. acht oder neun Jahre alt sein, als er hinunter spuckt genau zu der Zeit, als sein Vater mit einem Juristenkollegen ankommt. Natürlich zeigt sich sein Vater völlig verärgert, da ihm dieser Fehltritt vor dem Kollegen unsagbar peinlich ist. Er schreit dem Jungen hinterher, Hans versucht auszureißen, doch dafür ist es eigentlich schon zu spät:


Da sind schon die Rächer, zur Flucht ist es zu spät, und so stimme ich für alle Fälle ein klägliches Geheul an. Denn einmal bekomme ich den Kopf nicht frei, zum andern droht mir Strafe.

Hans konnte den Kopf nach wie vor nicht wieder hinausziehen. Der Kopf steckte fest und blieb auch stecken. Die Mutter versuchte es mit gutem Zureden, damit Hans sich wieder entkrampfen konnte, doch nichts half. Der Kopf blieb nach wie vor stecken. Die Mutter lockte ihn schließlich mit Schokolade, natürlich nicht im Sinne des Vaters, der ihn ja für die Spuckerei bestrafen wollte. Und nun bekommt er statt der Strafe Schokolade.

Vater stand - ein stummer, aber schreiender Protest - dabei.
Ich aber brüllte nur noch heftiger, wenn das nach den vorangegangenen sehr beträchtlichen Leistungen überhaupt noch möglich war. Denn nun war ich fest überzeugt, dass ich nie wieder aus diesen Stäben befreit werden würde, dass ich mein ganzes Leben lang auf die roten Fliesen des Erdgeschosses werde hinab starren müssen, und ich verweigerte sogar die Schokolade, weil mir schien, Mutter wolle mich an eine Ernährung durch Gitterstäbe gewöhnen.


Die Gitterstäbe mussten durchsägt werden, nur so konnte Hans von seiner Gefangenschaft wieder befreit werden.


Völlig verbrüllt und verschmiert blickte ich blöde lächelnd in lauter freundlich lächelnde Gesichter - Mit einem Schlage war mein Gebrüll verstummt. Dann sammelte ich mich, streckte die die Hand zur Mutter aus und verlangte: „Meine Lade, Mutti!"
Mein Vater, noch des Spuckens eingedenk, machte eine abwehrende Bewegung, aber es war schon zu spät: Ich hatte die Schokolade und aß sie auch schon. Dass hiernach an irgendein Strafgericht nicht mehr zu denken war, versteht sich.
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"Die rechte Vernunft kommt aus dem Herzen ." (T. Fontane)

UB:
Dickens: Schwere Zeiten
Fallada: Damals bei uns daheim
Kuan: Die Langnasen
Lenz: Die Masken
Leroux: Das Phantom der Oper
Lueken: New-York
Manguel: Die Bibliothek bei Nacht
Mann. T. Erzählungen (1)
Miin: Madame Mao
Muawad: Verbrennungen
Osorio: Mein Name ist Luz
Proust: Sodom und Gomorrha
Senger: Kaiserhofstr. 12
Thackeray: Das Buch der Snobs
Zweig: Brennendes Geheimnis

Gelesene Bücher 2012: 35

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